Glaswelt – Oertli ist 100 Jahre alt – auf wie viele Jahre können Sie persönlich zurückblicken?
Jürgen Gabrielli – Ich bin jetzt 37 Jahre ein Teil des Oertli-Unternehmens. Ich kenne mich also schon ein wenig aus hier.
Glaswelt – Wie fing alles an?
Gabrielli – … eigentlich als ein Start-Up: Denn Jean Oertli hat damals in der Waschküche seines Nachbarn mitten in der Stadt Bülach damit begonnen, die ersten Werkzeuge anzufertigen.
Glaswelt – Wer waren die ersten Kunden?
Gabrielli – Anfangs ging es um die Schreinereien hier in der Region. Die wurden mit dem Fahrrad besucht und Werkzeuge genauso ausgeliefert.
Glaswelt – Und dann ist man hier ins Industriegebiet gezogen?
Gabrielli – Die Entwicklung vollzog sich in mehreren Etappen. 1990 konnten wir das aktuelle Gebäude mit über 15000 m² hier beziehen.
Glaswelt – Oertli ist nach wie vor in Familienhand?
Gabrielli – Wir sind eine Familien-Aktiengesellschaft. Die Hauptaktionäre sind Familienmitglieder der Familie Oertli, die vierte Führungsgeneration – Anton Vernez und ich – sind mit kleinen Anteilen ebenfalls am Unternehmen beteiligt.
Glaswelt – Können Sie uns noch etwas zu den Geschäftszahlen sagen?
Gabrielli – Wir haben 2022 einen Umsatz von 39 Mio. Schweizer Franken generiert. 2023 haben wir mit unseren 254 Mitarbeiter in der Gruppe den Umsatz nochmals leicht steigern können. Wir beschäftigen hier In der Schweiz 154 Mitarbeitende. Stolz sind wir auf unsere hohe Ausbildungsquote: 22 Lernende sind unsere Antwort auf den Fachkräftemangel in der Produktion. International sind wir mit 6 Kompetenzzentren in Europa vertreten – in den Niederlanden, Österreich, Deutschland, Ungarn, England und Frankreich. Für uns ist es wichtig, dass das Vertriebs-Know-how vor Ort ist, damit der Kunde verstanden wird. Denn: Ein deutscher Kunde hat andere Fenstertechnologien wie ein Französischer.
Glaswelt – Schweiz ist als Hochlohnland bekannt – wo werden die Werkzeuge hergestellt?
Gabrielli – Wir bekennen uns zum Standort Schweiz. Alle unsere Werkzeuge werden hier am Standort Höri bei Bülach hergestellt. Der Grund, warum es uns in der Schweiz immer noch gibt, ist ’CIM’. In den 1990er Jahren haben meine Vorgänger wichtige Weichen gestellt und unser Werk auf „Computer Integrated Manufacturing“ umgestellt. Ich sage, wir haben damals schon Industrie 3.5 realisiert. Denn es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ich bin der billigste – das kann ich aber nicht sein, wenn ich in einem Hochlohnland wie der Schweiz produziere. Also muss ich dem Kunden andere Vorteile bringen, die sich dann in der Anwendung für den Kunden in barer Münze auszahlen.
Glaswelt – Was waren die technischen Entwicklungen, die Oertli vorangetrieben hat?
Gabrielli – Da ist besonders der CAT-Schneidensitz zu nennen. Dabei machen wir uns die Fliehkraft zum Freund. Aber wir haben auch für viele weitere Werkzeugideen wie den Castor Bohr- und Universalfräser zum Patent angemeldet. In der Querbearbeitung bieten wir mit WIN ein System an, das bis heute ungeschlagen ist. Als die neuen Maschinengenerationen für die Fensterfertigung aufgekommen sind, haben wir das spielfreie Spannen ermöglicht, mit dem man die erforderlichen hohen Drehzahlen erreichen kann.
Glaswelt – Was sind denn heute Ihre Geschäftsfelder?
Gabrielli – Wir verstehen etwas von der Massivholzbearbeitung. Dabei geht es um die Herstellung von Fenstern und Türen, dem Innenausbau, dem Holzbau und den Möbelwerken. Unsere Kernkompetenz liegt in den zwei Bereichen Fensterbau und Holzbau. Hier wollen wir stark wachsen und nehmen für uns in Anspruch: Wir sind im Massivholz die Besten. In einzelnen Ländern sind wir auch Marktführer. Unsere Vision lautet: Technologieführer weltweit, Marktführer in Europa – daran arbeiten wir.
Glaswelt – Warum entscheidet sich ein Kunde für ein Oertli Werkzeug?
Gabrielli – Ganz wichtig ist es, dem potenziellen Kunden gut zuzuhören und ihm dann ein entsprechendes Lösungspaket zusammenzustellen. Deswegen ist der Kundenberater, der Verkäufer mit hohem Sachverstand auch so wichtig. Wir hier in der Zentrale in der Schweiz haben dann nur die Aufgabe, das so zu produzieren, wie der Kunde es von uns erwartet. Ich sage immer: Menschen kaufen bei Menschen und dort wo ich kein Vertrauen habe, mache ich auch keine Geschäfte.
Glaswelt – Worauf kommt es darüber hinaus an?
Gabrielli – Der Kunde erwartet heute, dass wir seinen Auftrag relativ schnell umsetzen. Er möchte nicht lange auf sein Werkzeug warten, Lieferzeiten von über 20 Wochen sind definitiv vorbei. Es geht um Schnelligkeit und Agilität.
Glaswelt – Wird sich die Fensterfertigung auch technologisch weiterentwickeln?
Gabrielli – Vorschübe, die jetzt möglich sind, waren noch vor wenigen Jahren undenkbar. Wir wollen technologisch ganz vorne sein und auch Dinge immer wieder ausprobieren. Noch wissen wir nicht, was die Sensorik alles anstellt mit unseren Werkzeugen, aber vielleicht gibt es in ein paar Jahren ein noch intelligenteres Werkzeug. Wir halten die Augen und Ohren offen auch in den anderen Branchen.
Glaswelt – Das hört sich nach einer noch präziseren Standzeitüberwachung an?
Gabrielli – Wenn man beispielsweise nur Fichtenholz verarbeitet und nur einen Querschnitt fährt, lässt sich die Standzeit ganz leicht bestimmen. Bei unseren Kunden gibt es aber nicht vorherzusehende Produktionsanpassungen. Das ist ganz schwierig, hier die richtigen Wechselzeitpunkte zu erwischen.
Glaswelt – Was sind Ihre wirtschaflichen Planungen für 2024?
Gabrielli – Dieses Jahr wird sicher sehr herausfordernd. Wir gehen von etwas weniger Geschäft aus, ich erwarte aber auch keinen dramatischen Einbruch. Der Beruhigung sehe ich gelassen entgegen, schließlich hatten wir 2021 und 2022 eine deutliche Überhitzung im Markt, auf jeden Wellenkamm folgt ein Wellental.
Glaswelt – Wie wird sich das Neugeschäft bei Ihnen entwickeln?
Gabrielli – Fensterbauer hatten in der Coronaphase viel zu tun, sie haben teilweise gut verdient und verhältnismäßig wenig investiert. Jetzt hat sich die Konjunktur etwas beruhigt, viele Unternehmer nutzen das, um über das Produktionssetup nachzudenken. Außerdem ist vielen auch bewusst, dass sie etwas tun müssen, dass sie sich weiterentwickeln müssen, damit Sie am Markt bestehen können. Das heißt: Im Bereich der neuen Projekte sind wir für dieses Jahr zuversichtlich. Langfristig werden alle viel zu tun haben: Denn gebaut werden muss ja sowieso, die Wohnungsnot die wir jetzt schon haben, wird noch weiter steigen. Auch die CO2-Ziele können nur durch die Erneuerung der Gebäudehülle erreicht werden.
Glaswelt – Sie freuen sich auf die FRONTALE?
Gabrielli – Ich bin ein Verfechter von Messen. Es braucht beides: Es braucht sowohl die Hausmessen als auch die Branchenmessen. Auch habe ich denen, die jetzt der HOLZHANDWERK fernbleiben gesagt, dass ich diesen Schritt für keine gute Idee halte, aus Kostengründen dort nicht teilzunehmen. Damit kann man auch Messeformate kaputt machen. Wir sind in Nürnberg und freuen uns auf unsere Kunden und Interessenten.
Glaswelt – Herr Gabrielli, vielen Dank für die Informationen, wir sehen uns auf der Messe!
Das Gespräch in Höri führte Chefredakteur Daniel Mund