Glaswelt – Herr Schmitt, man sieht Ihre gelben Streetscooter schon in vielen Städten herumfahren? Ein Privileg der Post?
Fabian Schmitt – Nein, überhaupt nicht, wir bieten unsere Modelle Work und Work L für den freien Verkauf an. Wir haben von Anfang an innovativ gedacht und für eine erfolgreiche und zukunftsführende Verbindung aus Ökonomie und Ökologie das elektrische Nutzfahrzeug völlig neu entwickelt. Natürlich mit dem ersten Blick auf die Nutzungsbedingungen bei der Deutschen Post. Dabei haben wir die Halbierung der Entwicklungszeit von Fahrzeugen und die Reduzierung der Kosten um bis zu 90 Prozent erreicht. Unser Entwurf der modularen Fahrzeugarchitektur macht gerade zusammen mit dem gestiegenen Umweltbewusstsein sowie den strengeren Vorschriften für die Abgasemission bei Verbrennungsmotoren Streetscooter bei kommunalen Einrichtungen, Logistikunternehmen oder dem Deutschen Mittelstand immer interessanter.
Glaswelt – Herr Müllers, Sie waren auf dem Testgelände von Streetscooter und sind probegefahren. Wie waren Ihre Eindrücke?
Markus Müllers – Sehr gut, doch mit einem „Aber“ versehen. Überzeugend war für mich der hintere Kastenaufbau des Fahrzeuges, der unheimlich viel Platz bietet und über keine störenden Rundungen, Radkästen oder tote Ecken verfügt. Nachbesserungsbedarf sehe ich vor allem in den Platzverhältnissen und dem Komfort der Fahrzeugkabine sowie der Reichweite. Unsere durchschnittliche Tagesfahrleitung liegt bei 137 km. Auch die Höchstgeschwindigkeit ist mit 85 km/h für unsere Einsatzzwecke zu gering.
Glaswelt – Das Thema Reichweite, ein Problemthema für Streetscooter?
Schmitt – Nein, es ist kein Problemthema, sondern ein Definitionsthema. Durch unsere modulare Bauweise sind wir in der Lage, Fahrzeuge kundenspezifisch für deren Anforderungen herzustellen. Unser Ansatz ist es nicht einfach ein Fahrzeug herzustellen und dann dem Markt mitzuteilen, hier ist unser Fahrzeug, kauft es. Schon bei der Version für die Deutsche Post wurde sehr genau nach dem Bedarf beim täglichen Einsatz in der Paketzustellung entwickelt. Hieraus haben sich eine Reichweite von um die 100 km und eine Höchstgeschwindigekit von 85 km/h ergeben, was jetzt die Rumpfdaten unserer Fahrzeuge darstellt.
Glaswelt – Das heißt mehr Reichweite ist jederzeit möglich und machbar?
Schmitt – Im Prinzip ist es sehr einfach. Mehr Batteriekapazität bedeutet mehr Reichweite und eine höhere mögliche Höchstgeschwindigkeit. Beachten müssen wir dabei jeweils das Gewicht des Fahrzeuges, denn die zusätzlichen Batteriezellen bringen auch zusätzliches Gewicht. Da wir aber sehr genau den Stromverbrauch für unterschiedliche Einsatzbedingungen berechnen können, sind wir in der Lage, für den Kunden die jeweils beste und für seine Einsatzzwecke sinnvollste Konstellation zu entwickeln.
Glaswelt – Das heißt jeder Streetscooter kann individuell konfiguriert und vom Kunden bestellt werden?
Schmitt – Das sicherlich nicht, denn auch wir brauchen gewisse Stückzahlen um rationell fertigen zu können und damit auch marktgerechte Preise abbilden zu können. Aber wir wollen von unseren Kunden lernen. Wenn sich hier z. B. die Handwerksbetriebe auf eine für sie brauchbare Variante verständigen, sind wir in der Lage dazu eine Streetscooterversion zu liefern. Das bedeutet eine höhere Reichweite oder auch eine etwas höhere Endgeschwindigkeit.
Glaswelt – Jetzt haben wir gehört, dass man Anforderungen an Reichweiten etc. erfüllen kann. Ist das so eine Alternative für Ihren Fuhrpark, wenn Fahrzeuge ausgetauscht werden?
Müllers – Ja, das kann eine Alternative sein. Wir ermitteln gerade sehr intensiv Daten, um unsere täglichen Fahrzeiten, Kilometer und Standzeiten unserer Fahrzeuge in Erfahrung zu bringen. Mit diesen Daten sind wir in der Lage, ein genaues Anforderungsprofil zu erstellen und damit auch die geeigneten E-Fahrzeuge auszusuchen. Natürlich binden wir in diesen Entscheidungsprozess auch unsere Fahrer bzw. Monteure mit ein, denn die sie müssen die Fahrzeuge schließlich täglich bewegen.
Glaswelt – Nochmal zurück zur Reichweite. Das ist auch im PKW-Bereich immer wieder Thema. Inwieweit ist diese durch Nachladen beim Kunden zu erhöhen bzw. genau zu kalkulieren?
Schmitt – Wie schon gesagt, ist die Reichweite immer abhängig von Beladung und dem Fahrerprofil. Durch entsprechende Anzeigen im Cockpit helfen wir dem Fahrer, besonders wirtschaftlich und Reichweiteneffizient zu fahren. Das Stromnachladen beim Kunden kann man sehr genau berechnen und aufgrund der langen Standzeiten bei Montagefahrzeugen kann so die tägliche Reichweite deutlich erhöht werden. Bei Reparaturfahrzeugen, die viele Termine am Tag machen, sieht es schon wieder etwas anders aus.
Glaswelt – Wie sieht es denn mit weiteren Entwicklungen bei Streetscooter aus?
Schmitt – Ab Juli 2017 produzieren wir den Work XL (20 Kubikmeter Ladekapazität) in Kooperation zusammen mit Ford und wollen bis Ende 2018 mindestens 2500 Fahrzeuge des Typs im innerstädtischen Lieferverkehr bei der Post einsetzen. Deshalb wird der Work XL zunächst nur für den Eigenbedarf der Deutschen Post produziert. Mit diesen Erfahrungen sind wir zu einem späteren Zeitpunkt aber auch in der Lage, größere Fahrzeuge mit höheren Reichweiten für andere Benutzergruppen anzubieten.
Glaswelt – Also abwarten oder jetzt in neue Fahrzeuge investieren, Herr Müllers?
Müllers – Es geht hier nicht um die schnelle Entscheidung, sondern um die wirtschaftlich sinnvolle und umweltverträgliche Lösung. Wir beobachten das Thema E-Mobility schon länger, weil diverse Fahrzeuge in der Montage, aber auch im sonstigen Fuhrpark in naher Zukunft ausgetauscht werden müssen. Wir haben dabei allerdings auch andere Antriebskonzepte wie Fuel Cell etc. im Auge. Letztlich werden wir aufgrund der Feinstaubdebatte auf kurze Sicht nicht an dem Thema alternative Antriebe vorbeikommen, wenn wir unsere Umwelt schonen möchten bzw. auch müssen. Da unser Hauptgeschäft auch mit Energieeinsparung zu tun hat, steht uns dieses Thema zudem sehr gut. Deshalb auch die Initiative zusammen mit der Kölner R+S Innung: „Jeder Innungsbetrieb in Köln und Düsseldorf soll bis 2020 mindestens ein E-Fahrzeug besitzen“. Zurück zur Ausgangsfrage: Wenn das Thema dritter Monteur in der Fahrerkabine und Reichweite geklärt ist, steht einer Anschaffung von Montagefahrzeugen mit Elektroantrieb bei uns nichts im Wege.
Glaswelt – Zuverlässigkeit ist ein weiteres Thema bei der Kaufentscheidung. Wie sieht es mit Erfahrungswerten aus der Praxis aus?
Schmitt – Seit 2015 wurden über 3600 Streetscooter Typ Work oder Work L zugelassen. Bereits im August dieses Jahres haben wir die Fertigungszahlen des letzten Jahres überschritten. Somit stehen uns ausreichend Daten zur Verfügung, um notwendige Verbesserungen für die Zukunft oder Optimierungen an den vorhandenen Fahrzeugen vorzunehmen. Wichtig ist für uns dabei auch der Kundendialog, um noch besser verstehen zu können, in welche Richtung wir unser Produkt verbessern oder zielgruppengerecht entwickeln können.
Glaswelt – Wie geht Ihre Branche mit dem Thema E-Mobility um?
Müllers – Sehr unterschiedlich. Und wie es in Deutschland bei technischen Neuerungen meistens ist, mit einem klaren Schwarz-Weiß-Denken. Hier gilt es also in der Zukunft noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten, um das Thema E-Mobility umsetzen zu können.
Glaswelt – Vielen Dank für das Interview. Wir als Redaktion sind sehr gespannt, wie sich das Thema alternative Antriebskonszepte weiter entwickeln wird.—
Das Interview führte GLASWELT Redakteur Olaf Vögele.