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Raffstore versus ZIP, wer hat die Nase vorn?

Wird der Windfaktor überbewertet?

_ Sicher sind Videos von ZIP-Anlagen mit Werteangaben von über 200 km/h eher selten, aber sie sind verfügbar und können damit auch von Anwendern und Endverbrauchern gefunden werden. Da der Mensch meist simpel denkt und alles was mit Geschwindigkeit zu tun hat mit dem Auto assoziiert, ist die Schlussfolgerung einfach: Höhere Geschwindigkeitsangaben = besseres ZIP-System.

Dass sich einige Windtests dabei nur auf die Prüfbedingungen der Rollladennorm DIN EN 13659 beziehen, die bei den Tests zur Angabe der Windwiderstandsklasse nur feststellen bis zu welcher Windgeschwindigkeit das jeweilige System einmal funktioniert, weiß in der Regel nur der Fachmann. Damit werden die angegebenen Windwerte leider sehr oft vollkommen fehlinterpretiert und haben in vielen Fällen mit der Praxis nichts zu tun.

Eine Prüfung nach der zuständigen Norm DIN EN 1932:2011 ist bei ZIP-Systemen erst dann möglich, wenn die DIN EN 13561 im Bereich der Leistungserklärung in Kraft tritt, was wahrscheinlich Ende 2017 geschehen soll.

Versuchsaufbau der DIN EN 1932

Interessanterweise beschreibt das Kapitel 5 Lastaufbringungsverfahren der DIN EN 1932:2011 für ZIP-Anlagen z. B. im Verfahren Nr. 2 die Aufbringung einer gleichmäßig verteilten Last. Die Pruflasten werden dabei durch Anwendung einer Matte von 10 cm Dicke und durch Hinzufugen der gleichmäßig uber die Matte verteilten fehlenden Masse aufgebracht. Die aufgebrachte Gesamtlast muss die Pruflast sein, die um die Masse des Behanges verringert ist. Falls die fehlende Masse als Punktlast aufgebracht wird, mussen mindestens neun Lasten je m2 in regelmäßigen Abständen auf der Matte verteilt werden. Die Breite und die Höhe der Matte mussen 20 cm kleiner als die Breite und die Höhe des sichtbaren Teils vom Behang sein, um Blockierungen der freien Bewegung des Behanges zu vermeiden.

Die verwendete Matte muss dabei folgende Eigenschaften besitzen:

  • Masse: 3000&#8196;g/m<sup>2</sup> &plusmn; 5 %;
  • Dichte: 30 &plusmn; 2&#8196;kg/m<sup>2</sup>;
  • Härte: 170 &plusmn; 20&#8196;A40 nach ISO 2439

Was sich jetzt sehr kompliziert anhört, sagt nur mit sehr wenigen Worten, dass die Windwiderstandsklassen bei ZIP-Anlagen nach Prüfnorm zukünftig durch mechanische Belastungen mit Gewichten und nicht durch Windtests im Windkanal ermittelt werden.

Sicherlich bieten die Werte aus dem Windkanal eine erste Orientierung, um Anlagengrößen eines Herstellersystems in dem hergestellten Versuchsaufbau miteinander zu vergleichen. Sie sind aber überhaupt nicht geeignet, um unterschiedliche Systeme verschiedener Hersteller miteinander zu vergleichen.

Werbeaussagen und Ausschreibungen

So gesehen sind die Angaben der Hersteller und die Werteangaben in den Prospekten und Anzeigen mit Vorsicht zu genießen, denn Werbeaussagen in einem Prospekt können eine stillschweigende Beschaffenheitsvereinbarung sein. Das gilt schon länger für Verkäufer, jetzt aber auch für Handwerker. Diese Klarstellung traf kürzlich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Beschluss vom 27. Januar 2015, Az.: I - 22 U 154/14.

Die Entscheidung des Düsseldorfer Gerichts dürfte auch auf Werbeaussagen in anderen Medien übertragbar sein. Damit wird auch die Werbung etwa auf Internetseiten oder YouTube-Kanälen schnell zur Beschaffenheitsvereinbarung und birgt damit auch deutlich die Gefahr der Haftung, wenn im Rahmen des konkreten Vertragsschlusses nicht eine entsprechende Klarstellungen seitens des Handwerkers erfolgt.

Erste Streitfälle mit denen sich Gutachter befassen, müssen sich z. B. damit auseinandersetzen, was in einer Ausschreibung gemeint ist, wenn dort bei dem Produkt ZIP-System die Windklasse 3 nach DIN EN 13659 mit einem Wert von 80 km/h angegeben wurde und das ZIP-System dann in einem Abstand von 1,5 m oder 5 m vor der eigentlichen Fassade montiert worden ist. Bei Ortsterminen und im Schriftwechsel mit den Parteien finden sich dann schnell die passenden Fragmente wieder, die den Ausführungen der jeweiligen Partei gerecht werden, um den Parteivortrag entsprechend zu unterstützen. Hier stellt sich also nicht nur die Frage für welche Anlagengröße welcher Wert gilt, sondern auch für welche Ausführung mit welchem Behangmaterial und der entsprechenden Einbausituation.

Nur wenn diese Punkte einwandfrei beschrieben sind, ist es eigentlich erst möglich, einen genauen Windwert für das Produkt zu ermitteln. Gleiches gilt natürlich auch bei den verschiedenen Einbaufällen und Ausführungen von Raffstoren.

Und wer hat die Nase vorn?

Bei einem reinen Vergleich der Werteangaben von Herstellern liegt das ZIP-System vom Raff-store. Während bei Raffstoren Werte von 15 m/s die Normalität und 30 m/s das klare Maximum darstellen, sind es bei den ZIP-Systemen normal Werte um die 22 m/s, maximal bis zu 36 m/s.

Festhalten muss man aber auch die Tatsache, dass der Raffstore in der Regel dem erhöhten Windangriff erstmal ausweichen kann, während das ZIP-System in der Regel bei Böenwinden bis zum Austreten des Reissverschlusses aus dem Inlay oder der Beschädigung bzw. Zerstörung des Behangsmaterials widerstehen muss. So gesehen gilt es die Einbausituation und den Anwendungsfall zu prüfen, denn ein schlagendes Argument bei Raffstoren ist z. B. das Thema Lichtlenkung, Sichtschutz oder die Abdunklung.

Fazit

Reell betrachtet gibt es keinen Sieger, sondern in der Summe der Abwägungen zu den Anforderungen nur das richtige Produkt am richtigen Ort unter Beachtung der anerkannten Regeln der Technik. Nicht mehr und nicht weniger. Das bloße Schielen auf Windwerte kann da nicht an erster Stelle stehen, löst aber wenn es hart auf hart kommt Ansprüche der Kunden aus, die im Falle von Beschädigungen nach hinten losgehen können. Deshalb gilt es mit Augenmaß zu handeln und alle in Frage kommenden Parameter zu beachten. Ein Porsche 911 Turbo hat zwar Allrad und fährt über 300 km/h. Auf der nassen Wiese oder im Wald funktioniert das aber leider nicht.—

Olaf Vögele

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