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DIN 18008 Novellierung

Kleine Isoliergläser können nun nachgewiesen werden

Die bauaufsichtliche Einführung der überarbeiteten Teile 1 und 2 der DIN 18008 wird voraussichtlich 2022 erfolgen. Deshalb sollten sich nicht nur Isolierglas-Hersteller, sondern insbesondere auch Fenster- und Fassadenbauer (d. h. die Ersteller von Verglasungen) sowie Planer schon jetzt damit befassen, da sich aus der Novellierung neue Chancen, aber auch Risiken für alle Beteiligten ergeben.

Zur Erinnerung: Die Verglasung ist viel mehr als nur das Glas

Der neue Teil 2 trägt wie bisher den Titel „Linienförmig gelagerte Verglasungen“. Was genau mit dem Begriff „Verglasung“ gemeint ist, der in ­allen Teilen der Normenreihe vorkommt, steht im neuen Teil 1, A.4: „Verglasung bezeichnet ein Einfachglas oder Mehrscheiben-Isolierglas zusammen mit allen für die Befestigung und Abdichtung erforderlichen Komponenten.“

Die Normenreihe DIN 18008 richtet sich also nicht primär an Glashersteller, sondern an diejenigen, die planerisch oder praktisch Glas mit ­Haltekonstruktionen zusammen bringen. D. h. an alle, die Verglasungen planen oder erstellen (letztere sind im bauordnungsrechtlichen Sinne ­„Anwender der Bauart Verglasung“).

Daher gibt auch die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen dieser Zielgruppe in den Anlagen zu A 1.2.7.1 und B 2.2.1.3 die klare Anweisung, dass bei der Planung, Bemessung und Ausführung von Glaskonstruktionen in Fenstern, Außentüren und Fassaden die Normenreihe DIN 18008 zu beachten ist. Die Anweisung richtet sich also auch an Fenster- und Fassadenbauer, an Glasverarbeiter sowie an Planer und Architekten.

Nachteile der bisherigen DIN 18008

Nach der bisherigen Norm gelingt bei kleinformatigen Mehrscheiben-Isoliergläsern (MIG) aus Floatglas – sogenannten „Handtuchformaten“ – der glasstatische Nachweis oft nicht ­(lesen Sie dazu die GLASWELT 10/2014, Seite 128-130 und 11/2014, Seite 76-77). Der Grund ist, dass bei Klimalast, hervorgerufen durch das Ausdehnen/Zusammenziehen des Füllgases im SZR, teils sehr hohe Spannungsüberschreitungen errechnet werden, was dazu führt, dass vorgespanntes Glas verwendet werden muss.

Bei Vertikalverglasungen kleiner 1,6 m² wird daher häufig die Nachweiserleichterung (NWE) des bisherigen Teils 2, Abs. 7.5 angewandt. Diese NWE gab es schon in den früheren Technischen Regeln TRLV und befreit bis heute solche kritischen MIG komplett vom glasstatischen Nachweis.

Es erscheint fast absurd, ausgerechnet diese ­kritischen, „Handtuch-formatigen“ Isoliergläser vom Nachweis zu befreien. Doch das hat seinen Grund: Denn Spannungsüberschreitung bedeutet ja nicht automatisch Glasbruch, sondern ­eine Erhöhung der statistischen Bruchwahrscheinlichkeit auf ein Maß, dass die Sicherheit reduziert ist, und dass im Sinne des Bauordnungsrechts ­eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung resultieren könnte.

Wenn aber kleinformatige MIG aufgrund Klimalast brechen, bleibt die Schadensfolge i. d. R. gering. Das Isolierglas ist dann zwar defekt und muss getauscht werden. Aber der bruchaus­lösende Über-/Unterdruck im SZR ist abgebaut. Und da nahezu alle Splitter bis zum Randverbund reichen, wo sie verklebt und gehalten sind, fallen sie nicht herab. Es resultiert also keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Wie sehen die neuen Nachweisverfahren aus?

Auf den genannten Erkenntnissen basiert das neue Nachweisverfahren, das die bisherige NWE ersetzt. Die Hauptunterschiede des neuen Verfahrens sind (siehe Grafik, unterer Teil):

  • Kleinformatige MIG mit geringer Schadens­folge werden im neuen Teil 2, Abs. 6.1.4 anders definiert. Sie können z. B. bei Einhaltung bestimmter Mindestglasdicken bis zu 2 m² groß sein. Und die Einschränkung auf Vertikalverglasungen ist entfallen. (Achtung: Der bisherige, bei Horizontalverglasungen aus MIG stets zu führende Nachweis „Ausfall der obersten Einzelscheibe“ bleibt aber verpflichtend.)
  • Es sind zwei Nachweisstufen wählbar: Bei Nachweisstufe 1 darf der Tragfähigkeitsnachweis mit kleineren Teilsicherheitsbeiwerten für Klimaeinwirkungen durchgeführt werden. Gelingt dieser Nachweis nicht, darf Nachweisstufe 2 gewählt werden.
  • Bei Nachweisstufe 2 wird angenommen, dass alle Scheiben des MIG bis auf die tragfähigste Einfachscheibe gebrochen sind. Diese wird gegenüber äußeren Lasten (Wind etc.) nachgewiesen. Anschließend erfolgt der Tragfähigkeitsnachweis des ungebrochenen MIG.

    Dabei darf bei thermisch entspanntem Glas (Float-/Ornamentglas) ein deutlich kleinerer Material-Teilsicherheitsbeiwert verwendet werden, womit das Glas nun spannungsmäßig deutlich höher ausgenutzt wird.

    Chancen und Risiken der Novelle

    Mit dem neuen Nachweisverfahren sind nun ­Isoliergläser aus Floatglas wieder mit kürzeren Kantenlängen nachweisbar. Bereits bei Nachweisstufe 1 ergeben sich ähnlich kurze Kantenlängen wie nach TRLV. Das statistische Bruchrisiko aufgrund Klimalast ist bei 100 % Spannungsausnutzung gegenüber dem des bisherigen Standard-Nachweises zwar erhöht und beträgt statt weniger als 1 : 1 Mio. nun etwa 1 : 50.000 bis 1 : 10.000. Das ist eine Größenordnung, die schon zu TRLV-Zeiten allgemein akzeptiert wurde.

    Bei Nachweisstufe 2 ist die Lage anders. Da thermisch entspanntes Glas deutlich höher ausgenutzt werden darf, liegt hier das statistische Bruchrisiko aufgrund Klimalast bei 100 % Spannungsausnutzung nun bei etwa 1 : 1.000 bis 1 : 500.

    Planer und Ersteller von Verglasungen (also auch Fenster- und Fassadenbauer) sollten daher die Nachweisstufe 2 nicht pauschal anwenden, sondern nur im Einzelfall. Und auch nur dann, wenn alle Beteiligten – inklusive Isolierglas-Hersteller – bereit sind, das erhöhte Glasbruchrisiko zu tragen. Denn obwohl keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, kann die Reklamationsquote steigen.

    Fazit zu den neuen Nachweisen der DIN 18008

    Das neue Nachweisverfahren erfordert zwar immer eine Berechnung, bietet aber bereits bei Nachweisstufe 1 die Chance, kleinformatige Mehrscheiben-Isoliergläser aus Floatglas wieder mit kurzen Kantenlängen, ähnlich wie nach TRLV, nachzuweisen. Planer und Ersteller von Verglasungen, die diese Chance schon nutzen wollen, müssen die Anwendung der neuen Norm mit allen Beteiligten gesondert vereinbaren, da die neuen Normteile noch nicht bauaufsichtlich eingeführt sind. Damit ist aber ab 2022 zu rechnen.

    Die Nachweisstufe 2 sollte hingegen nicht pauschal angewendet werden, sondern nur im Einzelfall und nur dann, wenn alle Beteiligten, inklusive der Isolierglas-Hersteller, das erhöhte Glasbruchrisiko akzeptieren.

    Nicht ohne Grund wurde der folgende, hinlänglich bekannte Warnhinweis aus dem bisherigen auch in den neuen Teil 2 der Norm übernommen: „Unterschreitet die Länge der kürzeren Kante den Wert von 500 mm (2-fach-Isolierglas) und 700 mm (3-fach-Isolierglas), so erhöht sich jedoch bei Scheiben aus thermisch nicht vorgespanntem Floatglas das Bruchrisiko infolge von Klimaeinwirkungen.

    Grafik: Nicht nur für Glasverarbeiter relevant: Die Änderungen bei der DIN 18008 nehmen auch Fenster- und Fassadenbauer sowie Planer und Architekten in die Verantwortung.

    Grafik: Flachglas MarkenKreis

    Grafik: Nicht nur für Glasverarbeiter relevant: Die Änderungen bei der DIN 18008 nehmen auch
    Fenster- und Fassadenbauer sowie Planer und Architekten in die Verantwortung.

    DER AUTOR

    Dipl.-Ing. Martin Reick,
    Flachglas MarkenKreis GmbH, Gelsenkirchen

    Foto: Flachglas MarkenKreis

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