Glaswelt – Herr Grönegräs, vor Kurzem wurden die aktuellen Zahlen der heimischen Fensterbranche vorgestellt, was leiten Sie daraus für die Glasbranche ab?
Jochen Grönegräs – Der Fenstermarkt in Deutschland wird nach der gemeinsamen Studie der Verbände voraussichtlich 2023 insgesamt um 7,8 % deutlich zurückgehen, im Detail sind das dann – 4,7 % im Nichtwohnbau und – 8,9 % im Wohnbau. Und für 2024 wird ein Rückgang von 2,4 % prognostiziert, und diese Zahl geht schon davon aus, dass es eine gewisse Verschiebung vom dramatisch nachlassenden Neubau zur Sanierung geben wird. Unsere Zahlen für den Glasmarkt, die wir (www.bundesesverband-flachglas.de) separat erheben, ergeben für 2023 das gleiche Bild. Das sind Größenordnungen, die dem einen oder anderen Unternehmen ernsthafte Schwierigkeiten machen können..
GW – Wo sehen Sie gute Marktchancen für die Glasverarbeiter und ISO-Hersteller und ggf. davon abgeleitet auch für die Fensterbauer?
Grönegräs – Beim ganzen Segment der Nachhaltigkeit – das umfasst das Recycling und die Diskussion um Re-Use, ebenso wie die Umstellung auf nicht-fossile Energien – liegen die größten Chancen zur Weiterentwicklung. Mit nachhaltiger Produktion werden sich Glasanbieter vom Wettbewerb differenzieren können.
Aktives Verkaufen ist in solchen Zeiten natürlich wichtiger denn je; das höherwertige Segment ist durchaus offen für Zusatzfunktionen von der Sicherheit bis zum Vogelschutz.
Und: Die Sanierung müsste endlich hochlaufen. Stattdessen hat die Gesetzgebung hier die Leute massiv verunsichert und zu Attentismus geführt.
GW – Was erwarten Sie jetzt von der Politik?
Grönegräs – Vor allem Verlässlichkeit und Planbarkeit. Wirtschaftsminister Habeck hat im ersten Statement nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 15.11.2023 ausdrücklich die Förderung von Gebäudesanierungen als wichtige Aufgabe des Klima- und Transformationsfonds genannt, in dem ja jetzt 60 Mrd. Euro fehlen. Die Förderung muss weiter stabil ausfinanziert werden.
Es ist nicht gut, wenn der Eindruck entsteht, dass das in Frage gestellt ist – und übrigens auch nicht, wenn stets neue Förderhöhen diskutiert werden, da die Leute dann erst einmal abwarten, statt zu sanieren.
Wenn sich herausstellt, dass der 14-Punkte-Plan nicht ausreicht, wird nachgebessert werden müssen. Zusammen mit unseren Partnern in der Berliner Repräsentanz Transparente Gebäudehülle bleiben wir hier natürlich dran.
GW – Sie sprachen die Nachhaltigkeit und das Recycling an – was gibt es da für aktuelle Entwicklungen in der Flachglasbranche?
Grönegräs – Wir wissen aus Studien, dass Flachglasscherben bereits zum allergrößten Teil recycelt werden, aber nur selten in einem „Closed Loop“ (Geschlossener Kreislauf) wieder zu neuem Flachglas, sondern weit häufiger zu Hohlglas oder Glaswolle etc. verarbeitet werden. Eine Erhöhung des Closed-Loop-Anteils scheitert bislang aus meiner Sicht vor allem an der Art, wie das Recycling läuft: erst alles schreddern und dann die Glasanteile wieder heraussuchen. Hochwertige Flachglasscherben gewinnt man aber nur, wenn man das Glas separat aus dem Fenster oder der Fassade herauslöst. Dazu gibt es immer mehr Ansätze. Allerdings wird auch dadurch der Rohstoffbedarf für neues Glas immer nur zu einem Teil durch Scherben gedeckt werden können – schlicht weil jährlich am End of Life nur rund 20 Prozent derjenigen Glasmenge als Scherben anfallen, die neu produziert wird.
GW – Wie schätzen Sie 2024 für die Branche ein?
Grönegräs – 2024 dürfte wohl noch eine Durststrecke werden. Das Verrückte ist, dass die Rahmenbedingungen eigentlich gut sein sollten: Sowohl Neubau, speziell bezahlbare Wohnungen, als auch energetische Sanierung werden in Deutschland dringend gebraucht. Für die Energiewende sind unsere Produkte wichtiger denn je. Übrigens liegt darin auch die Chance, dass Glas den Wert zugemessen bekommt, den es verdient.
Einiges spricht dafür, dass es mit der Baukonjunktur auch wieder bergauf geht: Vielfach wird mit weiter sinkender Inflation und damit sinkenden Zinsen gerechnet. Die Bundesregierung hat ihren 14-Punkte-Katalog gegen die Baukrise vorgelegt, und dieser enthält einige richtige Ansätze, u. a. die Verdopplung der Förderung von Einzelmaßnahmen für Sanierungen auf 30 %, wenn auch mit zeitlichen und sonstigen Einschränkungen.
Es wird darauf ankommen, dass die Sanierung schnell genug anzieht, um die schlechte Lage beim Neubau zu kompensieren. Wenn man das nicht tut, besteht die Gefahr, dass inzwischen Personal abgebaut und Kapazitäten weggefallen sind.—
Das Interview führte Matthias Rehberger.