Jochen Grönegräs, Geschäftsführer des Bundesverband Flachglas: „Die Energieversorgung ist in bisher unbekanntem Ausmaß unsicherer und auch teurer geworden. Floatglas-Wannen werden zum größten Teil mit Gas beheizt. Medien berichten in den letzten Tagen darüber, dass der Bund an einem „Abschaltplan“ arbeite und die Entscheidungen vorbereite, welche Industrien zuerst vom Gasnetz müssten.“
Während die Themen des Bundesverband Flachglas traditionell eher auf der Anwendungsseite liegen, begleitet der BV Glas in Düsseldorf diese produktionsrelevanten Themen eng. So berichtet der BV Glas, dass sie zur Versorgung mit Erdgas (für die Floatglas-Produktion) ständig u. a. mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur im Gespräch sind. Es gehe nicht um die Festlegung einer Abschaltungsreihenfolge innerhalb der Industrie, sondern um eine allgemeine Vorbereitung auf eine mögliche Gasmangellage. Der BV Glas hat seinen Ansprechpartnern erläutert, dass man Floatglas-Produktionen nicht einfach abstellen kann: „BV Glas Stellungnahme Versorgungssicherheit“ (.pdf)
Was sagt der europäische Glasverband zur aktuellen Lage, Herr Grönegräs?
Jochen Grönegräs: „Auch der europäische Verband Glass für Europe, in dem der BF mitarbeitet, hat Stellung bezogen und betont, dass die Behörden die unterbrechungsfreie Energieversorgung unserer Industrie gewährleisten müssten. Auch die Energiekosten müssten eingedämmt werden, indem die Richtlinien für staatliche Beihilfen zum EU-Emissionshandelssystem (ETS) dringend überarbeitet werden, um die indirekten Kosten des Flachglassektors auszugleichen.“
Hier das komplette Statement von Philippe Bastien, Chairman of Glass for Europe and Regional President AGC Glass Europe
Welche Auswirken erwartet Glasverarbeiter?
Jochen Grönegräs weiter: „In verarbeitenden Unternehmen kann sich Ihnen jetzt die Frage stellen, ob Sie wegen Kosten- bzw. Preissteigerungen Ihrer Vorlieferanten von Ihren Lieferverpflichtungen Ihren Kunden gegenüber zurücktreten können. Wir haben hierzu eine aktuelle anwaltliche Stellungnahme eingeholt und zitieren daraus:
„Die Frage eines Rücktritts vom Vertrag richtet sich nach dem erst 2002 ins BGB eingeführten § 313 ‚Störung der Geschäftsgrundlage‘.“
Dieser lautet: ‚Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann die Anpassung des Vertrags verlangt, soweit einem Teil unter Berücksichtigung alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.‘ (…)
Darauf weist der BF-Geschäftsführer hin: „Es müssen also extreme und vor allem unvorhersehbare Preissteigerungen außerhalb des erwartbaren Rahmens auftreten, die für keine Partei vorhersehbar waren und ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen. Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht pauschal sagen, sondern muss im Einzelfall festgestellt werden, im Zweifel durch ein Gericht.“ Etwas anderes könne dann gelten, wenn der individuelle Vertrag Abreden zu Preiserhöhungen enthält, z.B. eine zeitliche Preisbindungsfrist.
Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe fordert vor diesem Hintergrund eine Gleitklausel, die auch auf bestehende Verträge angewendet werden könne, da er die „Störung der Geschäftsgrundlage“ gegeben sieht:
Materialpreise und Lieferengpässe - Baugewerbe will Gespräche mit Regierung
Folgende Gefahr für glasverarbeitende Betriebe sieht Jochen Grönegräs: „Ihren Kunden verbindliche Angebote zu unterbreiten, kann wegen der sich innerhalb der Ausführungszeiten möglicherweise stark ändernden Materialpreise unternehmensgefährdend werden. Und es besteht das Risiko, dass zugesagte Lieferzeiten für bestehende Aufträge nicht eingehalten werden können.“
Das sagt Hans-Joachim Arnold, Vorsitzender des Vorstands des Bundesverband Flachglas
Der BF empfiehlt, im Zweifelsfall zunächst eine einvernehmliche Lösung mit dem Auftraggeber zu suchen. Zahlreiche Gespräche mit den BF-itgliedern in den letzten Tagen zeigen, dass das möglich sei.
Dazu Hans-Joachim Arnold, Vorsitzender des Vorstands des Bundesverband Flachglas: „Die Unsicherheit und die Verteuerung innerhalb der Lieferketten in unserer Branche verlangen gemeinsame Lösungen. Solidarität ist in diesen Zeiten in vieler Hinsicht gefragt – so auch zwischen den Partnern, die gemeinsam mit unserem wunderbaren Werkstoff Glas arbeiten.“
Und Jochen Grönegräs ergänzt: Mit den weiteren Trägern der Repräsentanz Transparente Gebäudehülle stimmen wir derzeit ab, wie wir uns gemeinsam, als Vertreter der Partner über die Lieferkette hinweg, zu diesen Themen positionieren. Bei allen den ernsten aktuellen Folgen gibt es für die Branche in Deutschland auch mittelfristige Aspekte, in denen ein gewisser Trost liegen mag. Es ist schwierig, hiermit zu argumentieren, ohne dass es vor dem Hintergrund des maßlosen Leids in diesem Krieg zynisch wirkt – aber für die Situation in Deutschland wird die akute Krise zweifellos auch so wirken, dass sie die Notwendigkeit zur Energieeffizienz gerade auch im Gebäudebereich dramatisch betont, was das Tempo für Maßnahmen in diesem Sektor, wie die energetische Sanierung, (endlich) steigern wird. Die Notwendigkeit zur Energiewende und –effizienz war ohnehin klar – durch die Verteuerung in der Krise wird das nun viel dringlicher und muss in kürzerer Zeit gelingen.“
Der Flüchtlingszuzug werde ebenfalls Auswirkungen haben (Stichworte Fachkräfte und Wohnungsbedarf). Durch die Folgen der Krise für die Liefersicherheit und auch für die Transportkosten werden sich mittelfristig auch Fragen nach der Länge der Lieferketten und damit der Regionalität auch von Produktionseinrichtungen anders darstellen als vor dem Krieg.
Ausführlich beschäftigt sich Martin Langen von B+L Marktdaten, die seit Jahren die Glasmarkt-Zahlen für den BF sammelt, in einem sehr empfehlenswerten Webinar mit den Folgen der Krise, dessen Aufzeichnung Sie hier ansehen können.
Jochen Grönegräs: „Wir hoffen, einige relevante Aspekte zur Situation – auch für die Argumentation bei Ihren Kunden – an die Hand gegeben zu haben und werden Sie weiter über die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine für unsere Branche informieren. Bei Fragen stehen wir natürlich jederzeit gerne zur Verfügung.“