_ Eine Auseinandersetzung mit der Schadensfolge bei Glasbruch bereits bei der Bemessung und eine Einstufung der jeweiligen Glaskonstruktion in Schadensfolgeklassen ermöglicht ein differenzierteres, transparenteres Vorgehen, das sowohl hinsichtlich der Sicherheit bzw. Zuverlässigkeit als auch der Wirtschaftlichkeit dem Werkstoff Glas angemessener ist.
Das bisherige Bemessungskonzept in DIN 18008 berücksichtigt die Schadensfolgen bei Glasbruch nur indirekt in Sonderfällen. So dürfen im aktuellen Entwurf der Neufassung der DIN 18008 für Mehrscheiben-Isoliergläser bis zu einer Größe von 2 m2 wegen der geringeren Schadensfolge bei Glasbruch durch klimatische Einwirkungen (Klimalasten) die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit mit geringeren Teilsicherheitsbeiwerten für die Einwirkung geführt werden.
Der Spannungsnachweis für das Glas kann zudem im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit mit einem geringeren Teilsicherheitsnachweis auf der Widerstandsseite geführt werden, wenn nachgewiesen wird, dass die nicht gebrochene (Rest-) Scheibe die Windlasten im Grenzzustand der Tragfähigkeit noch aufnehmen kann. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass bei Glasbruch, der durch die Wirkung der Klimalasten hervorgerufen wird, die Schadensfolge für Gläser mit kleinen Abmessungen hinreichend gering ist (Bild oben).
Diese Vorgaben stellen zudem sicher, dass das Glas im Sinne der DIN EN 1990 noch gebrauchstauglich bleibt, wo es heißt: „Die Grenzzustände, die die Funktion des Tragwerks oder eines seiner Teile unter normalen Gebrauchsbedingungen oder das Wohlbefinden der Nutzer oder das Erscheinungsbild des Bauwerks betreffen, sind als Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit einzustufen.“
Eine abstrakte Formulierung von Schadensfolgeklasse ist bereits im informativen Anhang B des Eurocode 0 (DIN EN 1990, Ausgabe 2010) enthalten, diese sind dabei aber auf Gebäude bezogen und lassen sich nicht immer und eindeutig auf Bauteile übertragen (Tabelle 1).
Für die Bemessung im Bauwesen und für die Berechnung der erforderlichen Sicherheitsfaktoren wird bisher implizit und pauschal davon ausgegangen, dass alle Bauteile der Schadensfolgeklasse 2 zuzuordnen sind, so z. B. auch bei der Glasbemessung. Dies wird realen Anwendungen im Glasbau häufig nicht gerecht.
Die Folge kann einerseits eine Überdimensionierung sein (z. B. kleine Mehrscheiben-Isoliergläser, siehe oben), andererseits aber auch eine Unterschreitung der angestrebten Zuverlässigkeit, da sich die Einwirkungen, die zu einem Glasbruch führen, statistisch nicht immer angemessen erfassen lassen, wie z. B. ein harter Stoß auf Glas mit ganz lokaler Auswirkung.
Hier ist dann, z. B. bei Überkopfverglasungen oder begehbarem Glas, die Forderung nach Resttragfähigkeit nach Glasbruch (Tragfähigkeit nach Glasbruch, Post-Fracture Limit State) sinnvoll, weil die mögliche Schadensfolge hoch ist.
Aktuell wird in dem europäischen Normenausschuss zur DIN EN 1990 die Einführung einer weiteren Schadensfolgeklasse 0 diskutiert. Sie betrifft vernachlässigbare Folgen für Menschenleben und unbedeutende wirtschaftliche, soziale oder umweltbeeinträchtigende Folgen.
Auf Grundlage dieser neuen Schadensfolgeklasse und bei einer Betrachtung auf der Bauteilebene ist es sinnvoll, für Glas sogenannte Glass Component Fracture Consequence Classes (G-CC), also Schadensfolgeklassen bei Glasbruch zu definieren, in die sich die Bauteile dann einordnen lassen. Diese Klassen werden aktuell in der Fachwelt diskutiert und könnten zukünftig eine systematische Einordnung der aktuellen Sonderregelungen in der Glasbemessung, z. B. in der DIN 18008 ermöglichen. Der Ingenieur könnte bereits bei der Bemessung konsequenter die Schadensfolgen eines Glasbruchs im individuellen Projekt bewerten und damit auch die Anforderungen an Sicherheitsglas und Resttragfähigkeit; pauschale Festlegungen, die der Komplexität der realen Anwendungen häufig nicht gerecht werden, könnten so in Zukunft durch projektbezogene Betrachtungen ergänzt werden.
Der verantwortungsbewusste Umgang mit der Auslegung von Glas für bauliche Anlagen, der sich in den letzten Jahren über die Bemessungsregeln etabliert hat, könnte so noch transparenter gestaltet werden, nicht zuletzt auch gegenüber dem Bauherrn.—