Langfristig sehen wir gute Chancen für die deutsche Glasindustrie in der EU, insbesondere in Bezug auf die Energiewende und Nachhaltigkeit.
Foto: Matthias Rehberger / GW
Glaswelt – Herr Dr. Overath, wie schätzen Sie die Entwicklung der heimischen Glasindustrie für 2024 ein?
Dr. Johann Overath – Für die gesamte Glasbranche, die trotz Gas-Mangellage robust ist, sehen wir positive Anzeichen. Die Produktionen und Umsätze sind im Vergleich zu anderen energieintensiven Branchen solide. Dennoch sind die kurzfristigen Herausforderungen für die Glasindustrie beträchtlich, wir sprechen hier von den „4Ds“. Diese sind: 1. Dekarbonisierung; 2. Deglobalisierung; 3. Demographischer Wandel; 4. Digitalisierung.
Dazu kommen noch Herausforderungen durch rückläufige Absätze sowie Produktionsrückgänge, denn die Zahl der Baugenehmigungen ist in 2023 in den ersten drei Quartalen stark gesunken: im Wohnbau um 39 %, im Objektbau um 9 % und bei den Renovierungen um 10 %. Dies wirkt sich auf die Nachfrage nach Gläsern aus.
GW – Gibt es Licht am Horizont
Dr. Overath – Ja, trotz dieser Rückgänge bleibt die deutsche Flachglasindustrie robust und schneidet im Vergleich zu vielen anderen EU-Ländern besser ab. So erwarten wir im Laufe des Jahres auch eine Verbesserung am Markt.
GW – Wo sehen Sie aktuell für die Branche die größten Potenziale?
Dr. Overath – Im Bereich der Architekturgläser. Hier bieten Flachglasprodukte erhebliche Potenziale für die Dekarbonisierung und sind so gut positioniert, gerade auch bei der Sanierung und dem Austausch von Glas/Fenstern, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
GW – Welche Herausforderungen sehen Sie für die Glashersteller?
Dr. Overath – Die kurzfristigen Herausforderungen ergeben sich aus den „4Ds“. Wir erwarten vorübergehend einen Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung, aber dies sollte sich im Laufe des Jahres stabilisieren.
GW – Gibt es neue Entwicklungen bei der Floatherstellung in Bezug auf Energiekosten und die Abhängigkeit von Erdgas?
Dr. Overath – Die Versorgungslage mit Erdgas sieht gut aus, aber wir erwarten keinen Überfluss im Winter. Es besteht jedoch Zuversicht, dass es keine Produktionsausfälle geben wird. Die Verwendung von Wasserstoff statt Erdgas in der Floatglasproduktion ist prinzipiell möglich. Die Glasindustrie strebt eine klimaneutrale Produktion bis 2045 an und forscht an Möglichkeiten, prozessbedingte Emissionen weiter zu senken.
GW – Wo steht die Glasindustrie in Bezug auf die Verfügbarkeit von Wasserstoff?
Dr. Overath – Die Wasserstoffverfügbarkeit ist eine Herausforderung. Die Industrie testet bereits den Einsatz von Wasserstoff, aktuell könnten vielfach 30 % Wasserstoff dem Erdgas zugemischt werden. Leider sind aber weder genügend Wasserstoff noch die nötige Infrastruktur vorhanden
GW – Wie sieht es bei den Glasverarbeitern aus?
Dr. Overath – Bei Flachglasveredlern läuft es besser als bei den Floatherstellern. Der ifo Geschäftsklima-Index für Flachglasveredler liegt nur leicht unter dem Bezugswert aus dem Jahr 2015 (Basisjahr 2015 = 100, 2023 = 91). Dennoch besteht Potenzial für Verbesserungen. Aktuell zeigt der Auftragsbestand positive Anzeichen.
GW – Ist die Branche innovativ genug? Welche neuen Produkte und Anwendungen sehen Sie?
Dr. Overath – Ja, die Glasbranche arbeitet sowohl an ihren Produktionsprozessen als auch an innovativen Produkten. Glas spielt eine entscheidende Rolle bei der Energiewende, sei es im Bauwesen oder in der Photovoltaik. Neue Anwendungen für Glas, wie Vakuumglas und schaltbare Gläser sind vielversprechend. Die Digitalisierung wird ebenfalls neue Möglichkeiten eröffnen. Glas ist ein wichtiger Bestandteil der erneuerbaren Energien.
GW – Welche Wünsche haben Sie für die Branche im Jahr 2024?
Dr. Overath – Wir benötigen wettbewerbsfähige Strom- und Energiepreise. hoffen auf die Bewältigung von Arbeitskräftemangel, Unterstützung durch Digitalisierung und Nachwuchsförderung. Die wirtschaftliche Situation sollte sich erholen und der Strompreis muss mindestens auf das Niveau vor 09/2022 sinken, um die Dekarbonisierung der Glasindustrie zu ermöglichen. Langfristig sehen wir gute Chancen für die Glasindustrie in Deutschland, gerade in Bezug auf die Energiewende und nachhaltiges Bauen.
Das Interview führte Matthias Rehberger.