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Glasbau in der Schweiz (Teil 01)

SIA 2057 vs. DIN 18008

Die Schweiz wurden bisher unterschiedliche, ältere und neuere, ausländische Regelwerke wie z. B. die TRLV [1], die DIN 18008 [2] oder die ÖNorm B-3716 [3] angewendet. Dies führte immer wieder zu Problemen, auch weil das Normenverständnis in der Schweiz anders geprägt ist als in Deutschland. Das neue Merkblatt SIA 2057 Glasbau [4] schliesst diese Lücke und bildet eine Grundlage zur sicheren Glasbemessung in der Schweiz. Nachfolgend wird aufgezeigt, in welchen Punkten sich die Schweizer SIA 2057 von der DIN 18008 Teil 1-6 unterscheidet und wo die Gemeinsamkeiten liegen.

Hintergrund: Bisher waren in der Schweiz lediglich in einzelnen SIA Normen im Bereich des Fenster- und Fassadenbaus informativ zulässige Glasspannungen, analog der TRLV, aufgeführt.

Diese sind aber nicht mit den semi-probabilistischen Bemessungskonzepten der SIA Tragwerksnormen und den in der Schweiz geltenden Eurocodes kompatibel. Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) oder eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) existiert in der Schweiz nicht.

Planer und Ingenieure mussten sich mit den schweizerischen Glasrichtlinien behelfen und an EU-Regelwerken orientieren. Dies führte oft zu einer teils recht freien Interpretation ausländischer Normen, insbesondere der DIN 18008-Reihe [2] [5] [6] [7] [8] [9], indem Norminhalte vermischt oder nicht konsequent angewendet wurden.

Die schweizer SIA-Normen sind grundlegend liberaler bzw. offener formuliert als die EU-Normen. SIA-Normen sollen nur grobe Leitplanken vorgeben, verlangen von einem Ingenieur in der Schweiz jedoch auch wesentlich mehr Eigenverantwortung und Sachkenntnis.

Durch diese Haltung sollen Innovationen gefördert und nicht durch ein zu restriktives Normenwesen eingeschränkt werden.

Die Übersicht der Schweizer NB-Nachweise einer gebrochenen Scheibe.

Foto: Thomas Wüest,
Hochschule Luzern (CH)

Die Übersicht der Schweizer NB-Nachweise einer gebrochenen Scheibe.

„SIA 2057 Glasbau“ als Basis in der Schweiz

Das von der Schweizer Normenkommission SIA 268 erarbeitete Merkblatt „SIA 2057 Glasbau“ bildet eine Grundlage und richtet sich an Fachleute der Projektierung, Bauleitung und Bauausführung sowie Bauherrschaften.

Das Merkblatt soll einerseits eine einfache und sichere Bemessung von Glas garantieren und andererseits innovative Lösungen ermöglichen. Bauteilversuche sind oft zeit- und kostenintensiv und in bestimmten Situationen unverhältnismässig, weshalb die SIA 2057 wo immer möglich rechnerische Alternativen bietet.

Oft wurde bisher die TRLV / TRAV bzw. nachfolgend die DIN 18008 angewendet. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich das Merkblatt SIA 2057 an der DIN 18008, am zukünftigen Eurocode 11 für Glas und den bewährten, einfachen Nachweisformaten orientiert.

Da jedoch auch dem liberalen Schweizer Normenverständnis Rechnung getragen wird, und Überprüfungselemente wie abZ und ZiE nicht existieren, müssen viele Aspekte berücksichtigt werden. Dazu setzt die SIA 2057 auf ein 4-stufiges Nachweiskonzept, das vom Grundgedanken auch in der Praxis beim Umgang mit Glas in der Schweiz bereits verbreitet ist:

  • Tragsicherheitsnachweis
  • Gebrauchstauglichkeitsnachweis
  • Sicheres Buchverhalten
  • Nachweise im Bruchzustand
  • So erfüllen z. B. Überkopfverglasungen diese Betrachtungsweise schon seit längerer Zeit; Bemessung auf Tragsicherheit, Begrenzung der Verformungen, Anforderungen an den Aufbau für das sichere Bruchverhalten und den Ausfall der oberen Scheiben als Nachweis im Bruchzustand.

    Gemeinsamkeiten zur DIN 18008

    Die Tragsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweise unterscheiden sich formal nur geringfügig von denen der DIN 18008-Reihe. Für den Bemessungswert der Zugfestigkeit gibt es nur eine Gleichung für alle Glastypen (Float, TVG und ESG). Über einzelne Beiwerte werden der Konstruktion, der Kantenbeanspruchung, der Einwirkungsdauer sowie der Verbundwirkung Rechnung getragen.

    Für den Beiwert zur Berücksichtigung der Einwirkungsdauer kmod werden 5 Werte vorgeschlagen, welche typische Einwirkungsdauern für die Schweiz abdecken. Die Bemessungswerte und die Grenzwerte für den Nachweis der Gebrauchstauglichkeit liegen in einem ähnlichen Niveau wie nach DIN 18008-1. Die verschiedenen Anforderungen sind in der SIA 2057 nach Bauteil bzw. Anwendungsfall getrennt.

    Die Nachweise des sicheren Bruchverhaltens werden in den einzelnen Bauteilkapiteln spezifiziert. Hierbei wird besonders eine geeignete Glaswahl und das Einhalten konstruktiver Vorgaben verlangt. Die Regelungen, wo z. B. Verbundsicherheitsglas (VSG) einzusetzen ist, sind ähnlich wie in der DIN 18008. Für ein VSG mit mehr als 2 Glasscheiben darf nach SIA 2057 die Foliendicke von 1.52 mm auf jeweils 0.76 mm reduziert werden.

    Eine weitere Übereinstimmung betrifft die Einschränkung von ESG in Vertikalverglasungen. Grundsätzlich werden monolithische, vertikale Verglasungen mit Oberkanten über 4 m nur 4-seitig gelagert zugelassen, ansonsten wird VSG empfohlen. Bei monolithischem ESG ist generell ESG-HST nach EN 14179 zu verwenden und zusätzlich eine Risikoanalyse zu ­erstellen.

    Schematische Darstellung der Bruchzustände NB1, NB2, NB3A, NB3B und NB4 mit Einwirkungszuständen

    Foto: Thomas Wüest, Hochschule Luzern (CH)

    Schematische Darstellung der Bruchzustände NB1, NB2, NB3A, NB3B und NB4 mit Einwirkungszuständen

    Nachweise im Bruchzustand

    Bauteilversuche für den Nachweis der Reststandsicherheit und Resttragfähigkeit im gebrochenen Zustand sind zeit- und kostenintensiv. Grundsätzlich ist auch gemäss Merkblatt SIA 2057 ein versuchstechnischer Nachweis die wirtschaftlichere Vorgehensweise. Mit der Einführung des sogenannten NB-Konzepts als Nachweis im Bruchzustand kann auf diese jedoch in vielen Anwendungsfällen verzichtet werden.

    Für die Nachweise im Bruchzustand sind eine Palette an Bruchzuständen und Einwirkungen vorgegeben, wobei zwischen teilweise und vollständig gebrochenen Zuständen unterschieden wird. Während im teilweise gebrochenen Zustand noch mindestens eine Glasscheibe verbleibt, um die Belastbarkeit rechnerisch nachzuweisen, müssen im vollständig gebrochenen Zustand Bauteilversuche durchgeführt werden.

    Je nach Anwendungsfall müssen im teilweise gebrochenen Zustand entweder eine gebrochene Scheibe (NB3A) oder zwei gebrochene Scheiben (NB3B) berücksichtigt werden. Alternativ kann der Nachweis immer versuchstechnisch im vollständig gebrochenen Zustand (NB4) erfolgen. Ist beispielsweise für ein VSG ein Nachweis nach NB3B gefordert, kann dieses entweder rechnerisch mit drei Glasscheiben, mit einer nicht gebrochenen Glasscheibe, nachgewiesen werden, oder mit einem Versuch an einem vollständig gebrochenen 2-fach-VSG.

    Darüber hinaus wird nach Einwirkungszuständen unterschieden; ohne Einwirkung bzw. unter Eigengewicht und mit einer zusätzlichen Einwirkung. Ohne zusätzliche Einwirkung wird von der Verglasung verlangt, dass sie nach dem Bruch unter Eigengewicht eine gewisse Zeit in der Lagerung verbleibt und durch herabfallende Glasstücke keine Personen verletzt werden.

    Der Zustand unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Einwirkung entspricht einer aussergewöhnlichen Bemessungssituation mit der Leiteinwirkung Ad11∙Qk1 gemäss SIA 2057.

    Diese Einwirkung gilt sowohl für den entsprechenden teilweise gebrochenen als auch vollständig gebrochenen Zustand.

    Die Übersicht der NB-Nachweise (Bild 01):

  • NB0 keine zusätzlichen Nachweise
  • NB1 Resttragfähigkeit unter Eigengewicht im teilweise gebrochenen Zustand
  • NB2 Resttragfähigkeit unter Eigengewicht im vollständig gebrochenen Zustand
  • NB3 Resttragfähigkeit unter Eigengewicht und weiteren Einwirkungen im teils gebrochenen Zustand, wobei bei NB3A eine und NB3B zwei gebrochen Scheiben anzusetzen sind.
  • NB4 Resttragfähigkeit unter Eigengewicht und weiteren Einwirkungen im vollständig gebrochenen Zustand.
  • In vielen Fällen bzw. Nachweisen beeinträchtig dieses Konzept die bisherigen Glasbauten kaum. So fällt im Nachweis NB3A eine Scheibe weg, während noch mindestens 1 Scheibe für den rechnerischen Nachweis verbleibt. Für den Tragsicherheitsnachweis wird eine veränderliche Leiteinwirkung mit dem Lastbeiwert γQ=1.5 multipliziert, während sie der aussergewöhnlichen Bemessungssituation mit dem Reduktionsbeiwert ψ11=0,5 bis 0,7 multipliziert wird. Daraus ergibt sich ½ des Widerstandes und ca. ½ der Einwirkung, wodurch diese oft kaum ins Gewicht fällt.

    Im zweiten Artikelteil beleuchten die Autoren, wie in der Schweiz die Bemessung von VSG erfolgt und was bei absturzsichernden Gläser zu beachten ist. Lesen Sie dort auch, warum es bei den Klimalasten deutliche Unterschiede bei der Bemessung gelten.

    Quellen: Die Quellenangaben finden sind im 2. Artikelteil.

    Die Autoren

    Thomas Wüest (MSc), Thomas Stöckli und Prof Dr. Andreas Luible, Kompetenz­zentrum für Gebäudehülle und Ingenieurbau an der Hochschule Luzern Technik & ­Architektur (Schweiz)

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