Glaswelt – Wo sehen Sie bei Fenster- und Fassadengläser steigende Anforderungen, und was müssen solche Gläser künftig noch leisten?
Spiß – Durch das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit, steigen die Anforderungen an die Gebäudehülle: Die Gläser sollen noch besser dämmen, inklusive eines optimierten Gesamtenergiedurchlasses, um den Energieverbrauch und den CO2-Ausstoß beim Heizen/Kühlen eines Bauwerks weiter zu senken. Die Planung muss die weitere Entwicklung des Klimas berücksichtigen, was zu noch effektiveren Sonnenschutzbeschichtungen mit höherer Lichttransmission führen wird. Hierbei wird es das Ziel sein, eine maximale Nutzung an Tageslicht zu erzielen, um das Wohlbefinden der Gebäudenutzer zu verbessern. Weiter werden immer mehr Gläser mit Zusatzfunktionen wie Vogelschutz, Funktransparenz u.a. nachgefragt werden.
Die Nachfrage nach projektspezifisch angepassten Glas-Produkten, die weit über den heutigen Standards von Wärme- und Sonnenschutzglas liegen, wird deutlich zunehmen. Damit wird die Planung der (Fassaden-)Gläser immer komplexer.
Matthias Rehberger / GW
GW – Was bedeutet das für die Praxis?
Spiß – Die Nachfrage nach projektspezifisch angepassten Glas-Produkten nimmt deutlich zu, und diese liegen teils weit über Standard-Wärme- und Sonnenschutzgläsern. Damit wird die Planung der (Fassaden-)Gläser immer komplexer. Es entsteht also neben den steigenden Anforderungen eine hohe Komplexität, mit dem Ziel, das jeweils beste Glasprodukt zu finden.
GW – Was fordern Bauherren/Planer im Detail?
Spiß – Neue bzw. zusätzliche Anforderungen entstehen durch Nachhaltigkeitsbestrebungen der Bauherren, wodurch die Glasindustrie angehalten wird, möglichst klimaneutral zu produzieren. Die Folge: Schon heute werden eine Vielzahl an unterschiedlichen Nachhaltigkeitsnachweisen für Glasprodukte am Markt angeboten, mit denen sich die Glasanbieter auseinandersetzen müssen, Tendenz steigend. Leider steckt das Thema noch in den Kinderschuhen, und es muss sich erst noch erweisen, welche dieser Nachhaltigkeits-Programme auch wirklich zielführend die Nachhaltigkeit unterstützen.
GW – Eine spannende Entwicklung sind funktransparente Gläser, welche das Telefonieren hinter Glas vereinfachen. Können Sie das erläutern?
Spiß – Bei solchen Gläsern sind die Beschichtungen (z.B. für Wärmedämmung, Sonnenschutz) perforiert, in der Regel durch Laserbearbeitung. Diese quasi unsichtbaren Perforierungen lassen die Funkwellen leichter durch als dies z.B. bei 3-fach-Isoliergläsern der Fall ist. Der Effekt ist, dass die Konnektivität zwischen Sender und Empfänger verbessert wird, was wiederum die Antennenleistung des Mobiltelefons entlastet. Dadurch senkt sich der Elektrosmog im Gebäudeinneren und erhöht die Akkulaufzeit von Mobiltelefonen. Zudem hat man durch diese passive Maßnahme guten Datenempfang, ohne ein zusätzliches aktives Verstärkersystem einbauen zu müssen. Ein funktransparentes Glas ist ein durch und durch nachhaltiges Bauprodukt.
GW – Vogelschutz ist ein heiß diskutiertes Thema. Sehen Sie, dass Fenster- und Fassadenbauer bereits dafür sensibilisiert sind und solche Gläser aktiv bei den Endkunden anbieten bzw. bei den ISO-Herstellern nachfragen?
Spiß – Hier sehen ich bei bei Objektfassaden eine stark ansteigende Nachfrage nach Vogelschutzgläsern. Man könnte sagen, es findet eine schleichende Sensibilisierung statt. Früher haben sich ausschließlich innovative Architekten und Bauherren für solche speziellen Gläser interessiert. Heute ist das Thema wieder stärker in den Fokus gerückt. Dennoch ist es in der breiten Masse d.h. beim privaten Endkunden noch nicht angekommen.
Vogelschutzgläser stellen heute einen recht kleinen Anteil der gesamten Glasproduktion dar. Dennoch ist die Nachfrage stetig gestiegen und man sieht, dass im Falle von gesetzlichen Regeländerungen (wie in Hessen), es sehr schnell gehen kann, um die Nachfrage deutlich zu steigern.
GW – Ab und an bekomme ich Anrufe von Endkunden, die Vakuum-Gläsern suchen. Werden solche Gläser bald zu Standardprodukten?
Spiß – In den vergangenen Jahren hat es vermehrte Anstrengungen einiger Hersteller gegeben, um marktreife Produkte zu produzieren. Dennoch ergeben sich in der Anwendung immer wieder Einschränkungen, dies bezieht sich u.a. auf die verwendbaren Glasarten und Größen. Weiter sollte man bedenken, dass aktuelle Standard-Isoliergläser großteils wesentlich dicker sind als Vakuumgläser. Deshalb müssen die Rahmenkonstruktionen und Dämmsysteme entsprechend an die dünnen Vakuumgläser angepasst werden. Eine mögliche Marktdurchdringung wird noch einige Jahre dauern.
GW – Ein heißes Zukunftsthema ist das Recycling von Flachglas. Wie sehen Sie die Entwicklung, alte Isoliergläser der Wiederverwertung zuzuführen?
Spiß – Der Recyclinganteil von Fassaden- und Isoliergläsern nach ihrer Nutzung im Gebäude ist zu gering. Um das zu verbessern, müssten Baugläser so gut wie möglich sortenrein recycelt werden. Das erfordert Produkte, die sich technisch leichter recyceln lassen sowie ein branchenübergreifendes Bestreben dies umzusetzen. Aktuell sind beim Abriss bzw. Rückbau von Gebäuden verschiedene Gewerke beteiligt, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Um Isoliergläser zeitnahe in großem Umfang recyceln zu können, braucht es eine branchenübergreifende (Flachglas, Hohlglas, Dämmstoffe) Institution, welche die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen überprüft, mögliche Vorhaben vorantreibt und eventuell auch organisiert. Zudem müssen die beteiligten Industrien eigene Aktionsgruppen aufbauen. Vor allem benötigt es aber neue Qualitätsstandards, denn mit einem hohen Anteil an wiederverwendetem Glas, werden heutige Standards wohl nicht eingehalten werden können.
GW – Kurz auf den Punkt gebracht, was müssen die Isolier- und Fassadengläser von morgen alles leisten?
Spiß – Die Glasprodukte von morgen müssen noch mehr Funktionen erfüllen als bisher, um das Wohlbefinden der Gebäudebenutzer zu erhöhen. Zudem müssen sich die Gläser in der Kreislaufwirtschaft ohne großen CO2-Abdruck wiederverwerten lassen. Bedenkt man die Vorteile welche unser Produkt für das Wohlbefinden und die Nachhaltigkeit von Gebäuden bereits leisten bin ich zuversichtlich, dass die Branche die neuen Zusatzaufgaben erfolgreich bewältigen wird.
Das Interview führte Matthias Rehberger