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Im Interview mit Prof. Ulrich sieberath

Gibt es zu viele Normen?

Glaswelt – Prof. Sieberath, die Fülle der Normen wird nicht unbedingt weniger. Sind damit auch die allgemein anerkannten Regeln der Technik immer sauber definiert?

Prof. Ulrich Sieberath – Eigentlich sollte man nach der Anscheinsvermutung davon ausgehen, dass dies mit der Erfüllung der Normen so ist. In der Praxis werden aber viele Normen allein aufgrund ihres Alters regelmäßig von den anerkannten Regeln der Technik überholt. Streng genommen kann eine Norm aufgrund des teilweise langwierigen Normungsprozesses schon bei ihrem Inkrafttreten überholt sein.

Glaswelt – Welche Auswirkungen hat das für den Anwender in der Praxis?

Sieberath – Unternehmen, die ihre Produkte nach Norm ausführen, sind gehalten, sich fortlaufend mit der stetigen Entwicklung der anerkannten Regeln der Technik auseinanderzusetzen. Das gilt auch für Rechtsanwälte und Gutachter, die entsprechende Grundlagen für ihre Entscheidungen suchen. Bei Normen erfolgt eine Anpassung nur alle 5 bis 8 Jahre, wenn sie überarbeitet werden.

Glaswelt – Sie haben in Ihrem Vortrag über die Produktnorm EN 16034 (Türen, Tore, Fenster)und die Problematik mit dem zugehörigen CE-Zeichen berichtet. Was läuft da falsch?

Sieberath – Da mit der CE-Kennzeichnung nach EN 16034 auch Türen ohne Falle möglich sind, kann es Anwendungsbeschränkungen geben, weil in Deutschland die Falle bei Feuerschutzabschlüssen zwingend ist. Produkte in diesem Bereich dürfen zwar zertifiziert und verkauft, aber nicht verbaut werden.

Glaswelt – Frank Koos stellte in seinem Vortrag die Frage nach der Überregulierung. Sind wir mit Normen wie z. B. der DIN 18055 (Fenster)und DIN V 18073 (Abschlüsse) überreguliert?

Sieberath – Sagen wir mal so: Man kann solche Normen haben, es muss aber nicht unbedingt sein. Schwierig wird es immer dann, wenn nationale Normen z. B. in Ausschreibungsprozesse geraten, und Diskussionen mit europäischen Anbietern über deren Gültigkeit auftreten. Es dürfen halt keine marktausgrenzenden Faktoren in nationalen Normen vorhanden sein oder zusätzliche Anforderungen gestellt werden, die über die EN-Normen wie in diesem Fall die EN 14351 oder EN 13659/13561 etc. hinausgehen. Dass es auch andersherum gehen kann, beweisen die Tornormen, wo zukünftig mehrere Normen zusammengefasst werden sollen, um das ganze Anwendungsprozedere für den Nutzer einfacher und verständlicher zu machen.

Glaswelt – Präsident Timm sprach auf der VFF-Tagung davon, eine Branchen-Selbstverpflichtung mit einer Grundsicherheit fur RC1 bei den Fenstern zu schaffen. Einbruchschutz ist aktuell auch bei der KfW Bank und anderen Institutionen in aller Munde. Was tut sich in dem Bereich einbruchhemmender Produkte?

Sieberath – Es werden viele neue Produkte entwickelt. Glücklicherweise ist dieser Bereich mit den Normen EN 1627 und folgenden und seinen RC-Klassen sehr gut aufgestellt. Beachten sollte man hier, dass der Begriff „einbruchhemmend“ zwingend mit der Anwendung einer RC-Klasse verbunden ist und diese wiederum ein geprüftes Produkt nach RC-Klasse mit der dazugehörigen Montage nach RC-Klasse bedeutet. Auf dieser Basis arbeiten wir auch sehr gut mit den Landeskriminalämtern der Polizei zusammen.

Glaswelt – Das Thema Wartung ist mit der Forderung nach Angaben für die Produkte mit dem Thema Normen unweigerlich verknüpft. Gibt es überhaupt wartungsfreie Produkte?

Sieberath – Ein klares Nein. Jedes Produkt bedarf irgendwann einer Wartung oder Kontrolle. Hier haben schon so einige Hersteller böse Erfahrungen gemacht, die ihre Produkte ursprünglich als wartungsfrei deklariert hatten. Leider wird dieser Bereich auch aktuell nicht immer ernst genommen. So kommt es immer wieder zu Streitfällen, weil die Punkte nicht sauber geklärt sind. Man kann also jedem Hersteller nur empfehlen, entsprechende Angaben in den Wartungs- und Bedienungshinweisen zu machen und die Begleitpapiere zu komplettieren. Noch mal zur Klarstellung: Wartungsfrei bedeutet, der Bauherr kann ein Produkt z. B. so einbauen lassen, dass es danach nicht mehr zugänglich ist. In diesem Bereich der Normung besteht also noch akuter Handlungsbedarf bei vielen Herstellern.

Glaswelt – Jetzt noch einmal die Frage: Sind wir im Bereich der Normen überreguliert ?

Sieberath – Aus Hersteller- und Anwendersicht sicherlich ja. Aus unserer Sichtweise als ift können wir feststellen, dass wir gut aufgestellt sind, um Produkte mit CE-Zeichen herstellen und damit sichere Bauwerke errichten zu können. Mit Sicherheit gibt es auch Optimierungsbedarf. Beachten muss man aber auch, dass Normierungsprozesse auf europäischer oder weltweiter Ebene stattfinden und damit die Abstimmung der Inhalte nicht unbedingt einfacher wird. —

Die Fragen stellte Olaf Vögele.

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