Das Ende der wirtschaftlichen Lebensdauer (Nutzungsdauer von Mehrscheiben-Isoliergläsern rund 30 – 40 Jahre) äußerst sich oft als „Blindwerden“, also durch fortschreitende Bildung von Kondensat im Scheibenzwischenraum (SZR).
Nicht so im vorliegenden Falle: Unmittelbares Bersten bereitete diesem Isolierglas ein jähes Ende. Und es ist nicht ein einfacher Sprung, der sich durch die Scheibe zieht oder ein Spinnennetz, das auf einen mechanischen „Anschlag“ auf die Glasoberfläche hindeutet. Nein. In diesem Falle sieht das Bruchbild absolut eindeutig aus: es handelt sich um einen, durch starke Druckveränderung im Isolierglas ausgelösten Drucksprung, einem sogenannten Berstbruch.
Typisch für einen Drucksprung ist sein Anfangspunkt in der Scheibenmitte und die Aufspaltung der Brüche in ihre Laufrichtung hin zu den Ecken der Scheibe. Eben genau so wie das Bruchbild sich im vorliegenden Fall zeigt.
Ob es nun ein Überdruck- oder Unterdrucksprung ist, lässt sich erst bei genauerer Untersuchung feststellen. Dazu wurde die Scheibenmitte mit dem Bruchbeginn großzügig abgeklebt, um die Bruchstücke auch zusammenhalten zu können und anschließend dieser abgeklebte Teil aus der Scheibe herausgeschnitten.
Das vom Hersteller als Wärmedämm-Isolierglas mit der damals nach ÖNORM am Abstandhalter geforderten Kennzeichnung „G“ für gasgefüllt bezeichnete, 547 x 1755 mm große Isolierglas bestand aus:
Gefertigt wurde die Scheibe auf 289 m über NN, eingebaut auf 360 m über NN.
Typischerweise tritt ein Glasbruch an der dünneren Innenscheibe aufg, die deutlich weniger Belastung aushalten kann als die doppelt so dicke 8 mm Außenscheibe.
Untersuchung und Analyse
Nach dem Erhalt der Bruchstücke wurden diese sorgfältig von der Klebefolie befreit und die Bruchoberflächen zu begutachten. Da der Bruchbeginn genau in der Mitte lag, war es einfach, anhand der Bruchoberflächen die Laufrichtung zu bestimmen.
Hier kommt eines der 3 Bruchgesetze zur Anwendung: „Brüche teilen sich immer nur in ihre Laufrichtung“. Da deutliche „Wallner-Linien“ erkennbar waren, konnte anhand dieser Bruchoberflächenmarker eindeutig festgestellt werden, wo Druck- und wo Zugspannung auftraten.
Durch starkes Einbauchen (konkav) war an den zum SZR gerichteten Oberflächen Zugspannung erkennbar und auf den nach außen zeigenden Oberflächen Druckspannung. Ein weiteres Indiz dafür war das leichte Auslaufen einiger Brüche leicht parallel zur Glasoberfläche, anstelle von oft vorhandenen muschelförmigen Abplatzungen.
Sehr starkes und offenbar länger anhaltendes Einbauchen (konkav) führte hier zum Totalversagen der dünneren Glasscheibe.
Was macht den Bruch besonders?
Interessant war die Tatsache, dass sich auf der Bruchoberfläche am Bruchbeginn ein deutlich erkennbarer, nach außen öffnender Bruchspiegel zeigte. Nach der Gleichung von Orr und der Annahme, dass die Bruchspiegelkonstante bei Floatglas (Kalk-Natron-Silikatglas) mit ca. 2,0 angenommen werden kann, ergab sich hieraus bei einem Bruchspiegelradius von 2,05 mm eine Bruchspannung von ca. 44 N/mm².
Aufgrund der differierenden Angaben für die Bruchspiegelkonstante in der Literatur sind diese Angaben mit +- 20% relativ genau.
Dies ist zwar keine sehr hohe Bruchspannung, aber da es sich bei einer solchen Druckspannung meist um eine länger anhaltende Spannung handelt, ist der Glasbruch erklärbar.
Schaut man den Bruchspiegel genauer an, lässt sich schnell der genaue Bruchausgang an einer sehr kleinen Unregelmäßigkeit erkennen.
Was hierbei allerdings nicht erklärbar ist, „Warum tritt dieser Drucksprung erst nach 27 Jahren auf?“.
Dass es sich um langsames, sogenanntes „unterkritisches Bruchwachstum“ handelt, lässt sich anhand des typischen Bruchaussehens mit vielen Aufspaltungen eindeutig verneinen.
Dass das Füllgas im Laufe der Jahre ausdiffundiert ist, kann verworfen werden, da durch diese Gaspermeation nach außen gleichsam ebenfalls Feuchte eindiffundiert und die Scheibe sichtbar erblindet wäre.
Die einzige Erklärung, die die Verfasser des Artikels haben, basiert auf der Vermutung, dass das eingefüllte Trocknungsmittel über Jahrzehnte hinweg einen geringen Anteil des Argons absorbiert hat und somit der Druck im SZR langsam aber stetig immer weiter abgenommen hat – es bildet sich ein langsam steigender, anhaltender Unterdruck im SZR. Dies könnte den Drucksprung durch konkave Verformung plausibel erklären.
Auch die Untersuchung des im Abstandhalter vorhandenen Trockenmittels zeigte keinerlei Auffälligkeiten. Die Körnigkeit, Trockenheit und Farbe des Molekularsieb-Materials entsprach dem Aussehen nach einem unversehrten soeben aus dem Big Bag geförderten Trockenmittel. Auf eine genauere Untersuchung hinsichtlich Vorbeladung wurde mangels Relevanz verzichtet.
Das Fazit des Gutachters
Nicht immer führt die Ursachenforschung bei Glasbruch zu einem eindeutigen, plausiblen Ergebnis. Ob es aber tatsächlich so war, wie hier vermutet, ließe sich nur mit unverhältnismäßig hohem Prüfaufwand feststellen. Eine plausible Erklärung liefert jedoch die Argon-Sorption durch vermutlich 4°A oder ähnliches Trockenmittel.
Ekkehard Wagner und Manfred Beham sind Glassachverständige und seit Jahrzehnten für die Glasbranche aktiv.