Für die Studie „Bauindustrie im Umbruch” hat die Unternehmensberatung Munich Strategy über 150 Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer und Vorstände zu den wichtigsten strategischen Themen der Baubranche befragt und die Leistungs- und Strategiedaten von mehr als 2000 Bau- und Bauzulieferern ausgewertet. Dr. Sebastian Theopold, Studienautor und Bauexperte bei Munich Strategy, stellt fest: „Es brennt nicht alles lichterloh! Trotz Auftragseinbruch hat die Branche in den kommenden Jahren viel Potenzial für Wachstum – getrieben durch die Investitionslücke im Infrastrukturbau und den Trend zur Sanierung.“
Hohe Auftragsbestände und Bauüberhänge können die aktuellen Rückgänge im Auftragseingang kompensieren. Anfang 2022 betrug der Bauüberhang über 846 000 Wohnungen, dem gegenüber steht ein Rückgang der Auftragseingänge im Hochbau von 24 % im Januar 2023. Diese Entwicklung deckt sich mit der Geschäftserwartung der Unternehmen: 26 % der befragten CEOs erwarten für die kommenden zwölf Monate eine bessere, 67 % eine gleichbleibende Auftragslage. Auch der Wohnungsbedarf treibt die Nachfrage weiter. Ohne eine deutliche Verbesserung der Ausbaugeschwindigkeit wird die Unterdeckung speziell an Wohnraum im Jahr 2030 die Marke von einer Million Einheiten überschreiten.
Der Trend zur energetischen Sanierung kann den Auftragseinbruch abfedern. Von den knapp 22 Mio. bestehenden Gebäuden sind 64 % vor 1979 gebaut und entsprechen nicht den aktuellen Anforderungen. Während gegenwärtig Projekte zur Reparatur und Verschönerung die Renovierungsarbeiten im Wohnbau dominieren, werden ab 2025 Maßnahmen zur Effizienzsteigerung das Renovierungsgeschäft treiben und 25 % des Renovierungsmarktes ausmachen.
Nicht alle Segmente profitieren
Je nach Bauanlass und Gebäudetyp werden einige Bereiche der Bauindustrie laut Munich Strategy von aktuellen Entwicklungen profitieren und deutlich wachsen, während andere an Bedeutung verlieren. Produkte zur Steigerung der Energieeffizienz erfahren eine Sonderkonjunktur. Im Gegensatz dazu erleben die typischen Hochbauprodukte kurzzeitige Nachfragerückgänge.
Die Studienautoren gehen in den nächsten Jahren nicht von einem Rückgang der Baupreise aus. Als Gründe dafür nennen sie die weiterhin volatilen Materialpreise, Lohnsteigerungen, um das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu überbrücken, die hohe Nachfrage nach Bauleistungen und die Sanierungspläne der Bundesregierung.
Chefetage: Das sind die Topthemen
Die Themen Fachkräftesicherung und Produktivitätssteigerung gewinnen für die Führungskräfte der Baubranche als Differenzierungsfaktor weiter an Bedeutung. Personalengpässe und knappe Ressourcen schaffen den Druck, die Automatisierung und Digitalisierung voranzutreiben. Mehr als 65 % der Befragten sehen große Produktivitätsdefizite in den operativen Prozessen im Einkauf, der Logistik und der Bauausführung. Investitionen in Automatisierung und Digitalisierung stehen bei knapp der Hälfte der CEOs oben auf der Strategieagenda.—
Interview mit Dr. Constantin Greiner
gw – Dr. Greiner, gab es bei Ihren Branchen-Interviews auch für Sie ganz überraschende Erkenntnisse aus den Befragungen?
Greiner – Ganz ehrlich, ja! Es wundert mich, dass vielerorts die Stimmung schlechter ist als die wirtschaftliche Lage. Ich nehme viel Unsicherheit wahr, getrieben durch negative Berichterstattung. Unsicherheit, die teilweise zu irrationalem Handeln führt. Deshalb werden leider auch häufig harte Fakten ausgeblendet und durch Gerüchte und „Schreckens-Szenarien“ ersetzt.
GW – Der Neubau bleibt Ihrer Meinung nach längerfristig tendenziell eher zurückhaltend?
Greiner – Ich befürchte, dass der Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern Ende 2023 um bis zu 33 % einbrechen wird und eine nennenswerte Erholung lange auf sich warten lassen wird. Was den Mehrgeschosswohnbau angeht, bin ich weit weniger pessimistisch. Ich rechne hier bereits 2024 wieder mit positiven Impulsen. Der Grund hierfür sind positive Langfrist-Trends, wie beispielsweise die anhaltende Urbanisierung – trotz mehr Home Office –, die alternde Bevölkerung und die damit verbundenen Anforderungen an Wohnraum und die Notwendigkeit für leistbaren Wohnraum. Allein hier fehlen bereits heute mehr als 700 000 Wohneinheiten – Tendenz steigend.
GW – Heruntergebrochen auf die Bauelementebranche: Was gibt es für diese Branche an Handlungsfelder?
Greiner – Natürlich können sich die Unternehmen der Fensterbranche dem kurzfristigen Rückgang der Hochbautätigkeit nicht komplett entziehen. Doch auch hier bin ich keinesfalls pessimistisch. Hierzu eine einfache Rechnung: In Deutschland gibt es über 43 Mio. Haushalte. Die Anzahl der dort installierten Fenster (Wohnbau) überschreitet die Marke von 280 Mio. Einheiten deutlich. Gehen wir davon aus, dass die Fenster, die nicht in den letzten 15 Jahren verbaut wurden, den heutigen energetischen Anforderungen nicht genügen, so ergibt sich eine Größe von mehr als 180 Mio. Einheiten, die renovierungsbedürftig sind. Demgegenüber stehen ca. 6 Mio. Einheiten, die im Durchschnitt/Jahr renoviert werden. Das ist viel zu wenig. Solange die Renovierungsquote bei Fenstern weiter nur auf dem Niveau von rund 2 % liegt, werden die Ziele für die energetische Sanierung nicht erreicht. Die Anzahl der Renovierungen/Jahr muss massiv gesteigert werden. Daher sollten sich Unternehmen, die Zugang zu ausreichend Montagekapazitäten haben, keine Sorgen über den Absatz machen. Die Nachfrage ist da, sie muss nur aktiv bearbeitet werden.
Die Nachfrage ist da, sie muss nur aktiv bearbeitet werden.
GW – Die Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, massiv in die Wärmewende mit moderner Haustechnik zu investieren und die erneuerbaren Energien voranzubringen. Steht nicht zu befürchten, dass bei dieser Priorisierung Effizienzmaßnahmen in der Gebäudehülle eher vernachlässigt werden?
Greiner – Diese Befürchtung teile ich nicht und das hat mit zwei einfachen Gründen zu tun: Ich vertraue auf die Intelligenz der Immobilienbesitzer: Es ist deutlich klüger, erst die Gebäude zu dämmen, anschließend den tatsächlichen Energiebedarf zu ermitteln und darauf basierend die effizienteste Wärmequelle zu planen, als zuerst eine überdimensionierte Wärmepumpe zu verbauen, die später deutlich mehr Energie verbraucht als eine perfekt dimensionierte Pumpe. Im Übrigen wird ein solches Vorgehen durch die verlängerten Übergangsfristen des GEG begünstigt. Darüber hinaus können sich die Fenster deutlich schneller amortisieren als alternative Heizsysteme – große Hersteller sprechen von einer Amortisationszeit von ab vier Jahren. Darüber hinaus regelt die Verfügbarkeit von Montagekräften die Nachfrage: Wer heute eine Wärmepumpe einbauen möchte, muss mit extrem langen Wartezeiten planen. Will der Hausbesitzer schneller etwas tun, dann muss er sich mit anderen Maßnahmen der energetischen Gebäuderenovierung beschäftigen. Hier schneiden Fenster aktuell wieder besser ab.
Gute UnternehmerInnen lassen sich nicht verrückt machen, sondern hängen sich rein in die Akquise von Renovierungsaufträgen und stellen sicher, dass eine saubere Montage gewährleistet ist.
Die Fragen platzierte Chefredakteur Daniel Mund.