Glaswelt – Herr Spiß, braucht es im Bauwesen neue Gläser oder greift das heute zu kurz?
Hannes Spiß – Ja, wir benötigen im Bauwesen neue Gläser, denn eine Vielzahl bestehender Verglasungen entspricht nicht dem Stand der Technik. Doch das ist nur der erste Teil der Antwort. Es gibt noch immer (zu) viele Einfachverglasungen – etwa bei Kastenfenstern oder Schaufenstern. Dazu kommt eine sehr hohe Rate an Isolierverglasungen, ohne zeitgemäße Wärme-und Sonnenschutzbeschichtungen, das sind quasi alle ISO-Einheiten, die vor 1990 produziert wurden. Die thermische Sanierung von Bestandsbauten, die auch politisch gewollt ist, braucht Fenster mit zeitgemäßen Isolierverglasungen.
Die politischen Maßnahmen konzentrieren sich heute auf die Heizung. Über kurz oder lang wird jedoch die Gebäudehülle wieder ins Blickfeld rücken müssen, denn es macht ja keinen Sinn „Grüne Energie“ durch veraltete Fenster zu verlieren.
Glaswelt – Und was braucht es noch?
Spiß – Die zweite Antwort: Ja, wir benötigen neue Gläser für die Zukunft. Denn die Gläser, die wir heute produzieren, werden voraussichtlich 25 bis 50 Jahren halten und dann im Zuge der Sanierung bzw. einer Nutzungsänderung ausgebaut werden. Für diese Gläser müssen wir schon heute überlegen, wie diese „Altgläser“ dann der Wiederverwendung zugeführt werden können. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: diese Gläser zu ertüchtigen und dann wiederzuverwenden oder sie der Schmelze zuzuführen, sprich recyceln. In beiden Fällen müssen wir daran arbeiten, dass beides reibungslos umgesetzt werden kann.
Glaswelt – Aber Gläser lassen sich doch heute schon leicht recyceln?
Spiß – Ja und Nein. Wenn wir von simplen Einfachverglasungen sprechen, dann ist das einfach. Jedoch wird es schon bei Isoliergläsern komplexer: Wie trennt man den Randverbund mit den Dichtstoffen und dem Spacer von den Gläsern? Was passiert mit bedruckten Gläsern, deren Farben mit der Glasoberfläche verschmolzen sind und die kaum zu trennen sind?
Glaswelt – Bitte geben Sie dazu ein Beispiel.
Spiß – Nehmen wir bedruckte Gläser. Viele werden mit keramischen Farben bedruckt. Da keramische Farben in die Oberfläche „eingebrannt“ werden, um die Langlebigkeit zu garantieren, entsteht ein Problem bei der Wiederverwendung der Glasscherben, da die Farbe nicht der „allgemeinen Glasschmelze“ zugeführt werden kann. Solche Gläser zu recyceln, stellt die Industrie vor Herausforderungen, die wir lösen müssen.
Glaswelt – Also brauchen wir ein Umdenken bei der Auswahl unserer (Glas-)Produkte?
Spiß – Genau, das benötigen wir. Es geht nicht mehr nur um das „Jetzt“, sondern vielmehr um die Auswirkung unseres Produkts in der Zukunft. Diese Transformation in der Produktwahl hat meiner Ansicht nach auch schon begonnen, steckt aber aktuell noch in den „Baby-Schuhen“. Dem Endkunden muss es möglich sein, das Produkt nicht nur aufgrund der aktuellen Leistungsdaten zu bewerten. Die dafür nötigen Produktdeklarationen müssen definiert werden, nur so wird es dem Endkunden möglich sein, eine relevante Entscheidung zu treffen.
Glaswelt – Das kann keiner allein lösen, dazu braucht es ein übergeordnetes Herangehen?
Spiß – Richtig, hier für braucht es alle Beteiligten: Die Gebäudenutzer, die Planer, zertifizierte Prüflabore, ebenso wie Hersteller, Verarbeiter und die Monteure. Hier wird einiges auf unsere Branche zukommen. Die Glasverarbeiter tun gut daran, wenn sie diesen Prozess aktiv mitgestalten.—
Das Interview führte Matthias Rehberger.