Im folgenden Gutachterfall lehnt der Fensterbauer den kostenlosen Ersatz der gebrochenen Scheibe ab, mit dem Hinweis, dass Glasbruch nicht unter die Gewährleistung oder Garantie fällt. Und was machte der geschädigte Bauherr?
Wenn der Geschädigte dies nicht hinnehmen will, kann er über einen Anwalt bei Gericht ein sogenanntes „Selbstständiges Beweisverfahren“ beantragen, mit den Fragen nach der Ursache für den Glassprung und die Kosten für die Mangelbeseitigung.
Dann beauftragen die Gerichte in der Regel Sachverständige, um Antworten auf die Fragen bzw. zu den Ursachen zu erhalten. So auch in diesem Streitfall.
Die Hintergründe des Gutachterfalls: Ein Eigenheimbesitzer hatte sich entschlossen, in seinem Reihenhaus die alten Fenster austauschen zu lassen. Er verabredet mit einem Fensterbauer einen Ortstermin zum Aufmaß und zur Festlegung der Glasaufbauten.
Da im Kinderzimmer ein nur etwa 50 cm hoher Sockel vorhanden ist, empfahl der Fensterbauer an dieser Stelle ein 2-fach-Isolierglas mit je einem Verbund-Sicherheitsglas (VSG) als Außen- und Innenscheibe in dem entsprechenden Fenster zu verbauen. Der Bauherr akzeptierte das Angebot, man einigte sich über den Preis der Fenster und er bestellte die Fenster, die dann einige Wochen später geliefert und eingebaut wurden.
Nach nur drei Wochen stellte er in der Scheibe im Kinderzimmer einen Glasbruch fest und bemängelt diesen Glasbruch beim Fensterbauer.
Der Handwerker lehnt die Mangelbeseitigung mit der Begründung ab, dass er für den Glasbruch nicht verantwortlich ist. Das wiederum will der Bauherr nicht stehen lassen und beantragte bei Gericht ein „Selbständiges Beweisverfahren“ mit der Frage nach der Glasbruch-Ursache.
Wer zog den Gutachter hinzu?
Da der Richter die technischen Fragen nicht beantworten konnte, erließ er einen Beweisbeschluss, wodurch der Glassachverständige ins Spiel kam: Dieser bekam die Gerichtsakte zugesandt, um für den Richter die entsprechenden Fragen zu beantworten.
Nach Eingang der Akte und Durchsicht des Falls teilte der Gutachter dem Gericht mit, dass alleine durch Fotos eine Beurteilung des Glassprunges in der Scheibenfläche nicht möglich ist. Weiter sei die Betrachtung des Ursprunges des Bruches auf der Glaskante unverzichtbar. Um hier Klarheit zu schaffen, müsse die Scheibe ausgebaut werden. Um unnötige Kosten eines zweimaligen Austausches zu vermeiden schlug der Gutachter dem Gericht vor, dass der Antragsteller zunächst in Vorleistung treten solle und der Gutachter dann den Ortstermin im Rahmen der Umglasung durchführen könne.
Dies lehnte der Antragsteller mit der Begründung ab, es würden möglicherweise auch Gründe wie z. B. eine zu große Durchbiegung des Fensterrahmens für den Glasbruch in Betracht kommen. Deshalb wurde der Sachverständige aufgefordert zunächst einen Ortstermin ohne Ausbau der Scheibe durchzuführen.
Was fand der Gutachter beim ersten Ortstermin vor?
Anlässlich des Ortstermins stellte der Gutachter folgendes fest: Die gesprungene Isolierglasscheibe war in einem Kunststofffenster im Kinderzimmer im ersten Obergeschoss verbaut. (Foto 01). Der Aufbau der gesprungenen Scheibe:
Äußere Einwirkungen oder andere Ursachen, die zum Glasbruch hätten führen können, konnte der Sachverständige nicht feststellen.
Um die Bruchursache zu kären, war es deshalb notwendig die Scheibe auszubauen und die Glaskante am Bruchursprung nach eventuellen Vorschäden oder anderen Auffälligkeiten zu untersuchen.
Was ergab der zweite Ortstermin?
Bei dem zweiten Ortstermin nahm eine Glaserei im Auftrag des Gutachters die Aus- und dann Einglasung der Scheibe vor. Hierbei stellte er fest, dass die Glaskante am Bruchursprung keinerlei Vorschäden aufweist.
Gesprungen war die dem Scheibenzwischenraum der Isolierglas-Einheit zugewandte 3 mm dicke Einzelscheibe des raumseitigen VSG. Der Sprung verlief sowohl in die Scheibenfläche als auch über die Glaskante in einem Winkel von 90 Grad (Foto 03). Ein solcher Sprungverlauf ist typisch für einen Sprung, der durch Temperaturunterschiede zwischen der sichtbaren Glasfläche und dem im Rahmen eingebetteten Glasrand ausgelöst wird.
Wie kommt es zum Glasbruch durch Temperaturunterschiede?
Einfach beschrieben passiert hierbei folgendes: Wenn die sichtbare Glasfläche sich erwärmt, dehnt sie sich aus. Und zwar deshalb, weil die Elektronen, die sich um den Kern eines jeden Atoms des Glases herum bewegen, durch die Erwärmung schneller werden.
Durch die dabei entstehende Zentrifugalkraft nehmen sie eine größere Umlaufbahn ein, das Material dehnt sich aus. Die Elektronen im „kalten“ Bereich des Glases behalten ihre Umlaufbahn bei. Der sich ausdehnende Teil des Glases zieht den „kalten“ Bereich auseinander. Dieser „wehrt“ sich dagegen, weil er ja so bleiben will, wie er ist.
Wenn sich jedoch an der Glaskannte des kalten Bereichs eine Schwachstelle, zum Beispiel in Form einer Vorschädigung, befindet, gibt der kalte Bereich „klein bei“. Von dieser Stelle aus geht dann ein thermischer Glassprung mit seinem typischen Sprungverlauf aus.
Zu einem thermischen Glassprung kann es bereits kommen, wenn die Temperaturdifferenz weit unter dem allgemein bekannten Wert von 40 Kelvin liegt.
Die Beständigkeit gegen Temperaturdifferenzen im Randbereich von Floatglas wird aus der Erfahrung seit Jahren in den Fachkreisen mit etwa 20 Kelvin oder je nach Kantenbeschaffenheit auch schon niedriger angenommen.
Das Fazit des Gutachters
Der vorliegende Fall zeigt einmal mehr, dass es zur Beantwortung der Ursache für einen Glasbruch immer notwendig ist, auch den Bruchursprung auf der Glaskante zu betrachten.
Wäre im vorliegenden Gutachterfall eine Vorschädigung der Glaskante vorhanden gewesen, hätte der Lieferant diesen Mangel zu vertreten gehabt, da ja kaum davon ausgegangen werden kann, dass der Käufer die Glashalteleisten vom Fensterrahmen abnimmt und dann die Glaskante beschädigt.
Anders ist es hingegen, wenn bei einem thermischen Sprung keine Vorschädigung an der Glaskannte feststellbar ist. Dies war hier der Fall. Dann unterliegt der Bruch entweder der normalen Gebrauchsgefahr oder es ist möglich, dass der Bruch beispielsweise durch Schlagschatten oder das Anstellen von Gegenständen oder durch Bekleben mit dunkler Folie entstanden ist.
In einem „Selbständigen Beweisverfahren“ befindet man sich noch nicht in einem Rechtsstreit. Deshalb kann der Antragsteller nach Vorliegen des Gutachtens und Abschluss des Beweisverfahrens entscheiden, ob er Klage erheben will oder nicht. Im vorliegenden Fall erschien dies aussichtslos. Die Kosten des Verfahrens hatte der Antragsteller selbst zu tragen.