GW – Warum ist die serielle Sanierung aus Ihrer Sicht bedeutungsvoller als der serielle Neubau, gerade in Bezug auf die Klimaziele und den Gebäudebestand?
Dr. Constantin Greiner – Der serielle Neubau wird aller Voraussicht nach eine sehr wichtige Rolle in der Bauwirtschaft der Zukunft spielen, wenngleich der Weg dorthin noch keinesfalls klar ist. Für die Erreichung der Klimaziele ist der Neubau jedoch nur bedingt hilfreich. Mehr als 85 Prozent der Gebäude, in denen wir im Jahr 2045 wohnen werden, stehen bereits heute. Davon erfüllen etwa 70 Prozent nicht die Anforderungen für die Erreichung von CO2-Neutralität bis 2045. Diese Gebäude müssen daher energetisch saniert werden. Bislang war die deutsche Bauwirtschaft in der Lage, jährlich lediglich ca. 1,5 Prozent der Bestandsgebäude zu renovieren. Um jedoch das Ziel zu erreichen, bedarf es einer Sanierungsrate von 3 Prozent. Hier sind neue Lösungsansätze gefragt – die serielle Sanierung könnte eine vielversprechende Antwort sein.
GW – Wie groß ist das Potenzial der seriellen Vorfertigung bei Bauelementen wie Fenstern und Haustüren? Welche Vorteile bietet sie speziell für die Fenster- und Fassadenbranche?
Dr. Greiner – Heute geht es bei der seriellen Sanierung vor allem um die Fassade von Mehrgeschosswohnbauten, wobei Fenster ein zentraler Bestandteil sind. Aktuell gehen wir von einem jährlichen rechnerischen Potenzial von 10 000 bis 15 000 Mehrgeschosswohnhäusern aus. Daraus lässt sich ein Potenzial von 400 000 bis 600 000 Fenstereinheiten p.a. ableiten, was rund 10 Prozent des gesamten Renovierungsvolumens entspricht. Für die Fenster- und Fassadenbranche entsteht damit ein äußerst relevantes Marktsegment.
GW – Ab welcher Gebäudegröße oder Projektgröße lohnt sich die serielle Vorfertigung aus wirtschaftlicher Sicht? Gibt es eine Mindestanzahl an Wohneinheiten oder andere Kriterien?
Dr. Martin Handschuh – Die serielle Sanierung lohnt sich vor allem bei größeren Bauvorhaben, typischerweise mit ein paar tausend Quadratmetern Wohn- bzw. Nutzfläche. Mittlere bis größere Mehrgeschosswohngebäude sowie Quartierslösungen sind der ideale Anwendungsbereich. Einschränkungen gibt es jedoch: Die Architektur muss einfach sein, es darf kein Denkmalschutz vorliegen und die Gebäude dürfen nicht höher als zehn Stockwerke sein. Diese Sanierungsart eignet sich besonders für Gebäude, die zwischen den späten 1950er- und den frühen 1980er-Jahren entstanden sind.
GW – Welche spezifischen Merkmale machen ein Gebäude für die serielle Sanierung geeignet? Können auch Gebäude mit komplexeren Strukturen von der Methode profitieren?
Dr. Handschuh – Wenn es an der Fassade komplex wird, wird reine Serialität, wie sie aktuell vorangetrieben wird, nicht greifen. Was natürlich nicht heißt, dass man nicht beispielsweise auf modulare Fensterelemente zurückgreifen kann. Genau an dieser Stelle, wo es darum geht, die grundlegenden Prinzipien des seriellen Sanierens möglichst umfassend anzuwenden, werden sich zukünftig viele Entwicklungen ergeben.
GW – Welche Lerneffekte aus den bisherigen Projekten könnten in Zukunft zur Optimierung der seriellen Sanierungsprozesse beitragen? Gibt es konkrete Maßnahmen oder Ansätze, die bereits umgesetzt werden?
Dr. Handschuh – Zahlreiche der bisherigen Projekte dienten dazu, grundlegende Entwicklungen in die Umsetzung zu bringen und zu demonstrieren, was möglich ist. Jetzt geht es um die Skalierung. Anbieter sind gefordert, konsequent den Weg hin zum Produkt zu gehen. Modularisierung und Prozessoptimierungen stehen dabei hoch oben auf der Management-Agenda. Zusätzlich ein beratungsorientierter Vertrieb, bei dem Kunden – ohne viel Aufwand zu generieren – verschiedene Varianten in verständlicher, nachvollziehbarer Weise aufgezeigt und auch quantifiziert werden. Und zusätzlich sind Immobilieneigentümer gefragt, ihre bauherrenseitigen Kompetenzen weiterzuentwickeln, um präzise Anforderungen an Sanierungsdienstleister formulieren bzw. um mit Angeboten integrierter GU und GÜ umgehen zu können.
GW – Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Immobilienunternehmen, Herstellern und Sanierungsspezialisten für den Erfolg der seriellen Sanierung? Wo sehen Sie die größten Hürden bei der Koordination?
Dr. Greiner – Sie sprechen das „magische Dreieck“ an. Die serielle Sanierung ist ein neues Geschäftsmodell in der Bauwirtschaft. Wie bei jedem neuen Geschäftsmodell lässt es sich nur realisieren, wenn gleichzeitig ein neues Ökosystem entsteht. Um das Geschäftsmodell „serielles Bauen“ zu etablieren, muss ein Netzwerk aus Spezialisten und Fachleuten entstehen, das den gesamten Gebäudezyklus abdeckt (Bedarfsermittlung, Planung, Bau und Betrieb). Dieses Ökosystem setzt sich konkret aus folgenden Akteuren zusammen: der Immobilienwirtschaft, Sanierungsspezialisten und Herstellern von Baustoffen, beispielsweise Fensterproduzenten.
GW – Wie trägt die serielle Vorfertigung dazu bei, den Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft zu entschärfen? Kann sie wirklich einen signifikanten Unterschied machen?
Dr. Greiner – Genau hier setzt die serielle Sanierung an. Auch wenn es manchmal anders suggeriert wird, ist der Aufwand bei einer konventionellen Sanierung und einer seriellen über den gesamten Prozess betrachtet ähnlich hoch. Allerdings fällt er bei der seriellen Sanierung in der Fabrikhalle an und kann dort teilautomatisiert abgearbeitet werden, während der Aufwand bei der konventionellen Methode nahezu vollständig auf der Baustelle anfällt. Das Ergebnis: Der limitierende Faktor der Bauleistung wird nicht mehr der Bauarbeiter sein!
GW – Welche Rolle spielen digitale Werkzeuge und Technologien, wie z. B. BIM (Building Information Modeling), bei der Planung und Umsetzung der seriellen Sanierung?
Dr. Greiner – Um die tatsächlichen Kostenvorteile zu realisieren, muss ein durchgängiger End-to-End-Prozess etabliert werden, in dem keine harten Brüche auftreten. Dafür sind leistungsstarke, kollaborative IT-Systeme erforderlich. Die Logik von BIM-Modellen wird in diesem Zusammenhang automatisch erfüllt.
GW – Wo sehen Sie die serielle Sanierung in den nächsten zehn Jahren? Welche Entwicklungen sind nötig, um das volle Potenzial auszuschöpfen und die Klimaziele zu erreichen?
Dr. Greiner – Ich wünsche mir sehr, dass die serielle Sanierung in breitem Umfang zum Einsatz kommt. Ohne diese Sanierungsart sehe ich schwarz für die gesteckten Klimaziele. Es ist daher essenziell, dass Unternehmer die Initiative ergreifen und sich professionell auf die serielle Sanierung vorbereiten. Sie müssen bereit sein, das neue Ökosystem mit zu gestalten. Wird diese Bedingung erfüllt, werden wir in zehn Jahren eine deutlich veränderte und stärkere Bauindustrie erleben – auch wenn auf diesem Weg nicht alle zu den Gewinnern zählen werden.
GW – Meine Herren, herzlichen Dank für Ihre Antworten!
Die Fragen platzierte CR Daniel Mund. Die Studie kann man hier bestellen: www.munich-strategy.com/studie-serielles-sanieren/