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Im Interview mit Prof. Ulrich Sieberath

“2004 war ja erst mal Krisenmanagment gefragt“

Glaswelt – Herr Prof. Sieberath, Sie haben eine Schreinerlehre begonnen und Holztechnik studiert. Warum sind Sie nicht in Essen geblieben und haben das Fensterbauunternehmen Ihres Vaters übernommen?

Prof. Ulrich Sieberath – Ende der 1970er war die Marktsituation für Fensterbauer sehr schwierig. Wir waren ein Betrieb, der ausschließlich Holzfenster gefertigt hat. Mein Vater hat zwar die Zeichen der Zeit schon erkannt, aber es war klar, dass eine Fertigung von Kunststoff- und Holz-Metall-Fenstern notwendig ist. Dies wäre am Standort nicht gegangen und eine Aussiedlung des Betriebes wäre die Konsequenz gewesen – sicher auch eine interessante Herausforderung für einen jungen Ingenieur. Nach einem Praxissemester im Institut für Fenstertechnik war aber klar, dass ich als Ingenieur die Fenstertechnik durch Forschung und Prüfungen weiterentwickeln wollte. Dieses Motiv hat mich dann die nächsten 37 Jahre im ift Rosenheim begeistert.

Glaswelt – Seit 1982 sind Sie am ift tätig – insgesamt 37 Jahre. Gab es in dieser Zeit auch den Wunsch, etwas völlig anderes zu machen?

Prof. Sieberath – Ja, diese Überlegungen hat es gegeben und an Angeboten aus der Industrie hat es nicht gemangelt. Die Arbeit im Institut war in den 37 Jahren aber so spannend und abwechslungsreich, dass mir die finale Entscheidung im ift zu bleiben leicht gefallen ist. Das lag sicher daran, dass meine Vorbilder Prof. Seifert und Prof. Schmid immer genau wussten, wann man „dem Sieberath“ neue Aufgaben geben musste. 1984 startete der Aufbau der Türenabteilung – damals noch in der „Baracke“. 1989 begann dann die spannende Aufgabe der Europäischen Normungsarbeit mit der Entwicklung von harmonisierten und EU-weit gültigen Produktnormen. 1994 bahnte sich der Aufbau der ift-Zertifizierungsstelle an.

Glaswelt – Ab wann tauchte das Karriereziel „Institutsleiter“ auf?

Prof. Sieberath – Das Karriereziel „Institutsleiter“ stand bei mir nicht zur Debatte, denn Prof. Josef Schmid und auch Hans Froelich waren für mich stets Vorbilder und Leitfiguren. Da konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals diese Rolle übernehmen sollte. Zudem haben die vielen neuen Aufgaben und Herausforderungen in der technischen Arbeit des ift immer meinen ganzen Einsatz verlangt. Deshalb war es folgerichtig, dass ich von Prof. Schmid die wichtige Obmannschaft des europäischen Fenster-Normenausschusses TC33 übernahm. 2001 folgte der Aufbau der Fassadenprüfung in Deggendorf und der Brandprüfeinrichtungen in Nürnberg. In diesen Jahren konnte ich in allen Aufgabenfeldern des ift wichtige Erfahrungen sammeln und wurde dann 2002 zum stellvertretenden Institutsleiter ernannt. Logischer „Karriereschritt“ war im Jahr 2004 die Übernahme der Institutsleitung und Geschäftsführung zusammen mit Dr. Jochen Peichl.

Glaswelt – Worüber haben Sie sich in Ihrer Karriere besonders aufgeregt?

Prof. Sieberath – Ich bin aus Überzeugung und mit Leidenschaft Forscher und Ingenieur und möchte immer die besten technischen bzw. sachlich richtigen Lösungen umsetzen. Natürlich weiß ich, dass im Kontext wirtschaftlicher und politischer Randbedingungen immer Kompromisse gefunden werden müssen. Leider fallen diese Kompromisse öfter zugunsten von Lobbyinteressen aus Politik, Verbänden und Industrie aus, und die technischen Argumente treten in den Hintergrund. Generell sind die Baubranche und damit auch die Fensterbranche im Ganzen oft etwas zu beharrlich und zögerlich und setzen innovative Technologien zu langsam um. Dennoch gibt es immer wieder Unternehmen, die risikofreudiger sind. Es freut mich besonders, wenn diese Firmen dann auch Erfolg mit neuer Technik haben.

Glaswelt – Man könnte ja meinen, Normen und Richtlinien wären eine sehr trockene Materie. Was hat Sie gereizt, sich in zahlreichen Normenausschüssen zu engagieren und Normen weiterzuentwickeln?

Prof. Sieberath – Viele stöhnen über die Normung. Ich habe dafür viel Verständnis, weil insbesondere kleine, mittelständische Betriebe und Handwerker Schwierigkeiten haben, die wichtigsten Normen und Regeln zu kennen. Da gibt es ja nicht nur die Technik, sondern weitere Themen wie Arbeits- und Steuerrecht. Aber die Normung ist die Sprache der Technik und vereinfacht die Konstruktion, das Angebotswesen und die Ausführung enorm – das wird oft vergessen. Zudem haben Vorschriften zu neuen Technologien geführt, die deutschen Betrieben einen technischen Vorsprung verschafft haben – man denke nur an energieeffizientes Bauen, das im Wesentlichen durch die Wärmeschutzverordnung angeschoben wurde. Damit hat die Normung deutsche Technik bekannt gemacht und das „Made in Germany“ mitbegründet. Da bin ich schon stolz, dass ich mit den Kollegen des ift hierzu beitragen konnte. Die Normenausschüsse haben mir persönlich auch die Möglichkeit gegeben viel zu lernen, beispielsweise die kulturellen Unterschiede in Europa, die verschiedenen Denk- und Sichtweisen von Menschen und damit auch das Handwerk der Diplomatie.

Glaswelt – Seit 2004 leiten Sie das ift und führen zusammen mit Dr. Jochen Peichl die Geschäfte. Was waren die wesentlichen Meilensteine für das Institut in dieser Phase?

Prof. Sieberath – Durch die Übernahme von verschiedensten Führungsaufgaben im ift und der umfangreichen Normungsarbeit war ich für die technischen und „diplomatischen“ Herausforderungen gut vorbereitet. Allerdings stand gleich zu Beginn die schwierige Aufgabe, das ift wieder auf wirtschaftlich und technisch vernünftige Beine zu stellen. Hierzu war es notwendig, die Geschäfte und Finanzen neu zu ordnen, Strukturen einzuführen und dem Institut eine tragfähige Zukunft zu sichern. Hier hat sich die „Doppelspitze“ mit der Aufgabenteilung zwischen Dr. Jochen Peichl und mir als optimale Lösung erwiesen. Denn ohne seine Erfahrung und Kompetenz in finanziellen Fragen und seine strukturierte Arbeitsweise hätte ich das alleine nicht geschafft. So konnten wir das Institut von damals ca. 7 Mio. auf heute knapp 23 Mio. Euro Umsatz mit ca. 230 Mitarbeitern entwickeln. Hinzu kamen auch eine stetige Ausweitung des Leistungsangebots und die Internationalisierung. Die Meilensteine als Institutsleiter waren die Sanierung des Hauptgebäudes inkl. innovativem Anbau mit einer PV-Fassade, die Gründung der ift MessTec, die Kooperation mit UL, der Aufbau des Technologiezentrums in Rosenheim sowie die Niederlassung ift West. Intern waren beispielsweise der Aufbau eines modernen Controllings und die Entwicklung der digitalen Infrastruktur mit dem ift-Portal und einer modernen ERP-Software sowie digitale Dienstleistungen (CE-Generator, Montageplaner oder ift-FEM) von Bedeutung.

Die Ernennung zum Professor 2012 war eine Auszeichnung für meine Lehrtätigkeiten seit 1984 und das innovative Weiterbildungsangebot EDPRO, das ich gemeinsam mit Prof. Heinrich Köster, dem Präsidenten der Hochschule Rosenheim, entwickelt habe.

Glaswelt – Wie haben Ihnen Ihre letzten Rosenheimer Fenstertage als Institutschef gefallen, was hat Sie besonders beeindruckt?

Prof. Sieberath – Meine letzten Rosenheimer Fenstertage haben mich sehr gefreut, denn wir haben mit dem Motto „Fenster for Future“ einmal wieder den Zeitgeist und die relevanten Themen für die Branche getroffen. In meinem Vortrag war ja auch ein kleiner Rückblick enthalten, der mir gezeigt hat, dass es wichtig ist, der Branche Orientierung und Impulse zu geben. Die Zustimmung und der begeisternde Applaus haben mich glücklich gemacht; das ist sicher einer der Augenblicke, die mir fehlen werden. Natürlich ist mein Eindruck subjektiv, aber ich bin mir sicher, dass die diesjährigen Fenstertage eine sehr gute Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung dieses wichtigen Branchentreffs bieten.

Glaswelt – Herr Professor Sieberath, wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute!—

Das Interview führte Chefredakteur Daniel Mund.

Mehr von Prof. Sieberath: Wir haben zusätzlich noch erfahren, mit welchen Branchen-Entwicklungen er nicht gerechnet hatte, welche Projekte ihm noch am Herzen liegen und was er macht, wenn er nicht mehr Institutsleiter ist. Dazu einfach den Webcode 1403 in die Suche auf glaswelt.de eingeben oder diesen Link verfolgen: www.bit.ly/Sieberath

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