Nachdem Holz über Jahrhunderte die Stil- und Entwicklungsgeschichte des Fensters dominierte, kamen mit dem Gusseisen, dem Walzstahl und später dem Aluminium neue Materialien ins Spiel, welche die Nachteile des Holzes zu kompensieren versuchten und auch optisch neue Akzente setzten. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Kunststoffe den Fenstermarkt zu erobern. Es war ausgerechnet die Scheibe eines Holzfensters, die im Jahr 1835 einen Prozess in Gang setzen sollte, der rund 120 Jahre später Grundlage dafür war, um die Entwicklungsgeschichte des Fensters materialtechnisch zu revolutionieren: Durch besagte Scheibe fiel nämlich mehrere Tage lang Sonnenlicht auf ein kleines Reagenzglas, in dem der französische Chemiker und Bergbauingenieur Henri Victor Regnault zu Versuchszwecken alkoholische Kalilauge mit einem Lösungsmittel angemischt hatte. Als sich Regnault wieder an das Glasröhrchen erinnerte, hatte sich die Flüssigkeit in ein weißes Pulver verwandelt, das sich weder auflösen noch für irgendeine andere nützliche Reaktion verwenden ließ. Gewissenhaft notierte und veröffentlichte der Wissenschaftler den Versuch und die Resultate. Ohne es zu wissen, hatte er in seinem Labor erstmals Polyvinylchlorid (PVC) hergestellt und damit das Zeitalter der Kunststoffe eingeläutet.
Es sollte jedoch noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis andere berühmte Chemikergrößen die materialtechnischen Vorzüge des sonnenpolymerisierten PVC-Pulvers erkannten, das Verfahren zur PVC-Herstellung perfektionierten und patentieren ließen. Erst ab 1938 begann dann die Herstellung von verschiedenen Kunststoffprodukten wie Plexiglas, Nylon, Fußbodenbelägen (Mipolam), Schallplatten, Styropor, Kabel oder Folien im großen Stil.
Erstes Kunststofffenster geht 1954 in Serie
Die Fensterherstellung blieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg von dieser Entwicklung unberührt – bis schließlich 1954 der Metallbauer Heinz Pasche in Troisdorf bei der Firma Dynamit Nobel vorstellig wurde, die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts Kunststoffe produzierte und pausenlos an weiteren Entwicklungen forschte. Den findigen Handwerker und Ingenieur Pasche trieb die Idee um, den von ihm entwickelten Metallrahmen durch einen Überzug aus Kunststoff wetterfest, wärmedämmend und unempfindlich gegenüber Korrosion zu machen. Könne man den Rahmen nicht einfach in ein Kunststoffbad tauchen und ihn so mit einer schützenden Schicht versehen, so seine Frage, die bei den Entwicklern zunächst Kopfschütteln auslöste, aber deren Erfindungsgeist anregte. Nach lebhaften Diskussionen und ersten Versuchen verfolgte man den Gedanken, PVC direkt über das Metall zu extrudieren.
Brauchte es bei der improvisierten Erstproduktion noch feste Hammerschläge, um das PVC- mit dem Vierkant-Stahlprofil zu verheiraten, verfeinerte sich das Herstellungsverfahren des weltweit ersten Kunststofffensters in ähnlich hohem Tempo wie die Entwicklung vom Einkammersystem zum Mehrkammersystem. Noch heute ist das ab 1954 in Serie produzierte PVC-Fenster der ersten Generation in einem kleinen Werkmuseum der HT Troplast in Troisdorf zu besichtigen ( http://www.kunststoff-museum-troisdorf.de/ ).
Siegeszug der PVC-Fenster
Schon dieses erste Kunststofffenster erlaubte im Flügel eine kittfreie Verglasung zweier planparalleler Glasscheiben und war mit einer Zungendichtung versehen, die eine hohe Zug- und Fugendichtheit garantierte. Das mit einem Stahlkern verstärkte Rahmenprofil gestattete überdies einen kraftschlüssigen Einbau in das Mauerwerk. Schnell sprachen sich die Vorteile des revolutionären Kunststofffensters unter den Fensterbauern, Architekten und Bauherren herum.
Sowohl der Pionier Dynamit Nobel als auch die konkurrierenden Profilhersteller verstanden es, das „moderne“ PVC-Fenster zu bewerben und den im Markt etablierten Holzfenstern mit Einscheibenverglasung den Kampf anzusagen. Ein Firmenprospekt aus dem Jahr 1959 [1] fasste die Vorzüge des Kunststofffensters beeindruckend zusammen: „Preiswert, fortschrittlich und wirtschaftlich, höchste Witterungs-, Laugen-, Säuren- und Seewasserbeständigkeit, korrosions-, fäulnis- und alterungsbeständig über Jahrzehnte, keine Farbanstriche, abrieb- und termitenfest, hygienisch, kein Quellen, nicht brennbar, stoß- und rissfest, verschiedene Farben, zug- und fugendicht, leicht zu reinigen, Heizkostenersparnis von bis zu 40 Prozent möglich, …“ – kurz, ein Wunderprodukt, das während des Baubooms in der Ära des Wiederaufbaus und späteren Wirtschaftswunders den Fenstermarkt tatsächlich kräftig aufmischte.
Innovative Kammerspiele
Trotzdem galt es noch einige Kinderkrankheiten in den Griff zu bekommen – so zum Beispiel die unterschiedlichen Temperaturausdehnungen der beiden Materialien Stahl und Kunststoff. Das damals verwendete Weich-PVC neigte bei direkter Sonneneinstrahlung dazu, sich auszudehnen und weich zu werden. Durch die Umstellung auf Hart-PVC gehörten diese Probleme bald der Vergangenheit an, und mit Einführung einer Konstruktion aus drei Profilkammern wurden zudem die Funktionen des Rahmens entzerrt: Die mittige Kammer mit dem integrierten Stahlrohr sorgte für Stabilität, die raumseitig angeordnete Kammer diente dem Wärmeschutz und über die außenseitige Kammer konnte eindringendes Wasser ablaufen.
Darüber hinaus verbesserte ein neuer Eckverbinder die Gesamtstabilität des Rahmens – Holzfenster bekamen ob dieser Innovationsschlacht alsbald das Nachsehen und verloren nicht zuletzt aufgrund des harten Preiskampfes und der pflegeleichteren Kunststoffoberflächen zunehmend Marktanteile.
Als nach der ersten Ölkrise das Thema Wärmeschutz stärker in den Fokus rückte, legten die Hersteller von Kunstofffenstern bei der Anzahl der Kammern nach und verbesserten so stetig den Wärmeschutz von Flügel und Rahmen: Lag der U-Wert bei drei Kammern noch im Bereich von 1,6 bis 1,9 W/m2K, verbesserte sich der Wert mit jeder weiteren Kammer und zunehmender Bautiefe bis zu den heute üblichen sechs oder sieben Kammern mit einem U-Wert von < 1,0 W/m2K. Mit Erfindung der Co-Extrusion gelang es überdies in den 1970er Jahren, durch das Verschmelzen von PVC und PMMA Farbe ins Spiel zu bringen – und die Argumente pro Holzfenster verlagerten sich immer mehr auf die emotionale Schiene, weil beide Rahmenmaterialien in ihren technischen Eigenschaften als gleichwertig anzusehen waren.
Die aktuellen Marktanteile zeigen, dass Holzfenster längst ihre einstige Bedeutung verloren haben: Mit 57 Prozent hat heutzutage das Kunststofffenster die Nase vorn, gefolgt von Aluminium (18,5%) und erst an dritter Stelle erscheint das traditionelle Holzfenster mit 16 Prozent. Allerdings kann der Absatz von Holz-Metall-Konstruktionen mit 9,3Prozent die höchsten Zuwachsraten aufweisen und somit den Trend zum hochwertigeren Holzprodukt festigen.
Die Zukunft des Fensters – weniger Stil, mehr Technik?
So dominant das Holzfenster die Stilepochen vergangener Jahrhunderte begleitet hat, so wenig konnte es sich im durchrationalisierten Technologiezeitalter des 20. und 21. Jahrhunderts behaupten.
Geblieben ist die Wiener Sprosse als ein täuschend echtes Relikt aus längst vergangenen Zeiten, als Proportion und Form des Fensters sowie dessen Teilung noch die gleiche Gewichtung hatten, wie dessen Konstruktion und Funktion. Heute lautet hingegen die ästhetische Devise: Rahmenlos und unsichtbare Beschläge, Dekor und Imitation. So bleibt am Ende die Frage: Haben wir das Gestalten verlernt? —
Literaturnachweis:
[1] Firmenprospekt „Mipolam Elastic-Profil-Konstruktionen, 7/1959““
Vielen Dank an Rainer Hardtke und das Kunststoff-Museum in Troisdorf für die informative Unterstützung und Fotos.
Der Autor
Klaus Siegele war nach einer Schreinerlehre und dem Architekturstudium zehnJahre Redakteur bei der db deutsche bauzeitung und führt seit 2000 ein eigenes Architekturbüro. Er ist Fach- und Buchautor für Architektur, Bautechnik, Nachhaltigkeit und energieeffizientes Bauen und für viele Fachzeitschriften, u.a. den Gebäude-Energieberater GEB, tätig.