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Was sagen Bastian Timm, Stephan Gerwens, Helmut Hilzinger, Marc Schütt?

Fenster als Schadens­verursacher – was sind die Ursachen?

Wir haben den Stakeholdern der Branche – den Fensterherstellern und dem Sachverständigen Fragen zu diesem hohen Schadensaufkommen gestellt. In den Antworten der Produzenten werden völlig unterschiedliche Aspekte angesprochen. Herauszulesen war bei allen Dreien die große Leidenschaft für dieses Bauelement. Der ö.b.u. v. Sachverständige Marc Schütt hat die Statements um den Blickwinkel des Gutachters bereichert.

Wir haben die Experten gefragt:

Was ist aus Ihrer Sicht die Hauptursache für die offenkundig vielen Probleme – ist das Fenster zu komplex geworden, oder haben wir nicht mehr genügend qualifizierter Fachleute, um es auch entsprechend in die Nutzung zu bringen?

Was früher Ausnahme war ist heute Standard

Bastian Timm leitet nach einer Bankausbildung und einem Wirtschaftsingenieurstudium an der TU Hamburg-Harburg seit 2020 gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern das Unternehmen Hans Timm Fensterbau.

Foto: Hans Timm Fensterbau

Bastian Timm fasst die Ursachenforschung weiter. Nicht nur sei der Fenster- und Fassadenbauer zwischenzeitlich für die gesamte Gebäudeöffnung verantwortlich. Siehe Anforderungen wie Energieeffizienz, Schallschutz, Einbruchsicherheit, Barrierefreiheit, Absturzsicherheit; aber auch Features wie Lüftung, sommerlichen Wärmeschutz, äußere Fensterbank, Insektenschutz: Dies überfordere Planer und Ausschreiber, Zulieferer, Systemgeber, die ausführenden Verarbeiter und auch die Montagebetriebe.

Zusätzlich habe sich die Architektur geändert, so dass größere Fensterflächen, bodentiefe Elemente und anspruchsvolle ästhetische Vorgaben dominierten – alles das wiederum mit weiteren, energetischen und komforttechnischen, Auswirkungen auf die Qualitätsstandards in der Montage. Dazu würden „Fenster heute zunehmend in Einbaulagen montiert, die vor Jahren noch die Ausnahme waren, was die technische Komplexität weiter steigert“.

„Die Rahmenmaterialien werden überstrapaziert“

Kann auf eine einzigartige ­Erfolgsstory in der Fensterbranche zurückblicken: 1976 übernahm Glasermeister Helmut Hilzinger den Betrieb von seinen Eltern und begann auf Kunststofffenster zu setzen.

Foto: Daniel Mund / GLASWELT

Auch Helmut Hilzinger greift das Thema immer ehrgeizigerer, gestalterischer Vorgaben an das Bauteil Fenster auf: „In wenigen Fällen gelingt es uns, die Bauherren oder Architekten auf die Problematik hinzuweisen und die Fenster zu verkleinern oder zumindest noch zu unterteilen, dass die beweglichen, überdimensionierten Flügel kleiner gebaut werden können.“ So würden die Rahmenmaterialien – ob Holz, Kunststoff oder Aluminium – gerade mit Blick auf die Statik überstrapaziert.

Nicht nur die Größen der Elemente, konstatiert der Grandseigneur der Branche, stiegen stetig an. Auch die Gewichte nähmen zu. Und dann, ein bekannter Hinweis von Helmut Hilzinger, sind da noch die, insbesondere dunklen, Farbgebungen: „Die Farbfreudigkeit unserer Architekten und Kunden kennt keine Grenzen“, findet der Unternehmer, der den wohl bekanntesten Satz zum Thema in der Branche geprägt hat und in seiner Antwort wiederholt: „Egal welche Farbe, Hauptsache weiß.“ Tatsächlich und von vielen Untersuchungen bestätigt setzen die mit dunklen Kolorierungen einhergehenden, thermischen Belastungen und in der unmittelbaren Auswirkung Ausdehnung und Verzug die Konstruktionen einem teils extremen Stresstest aus. Je nach Witterung spricht Helmut Hilzinger, begünstigt noch durch Reflexionen von Alu-Fensterbänken, von Temperaturen bis 80° C und darüber hinaus: „Da brauchen wir uns über entsprechende Schäden an unseren Fenstern und Türen nicht wundern.“

Es fehlt an übergreifendem Wissen hinsichtlich Bauphysik

Stephan Gerwens ist Prokurist und Geschäfts­leiter Fenster & Fassaden bei Terhalle Tischlerei GmbH.

Foto: Terhalle

Stephan Gerwens führt wie Bastian Timm die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich Energieeffizienz, Schallschutz und Luftdichtigkeit auf. Zugleich mangele es an „entsprechend geschulten und erfahrenen Fachleuten“, was im Neubau und insbesondere in den komplexen Altbausanierungen zu erheblichen Defiziten in Planung und Montage führe: „Gerade in Zeiten, in denen der Ruf nach energetischen Sanierungen immer lauter wird, um gesteckte Umweltziele zu erreichen, ist dieser Fachkräftemangel besonders besorgniserregend.“

Der Geschäftsführer der Terhalle Tischlerei GmbH verweist zusätzlich auf die hohen Anforderungen an Projektleiter in unserem Gewerk. Neben dem tiefgreifenden Verständnis physikalischer Eigenschaften der Fenster und des Einbaus gehe es insbesondere um die Abstimmung mit Nachbargewerken wie „Heizungs-, Lüftungs- oder Dämmungssystem“. Leider fehle es häufig am notwendigen, übergreifenden Wissen hinsichtlich Bauphysik und -substanz, um die Montage und Integration der Fenster optimal zu planen.

Als einen Punkt, der nicht selten schadensursächlich sei, nennt Stephan Gerwens fehlende oder fehlerhafte Lüftungskonzepte: In Verbindung mit hoch luftdichten Bauelementen – „energetisch vorteilhaft, aber den natürlichen Luftaustausch unterbindvw end“ – seien häufig Feuchtigkeitsprobleme, Schimmelbildung und die angesprochenen Bauschäden die Folge: „Dies zeigt, wie wichtig es ist, bei energetischen Sanierungen nicht nur die Fenster selbst zu betrachten, sondern auch ein entsprechendes Lüftungssystem zu integrieren, um ein gesundes Raumklima und eine langfristig intakte Bausubstanz sicherzustellen.“

Von wirklichen Fachleuten erwarte ich die Bereitschaft, sich in regelmäßigen ­Zyklen auf den neuesten Stand bringen zu lassen.

Der Sachverständige Marc Schütt ist Schreiner­meister und Fensterbauer – also ein ­Experte mit direktem Praxisbezug!

Foto: Marc Schütt

Was sagt der Sachverständige? Marc Schütt erklärt zunächst die gestiegene Komplexität mit den physischen Anforderungen an das Bauteil Fenster während der Nutzungsdauer, also mit „Witterungseinflüssen wie Windlast, Schlagregen oder thermischen Lasten (siehe die Anmerkungen von Helmut Hilzinger zur Aufheizung dunkler Fensteroberflächen; d. Red.) bis zu den Eigen- und dynamischen Lasten“. Dabei gelte es, während der Nutzungsdauer die vielfältigen Funktion zu gewährleisten: „Als da wären Zugriffsschutz, Wärmedämmung, Schallschutz, Absturzsicherung, Lüftung etc.“

Kombination mehrerer Faktoren führen zu Bauschäden

Sowohl die drei Fensterhersteller als auch der Sachverständige machen also einmal funktionelle und dann vielfach auch gestalterische Anforderungen an das Bauelement Fenster als Ursache aus, zusätzlich verstärkt durch nochmal individuellere Aufgabenstellungen in der Sanierung und gerade dann schmerzlich vermisstes Fachpersonal.

Zusätzlich erkennt Stephan Gerwens weitere Limitierungen durch „unscharf formulierte Ausschreibungen, was die genaue Umsetzung betrifft“. Dies führe zu Missverständnissen und Fehlern bei der Ausführung. Daraus schließt er, dass auch auf der Planungsseite und insbesondere in aufwendigeren Sanierungsprojekten „Fachkräfte mit fundiertem Wissen über die spezifischen Anforderungen moderner Fenster und deren Integration in bestehende Gebäude“ fehlten. Sein Fazit: „Die Kombination aus ungenügender Ausschreibung, mangelhafter Planung und Fachkräftemangel führt dazu, dass die Umsetzung vor Ort oft suboptimal ist und langfristig zu Bauschäden führt. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl auf der Planungs- als auch auf der Ausführungsseite erhebliches Verbesserungspotenzial besteht, um die häufigen Probleme mit Fenstern zu beheben.“

Ganz ähnlich argumentiert sein Kollege aus Berlin, Bastian Timm. Er verweist auf die in der Anlage 10 zu § 34 Abs. 4 LPH 5 HOAI „eigentlich“ geregelte Qualität der Ausführungsplanung. Dieser Standard werde nur noch selten eingehalten, so dass an die Stelle einer gründlichen Werkstatt- und Montageplanung (Timm: „Diese bietet dem Kunden Mehrwert und Sicherheit, kaufmännisch wie juristisch“) häufig lediglich Grundrisse, Ansichten und ein Leitdetail treten würden. Wenn sich weder der Hersteller noch der Händler dafür verantwortlich fühlten, sinke in der Folge das technische Planungsniveau im Objektfensterbau. Eine fachgerechte Montage ist laut Timm ohne sorgfältige, freigegebene Werkstattplanung für jedes Fenster nicht möglich.

Zusätzlich verweist der Unternehmer „auf den ständigen Kostendruck in der Branche auf die Montagebetriebe“, was in Kombination mit der hohen Auslastung dazu führe, „dass schnell gearbeitet werden muss“. Nicht immer seien, gerade im Fall kleinerer, unorganisierter Montagetrupps, die beteiligten Personen gut ausgebildet; zu möglichen Sprachbarrieren und dem Mangel an Fachwissen kämen fehlende Kontrolle und Überwachung: „In Deutschland ist vieles genormt und geregelt – ein Fenster aber kann jeder montieren! Das trägt erheblich zur Schadenshäufigkeit bei.“

Kunststoffrollladen birgt Probleme

Helmut Hilzinger appelliert seinerseits an die Branche, sich „ehrlich zu machen“. Dies sei Ergebnis wiederum der Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit. Beispiel Kunststoffrollladen: „Da gibt es so viele Schäden von Verformungen, dass wir unseren Vertrieb schon seit vielen Jahren anhalten, unbedingt den ausgeschäumten Alu-Rollladen anzubieten und auf die entsprechenden Probleme hinzuweisen. Inzwischen überlegen wir uns, den Kunststoffrollladen komplett aus unserem Verkauf zu nehmen.“

Aber auch in der Dimensionierung der Elemente, angesichts der Farbigkeit der Rahmenoberflächen und der ständig steigenden Flügelgewichte gelte es, genau abzuwägen und den Kunden gegebenenfalls auf Risiken aufmerksam zu machen: „Wir und viele unserer Kollegen handhaben dies täglich entsprechend. Aber was ist das Ergebnis“, fragt der geschäftsf. Gesellschafter der gleichnamigen Unternehmensgruppe – und gibt sogleich die Antwort: „Einer baut es immer.“

Gutes Montagematerial ist kein Garant für Top-Qualität

Auch Marc Schütt legt den Finger abschließend in die Wunde und bezieht explizit die Industrie mit ein. Gerade weil Fachkräfte allenthalben fehlten, sei es problematisch, wenn die Zulieferbranche bisweilen suggeriere, mit diesem oder jenem Montagematerial erledige sich der Fenstereinbau mehr oder minder von selbst. „Viele Monteure sind zu unkritisch im Umgang mit solchen Aussagen“, mahnt er. Deshalb gelte es, bei Prüfzeugnissen oder Zulassungen genau hinzusehen. Der wichtigste Verbündete im Kampf gegen Bauschäden indes sei die Qualifizierung und Weiterbildung. Hier erwarte er von wirklichen Fachleuten die Bereitschaft, sich in regelmäßigen Zyklen auf den neuesten Stand bringen zu lassen. „Anderenfalls sind es bald nur noch ehemalige Fachleute.“—

Reinhold Kober

Welche Ansätze haben wir nun, um die Probleme auf der Baustelle zu lösen ­respektive zu lindern? Die Antworten der von uns befragten Persönlichkeiten lesen Sie in der nächsten GW-Ausgabe. Wir bleiben dran – versprochen!

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