Im Kontext des Green Deal, der EU-Taxonomie und zunehmend strengerer Nachhaltigkeitsanforderungen wird zirkuläres Bauen zu einem entscheidenden Schlüsselfaktor für die Bauwirtschaft. Der Fokus liegt auf der Reduktion von CO2-Emissionen, sowohl in der Gewinnung und Produktion von Baumaterialien als auch im Bau und Betrieb von Gebäuden. Diese Sicht zu sich durch alle Vorträge beim Expertenforum „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ in Next Studio von Wicona & Partner letzte Woche in Frankfurt.
Aktuelle Herausforderungen und Chancen
Die Baubranche steht unter Druck, CO2-Emissionen drastisch zu senken, um die Klimaneutralitätsziele der EU bis 2050 zu erreichen. Referent Martin Pauli von Arup betont, dass alle Akteure näher zusammenarbeiten müssen, um innovative Ansätze zur Materialoptimierung zu entwickeln und die Gesamtlebenszyklus-Emissionen zu reduzieren. Deutschland hinkt hierbei, was die generelle Entwicklung in Sachen zirkuläres Bauen angeht, anderen Ländern wie den Niederlanden und Schweden hinterher. So wird in Dänemark beispielsweise eine Baugenehmigung verweigert, wenn die geforderten Nachhaltigkeitsanforderungen bei der Planung eines Gebäudes nicht erreicht werden.
Diese Entwicklung wird nach Ansicht der Referenten des Next Expertenforums auch in weiteren EU-Ländern zu erwarten sein.
Strategien für eine nachhaltige Fassaden
Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, sei es notwendig, Kohlenstoffemissionen in verschiedenen Gebäudetypologien kontinuierlich um 50 % alle fünf Jahre zu senken. Wichtige Schritte umfassen:
Materialeffizienz: Weniger Materialien verwenden, Materialien ersetzen und Materialien im Kreislauf führen.
Ressourcenschonung: Bis 2040 sollen 30 % weniger Materialien eingesetzt und 60 % der genutzten Materialien wiederverwendet oder renoviert werden.
Die Umsetzung von Materialeffizienz wird durch Bauvorschriften, die Materialverfügbarkeit und die Herausforderungen bei der Materialbeschaffung erschwert. Es wird betont, dass die Nachhaltigkeitsziele nicht als Last, sondern als Chance zur Weiterentwicklung der Branche betrachtet werden sollten.
Was bedeutet zirkuläres Design?
Ein 100 % zirkuläres Design zielt darauf ab, Abfall zu vermeiden und Materialien vollständig wiederzuverwenden. Es werden drei Szenarien vorgeschlagen:
1. 100 % Erhaltenes Gebäude: Alle Materialien bleiben erhalten.
2. 100 % Wiederverwendete Materialien: Materialien werden aus gebrauchten Quellen gewonnen.
3. 100 % mit Materialpässen: Materialien sind so beschaffen, dass ihre Wiederverwendung erleichtert wird.
Glasindustrie, Fassadengläser und zirkuläres Bauen
Moritz Feid, Head of Circular Economy Glass bei Saint-Gobain Glass, betont die Dringlichkeit der Transformation in der Glasindustrie zu zirkulären Lösungen. Das Recycling von Flachglas spielt eine zentrale Rolle, da es nicht nur die CO2-Emissionen reduziert, sondern auch die Abhängigkeit von Primärressourcen verringert.
Gleichzeitig verlangt die Gebäude- und Fassadenindustrie zunehmen CO2-arme Gläser, die jetzt von allen großen Glasherstellern angeboten werden. Hier gibt es aktuell ausgewählte Glastypen, die als CO2-arme Varianten erhältlich sind, wie beispielsweise die Oraé Gläser von Saint-Gobain.
Erfolgsbeispiel: Quay Quarter Tower
Beim Next Expertenforum wurde als Leuchturmprojekt der Quay Quarter Tower in Sydney vorgestellt. Bei der energetischen Optimierung konnten die Planer 66 % der bestehenden Struktur erhalten und durch die Wiederverwendung von Materialien wurden so nur 50 % der Ressourcen des ursprünglichen Gebäudes verbraucht. Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, bestehende Materialien zu integrieren, um Ressourcen zu schonen. Was zudem auch bei der Gebäudezertifizierung positiv bewertet wird. Eine „Währung“ die für Bauherren immer wichtiger wird.
Ausblick und Chancen
Die Baubranche steht vor großen Herausforderungen, aber auch vor bedeutenden Chancen, die durch Innovation und Zusammenarbeit entstehen. Es ist entscheidend, dass alle Akteure der Branche zusammenarbeiten, um nachhaltige Lösungen zu finden und die Transformation zu zirkulären Bauweisen voranzutreiben. Der regulatorische Druck wird steigen, und proaktive Maßnahmen sind notwendig, um zukünftige Probleme zu vermeiden.
Die Fassadenbranche steht an der Spitze dieser Entwicklung und kann enorm von den Prinzipien des zirkulären Bauens profitieren. Indem wir nachhaltige Materialien und innovative Designansätze integrieren, schaffen wir nicht nur eine umweltfreundlichere Zukunft, sondern auch neue Möglichkeiten für Wachstum und Wertschöpfung in der Branche.
Matthias Rehberger