_ „Machen wir uns nichts vor, die ganze Welt beschäftigt sich heute mit Industrie 4.0. Und jedem in der Glasbranche sollte klar sein, das ist kein Thema, das sich aussitzen lässt, es wird unsere Welt verändern“, so Referent Dr. Hartmut Kainer, der sich der Fragestellung widmete: Was muss sich ändern, was wird sich im Rahmen der Digitalisierung verändern? Im Auftaktvortrag „Digitale Transformation von Prozessen für die Glasindustrie der Zukunft“, unterstrich Kainer, die digitale Transformation werde sich nicht aufhalten lassen, sondern im Gegenteil, dadurch werden sich in unserer Branche nicht nur die Fertigungsprozesse verändern, sondern noch viel mehr.
Hintergrund: Industrie 4.0 umfasse nicht nur die Fertigungsprozesse, die Digitalisierung mache den Weg frei für neue Produkte, neue Abläufe, Serviceangebote und Dienstleistungen sowie auch neue Geschäftsmodelle.
Aufgrund der zunehmenden Datenerhebung und deren Nutzung werden sich künftig ganz neue Formen des Zusammenarbeitens entwickeln und die bekannten Modelle verändern, teils drastisch, so Dr. Kainer.
Wie ist der Stand in der Glasindustrie?
Neue Geschäftsmodelle sieht man bisher aufgrund von Industrie 4.0 in der Glasindustrie noch nicht. Hier konzentrieren sich die Unternehmen gegenwärtig darauf, ihre Produktionsprozesse zu optimieren.
Dabei geht es heute insbesondere auch darum, die Anlagen und Maschinen und deren Daten mit den Menschen in Verbindung zu bringen. Langfristiges Ziel sei, eine autarke Fertigungsfabrik zu erhalten, die mit einem Minimum an Personal auskommt.
Gleichzeitig sei damit auch eine (umfassende) Vernetzung mit den Zulieferern und Kunden verbunden. Dies wiederum setze einen regen und umfangreichen Informations- bzw. Datenaustausch voraus. Und genau diese Notwendigkeit der Informationsweitergabe birgt Sprengstoff für die Branche: Denn viele Unternehmen sind extrem zurückhaltend mit der Weitergabe von Informationen bezüglich ihrer Fertigung und ihrer Produkte. Dies müsse sich aber im Rahmen einer Vernetzung durch Industrie 4.0 zwangsläufig ändern.
Es zeige sich, so Dr. Kainer, dass (gehortetes) Wissen nicht mehr so wertvoll ist wie noch vor 10 Jahren: „Heute sind der Austausch von Informationen gefragt sowie die Notwendigkeit, sein Wissen zu teilen. Nehmen Sie z. B. YouTube, dort findet man für alle Lebensbereiche eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen und Anleitungen, die jeder abrufen kann.“
So geht man mit den digitalen Herausforderungen um
Betriebe, die in die Digitalisierung einsteigen wollen, sollten laut Dr. Hartmut Kainer zuerst ein kleines Team, eine Kerngruppe bilden, die mit dem Thema Digitalisierung und Vernetzung betraut wird. In einem späteren Schritt sollten dann die weiteren Kollegen einbezogen werden. Dr. Kainer: „Wichtig ist, dass alle Mitarbeiter die digitale Umstrukturierung mittragen. Fragen Sie auch den Mann an der Linie und die Mitarbeiterin in der Verwaltung. Diese Kollegen haben oft gute Ideen für ihre Bereiche, die gleichzeitig den gesamten Arbeitsablauf verbessern helfen. Investieren Sie in Ihre Mitarbeiter, damit diese den Sinn der Digitalisierung und deren Notwendigkeit erkennen. Geben Sie den Kollegen das Handwerkszeug, damit diese den Prozess mit gestalten können.“
Wichtig sei bei der Umsetzung, dass der Chef oder der Betriebsleiter allen Beteiligten auch Fehler bei der Umsetzung zugesteht, denn diese werden fast zwangsläufig gemacht, da alle Beteiligten sich bei der Transformation auf neuem Terrain bewegen. Dazu komme, dass sich gerade auch durch solche Fehler viel lernen lasse und wiederum Schlüsse für nachfolgende Verbesserungen gezogen werden könnten.
Bei der Digitalisierung des Betriebes und seiner Abläufe müssen das Ergebnis bzw. die (neuen) Produkte gleichzeitig ganz auf den Kundennutzen hin ausgerichtet sein.
Und noch etwas sei wichtig: „Suchen Sie nicht gleich nach der 100-Prozent-Lösung, auch bereits mit 70 Prozent lässt sich schon arbeiten, oder besser gesagt, muss bereits gearbeitet werden, um mit einem Produkt oder einer Idee nicht zu spät auf den Markt zu kommen.“
Wohin nur mit all den Daten?
Interessant war auch der Vortrag von Dr. Markus Schoisswohl von MSC, Wien: „Wir haben heute Maschinen, die permanent riesige Datenmengen erzeugen. Der Verarbeiter muss die Möglichkeit haben, diese Daten zu selektieren und so zusammenzufassen, dass er daraus verwertbare Informationen generieren kann, um seine Abläufe zu verbessern.“
Die Kunst sei es, die relevanten Daten zu erkennen und auszulesen, die den Verarbeiter bei der Optimierung seiner Abläufe unterstützten. Dr. Schoisswohl: „Daten machen nur Sinn, wenn ich diese auch interpretieren kann. Der Verarbeiter will aber letztendlich keine Daten, er will deren Interpretation bzw. die Informationen daraus. Und hier braucht er gegebenenfalls Unterstützung von Software-Spezialisten oder anderen Beratern.“
Mit Blick auf die Maschinenbauer sagte er weiter: „Wenn eine Maschine so viel über sich weiß, sollte sie auch in der Lage sein, sich und den Prozess selbstständig weiter zu optimieren und gleichzeitig den Mensch zu unterstützen, der sie bedient.“
Hegla Geschäftsführer Bernhard Hötger gab die Sicht des Maschinenbauers wider: „Wir müssen mit unseren Anlagen dahin kommen, dass auch der ungelernte Arbeiter in der Lage ist, eine komplexe Isolierglas- oder Schneidmaschine zu bedienen. In Zukunft will kein Mechatroniker an der ISO-Linie stehen. Dazu ist er auch zu teuer. Deshalb werden und müssen Maschinen noch viel selbstständiger werden.“
Torsten Brose von Schollglas zeigte aktuelle Probleme bei Schnittstellen von Maschinen und Anlagen zu ERP-Systemen anhand einer Isolierglas-Produktion auf. Hier wurde schnell deutlich, dass eine 4.0-Vernetzung in der Praxis noch nicht so einfach umzusetzen ist wie in der Theorie.
Je weiter sich die Branche in Richtung Industrie 4.0 bewegt, desto deutlicher werden auch weitere Fragen, die es zu beantworten gilt: Wem gehören die erhobenen Daten? Wie sieht es im Rahmen einer Vernetzung mit der Datensicherheit aus? Wer ist dafür verantwortlich? Wer haftet bei Problemen oder wenn es zu Ausfällen kommt? Alleine diese wenigen Fragen zeigen, wie wichtig es ist, dass alle Beteiligten gemeinsam solche Fragestellungen erörtern müssen, um für alle tragbare Lösungen zu finden.—