„Dieser neue Flaschenhals könnte die Erholung der Industrie gefährden“,
Besonders betroffen von Materialknappheit sind die Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren mit 71 %. Es folgen die Autohersteller und ihre Zulieferer mit 65 %, die Produzenten von elektrischen Ausrüstungen mit 63 %, die Computerhersteller mit 58 %, die Möbelhersteller mit 57 % sowie die Hersteller von Holz-, Flecht- und Korbwaren mit 53 %.
Seitenblick: Einige Branchen dagegen waren von dem Problem kaum berührt: 9,1 Prozent der Pharmafirmen spürten laut ifo Materialknappheit und nur 1,6 Prozent der Getränkehersteller.
Die Frage nach den Vorprodukten stellt das ifo Institut alle drei Monate. Ende März blockierte das Containerschiff Ever Given tagelang den Sueskanal und damit Importe aus Asien, weil es sich in der Fahrrinne quergestellt hatte. Außerdem sind derzeit beispielsweise Computerchips und Holz knapp.
Wie konnte es generell zu dieser Knappheit kommen?
Als Hauptgrund wird häufig die Corona-Pandemie angeführt, die die Weltwirtschaft und die Lieferketten „durchgerüttelt" habe. Beispiel Schifffahrt: Erst lagen Frachtschiffe untätig in den Häfen fest, dann explodierten die Preise für Schiffscontainer. Weil die Zeichen überall auf Flaute standen, entschieden viele Rohstoffproduzenten, dass nun ein guter Zeitpunkt wäre, ihre Anlagen zu warten. Dieser Wartungsprozess dauert lange, manchmal mehrere Monate.
Hinzu kamen dann noch Produktionsausfälle, die auf höhere Gewalt zurückzuführen sind, etwa die Winterstürme in den USA. Im internationalen Handel wird hier von Force Majeure-Meldungen gesprochen. Rund 80 Prozent der deutschen Firmen gaben Anfang März an, davon betroffen gewesen zu sein.
Auch der Stau im Suez-Kanal, der durch das gestrandete Containerschiff Ever Given verursacht wurde, gehört in diese Kategorie und setzt die Lieferketten zusätzlich unter Druck.
Während also weniger Vorprodukte verfügbar waren, stieg die Nachfrage schneller und stärker als erwartet. Das lag nicht zuletzt an der wirtschaftlichen Erholung in China. Dort boomt der Markt und saugt gerade alles auf. In Deutschland sind vor allem die Autoindustrie und das Bauwesen Treiber der Nachfrage.
Der Gesamtverband der Kunststoff verarbeitenden Industrie (GKV e.V.) stellt fest, dass die Rohstoff-Lieferkette derzeit massiv gestört ist. Zwar arbeiten die Hersteller von Kunststoffprodukten derzeit beharrlich daran, die sich daraus ergebenen Risiken für ihre Kunden zu minimieren, weisen aber auch auf den wirtschaftlichen Druck hin, der die gesamte Branche belastet.
Es sei aber nicht nur die Preisentwicklung, die die Unternehmen vor eine große Herausforderung stellt, es würden schlicht auch die Mengen fehlen. Gewünschte Rohstoffe, die durch die wieder steigende Nachfrage notwendig wären, stehen ebenfalls nicht in dem Maße zur Verfügung und dämpfen somit die Rückkehr auf den Wachstumspfad der Branche. Ein Ende der angespannten Rohstoffsituation ist vorerst nicht in Sicht – Experten rechnen mit einer Erholung erst im Herbst 2021.
Die Preise für Standard-Kunststoffe seien im ersten Quartal 2021 in Europa durchweg stark gestiegen. Beim S-PVC sei beispielsweise ein Preisanstieg von 61 Prozent innerhalb der letzten zehn Monate zu verzeichnen.
Der GKV gibt an, dass der Einbruch des Welthandels zu Beginn der Covid-19-Pandemie und die im 4. Quartal 2020 sprunghaft wieder angestiegene Nachfrage zu teils chaotischen Situationen im Frachtgeschäft geführt hätten: Vielfach fehle es an Containern, die infolge der Pandemie in den falschen Häfen gestrandet sind. Das knappe Angebot und die starke Nachfrage nach Frachtkapazitäten hätten die Containerpreise auf der Strecke Asien-Europa seit Ende 2020 um mehr als 400% ansteigen lassen. Allein das verteuere Kunststoffe im Schnitt um 200 Euro/Tonne, deren Non-EU-Importquote nach Deutschland bei circa 15% liegt. In den letzten Wochen scheine sich allerdings auch die Lage zu stabilisieren und auf den Wachstumspfad von vor der Corona-Krise zurückzukehren. Damit kann zumindest im Bereich der Frachtkosten auf eine mittelfristige Entspannung gehofft werden.
Ein Ausweichen auf Recyclingmaterialien sei in vielen Fällen nur begrenzt möglich. Für viele Anwendungen verhindern gesetzliche Sicherheitsvorschriften, technische Hürden und hohe Qualitätsanforderungen derzeit einen breiteren Einsatz von Rezyklaten. Auch sind Rezyklate vielfach noch nicht in ausreichenden Mengen in gleichbleibender Qualität verfügbar. Dort, wo Rezyklate etabliert sind, steigen die Preise parallel zur Neuware deutlich – und das bei sinkender Verfügbarkeit.
Warum wird Rohmaterial Holz ebenfalls so viel teurer?
Einerseits ist viel „schlechtes Holz“, also Holz, das aufgrund der Borkenkäfer-Krise zwangsgefällt werden muss im Markt. Das allerdings mache die Produktion andererseits aufwendiger und teurer. Denn morsche Stämme können sich in den Maschinen verfangen. Dazu kommt, dass in Amerika und Asien eine große Nachfrage nach hochwertigem Bauholz zu verzeichnen ist. Carsten Merforth, GF des weltweit agierenden Unternehmens Mercer Timber berichtet zusätzlich, dass es „auch coronabedingt auf den lokalen und regionalen Märkten einen extremen Bedarf an Holz“ gebe. Es werde in der Pandemie sehr viel zu Hause gearbeitet und viel renoviert", so Merforth gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Plusminus.
Holz wird aber auch als Baustoff immer beliebter. In Hamburg entsteht gerade ein Holz-Hochhaus. In München wird eine ganze Muster-Siedlung in Holzbauweise fertiggestellt. Und in Berlin-Tegel wird die weltgrößte Holzhaus-Siedlung geplant, mit 5.000 Wohnungen.
So stellt sich die Situation bei Beschlägen und im Metallbereich dar
Schon vor 2 Monaten berichtete der Fachverband Schloss- und Beschlagindustrie über eine sich im zweiten Quartal 2020 zuspitzende Preissituation für Vormaterialien der Fenster- und Türbeschläge. „Insbesondere in den letzten Monaten war eine zunehmende Beschleunigung dieses Trends im Bereich der NE-Metalle und der verschiedensten Stahlprodukte festzustellen. Für Unternehmen wird es immer aufwendiger, ihren Bedarf zu decken“, erläutert Holger Koch, stellvertretender Geschäftsführer des Fachverbandes Schloss- und Beschlagindustrie (FVSB).
„Die pandemiebedingten Preisrückgänge zum Jahresbeginn 2020 waren nur von kurzer Dauer. Seit dem zweiten Quartal ist eine regelrechte Preisrallye im Gange. Das unter anderem für die Schließzylinderherstellung wichtige Messing verteuerte sich zum Beispiel in den letzten elf Monaten um fast 53 Prozent“, erläutert Koch und ergänzt: „Wir befinden uns gerade auf einem 10-Jahres-Hoch, ein ähnlicher Sprung war zuletzt zum Jahresende 2016 zu sehen.“
Als Ursachen gab der Verband in seiner Mitteilung an, dass europäische Stahlhersteller ihre Produktionsmengen nach früheren Kapazitätsanpassungen nur langsam wieder hochfahren würden. Importe würden durch Schutzmaßnahmen der EU sowie steigender Absatzchancen in Asien kaum zur Entlastung beitragen. Die Kosten für Rohstoffe, insbesondere Eisenerz, Schrott oder auch Zink und Nickel hätten deutlich zugelegt. Zudem versuchen Händler und Einkäufer der stahlverarbeitenden Industrie mit Aufstockungen ihre Lagervorräte weiteren Preisanstiegen und möglichen Lieferengpässen zu entgehen.
Marktbeobachter sehen die momentane Stahlpreisentwicklung nachfrageseitig trotz knapper Versorgungslage zwar nicht gerechtfertigt und erwarten ein Abflachen der Preisanstiege, die Luft für kurzfristig wieder merklich niedrigere Preise scheint allerdings gering. Die Kurvenverläufe erinnern an die Preissprünge 2016/17 und der daran anschließenden Seitwärtsbewegung.