Glaswelt – Herr Engelhardt, was ist eigentlich der Kern der Digitalisierung bzw. der Weg dahin, also die Transformation?
Carsten Engelhardt – Unter der digitalen Transformation versteht man, dass sich ein Unternehmen meist grundlegend ändert. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Wirtschaft wird oft auch der Begriff „Disruption“ verwendet.
Glaswelt – Können Sie das bitte etwas detaillierter erläutern?
Engelhardt – – Disruption ist aus dem Englischen abgeleitet und bedeutet „Zerstörung“ oder „Unterbrechung“ und beschreibt Vorgänge, die bestehende Dienstleistungen, Geschäftsmodelle, Produkte, Technologien etc. grundlegend verändern. Das heißt, im Gegensatz zu Innovationen, die es seit Langem gibt, lösen disruptive Neuerungen das Bestehende in großen Teilen oder auch vollständig ab, „zerstören“ diese also.
Glaswelt – Wer will schon seinen Betrieb zerstören?
Engelhardt – Verstehen Sie das nicht falsch, es geht um die Erneuerung der Betriebe, und zur digitalen Transformation gehören, je nachdem, wie ein Unternehmen ausgerichtet ist, unterschiedliche digitale Systeme wie CRM (Customer Relation Management-Systeme), IT-Lösungen zur übergreifenden Unterstützung sämtlicher in einem Unternehmen ablaufenden Geschäftsprozesse, genannt ERP, Enterprise Resource Planning, sowie die Ansteuerungssysteme und die Vernetzung von Maschinen und Logistik. Es gilt dabei also alle Prozesse entlang der Wertschöpfungskette zu betrachten.
Glaswelt – Wie weit ist Ihrer Meinung nach die Glasbranche mit der Digitalisierung?
Engelhardt – Seit fast zwanzig Jahren kenne ich die Bau- und insbesondere die Glasbranche und weiß, dass sie traditionell eher zurückhaltend gegenüber Veränderungen und neuen Themen ist. In Sachen Digitalisierung sind andere Gewerke teilweise weiter. Durch die Vernetzung der Glasbranche mit anderen Gewerken können sich die Betriebe dem Thema aber gar nicht mehr entziehen. Etwa beim Sonnenschutz und der zugehörigen elektronischen Steuerung, ebenso bei der Gebäudesteuerung ist Zusammenarbeit von unterschiedlichen Gewerken gefordert.
Aber je länger die Glasverarbeiter die Digitalisierung vor sich her schieben, desto größer ist die Gefahr für die Betriebe, aus dem Markt gedrängt zu werden.
Glaswelt – Warum und durch wen?
Engelhardt – Stichwort „Agile Organisation“: In einer immer dynamischer werdenden, von der Digitalisierung geprägten Umwelt, wird vor allem Schnelligkeit und Flexibilität vom Kunden erwartet.
Jeder Betrieb, jede Branche, der bzw. die mit einer zu niedrigen Anpassungsgeschwindigkeit an wachsende Kundenanforderungen reagiert, ist mittel- bis langfristig dem Risiko ausgesetzt, dass die eigenen Produkte oder Services von anderen, agileren Firmen oder Branchen übernommen werden. Hier geht es um das Thema vertikale Integration, das bedeutet, dass vor- oder nachgelagerte Fertigungsstufen in einen Produktionsprozess eines Unternehmens einer benachbarten Branche, beispielsweise Rahmen-, Profil- oder Bauelementehersteller, aufgenommen werden. Make or Buy ist nicht mehr nur eine Frage des technologischen Könnens, sondern vielmehr des unternehmerischen Wollens.
Glaswelt – Welche Möglichkeiten haben kleine und mittelständische Glasverarbeiter sich diesen Herausforderungen zu stellen?
Engelhardt – Verschiedene staatliche Förderprogramme des BMWI, wie „Go digital“ und „Unternehmenswert Mensch“ oder die „Potenzialberatung in NRW“, bieten die Möglichkeit für bestimmte Unternehmensgrößen, zum Beispiel einen externen Berater in Teilen finanzieren zu können. Dieser erarbeitet mit der Geschäftsleitung eine Selbsteinschätzung: Wo stehe ich im Markt, welche möglichen Wettbewerbsnachteile habe ich, welche Investitionen sind notwendig, um nur einige Fragen zu nennen.
Glaswelt – Und wie geht es dann weiter?
Engelhardt – Im nächsten Schritt werden Ziele, Maßnahmen und ein Zeitplan definiert sowie unternehmensintern Teams gebildet, die den Veränderungsprozess begleiten.
Dazu ein einfaches Beispiel: Ziel kann etwa sein, dass Kundenkontaktdaten, die in Form von Word-Dateien, Excel-Tabellen, Mailinglisten etc. an verschiedenen Stellen im Betrieb gespeichert sind, zentral in ein professionelles CRM-System überführt werden. Dieses korrespondiert im besten Fall mit dem Auftragsabwicklungssystem. Die Auftragserstellung, -abwicklung und die Rechnungsstellung erfolgen dann quasi auf Knopfdruck.
Der Berater begleitet diesen Veränderungsprozess und steht auch bei möglichen Konflikten mit Mitarbeitern und Führungskräften zur Seite.
Verarbeiter sollten Mut zum digitalen Wandel haben, denn die Digitalisierung macht sie fit für die Zukunft. —
Die Fragen stellte Matthias Rehberger.
Der Berater von develop+
Carsten Engelhardt ist Industriemechaniker und knapp 20 Jahren u. a. als Geschäftsführer in der Glasbranche tätig. Er hat ein BWL-Studium absolviert sowie ein Kurzstudium zum Digital Transformation Consultant. Mit seiner Beratungsfirma develop+ begleitet er Glasverarbeiter bei der digitalen Transformation.