GLASWELT: Herr Rache, können Sie kurz erläutern was Anisotropien bei Fassadengläser bedeuten?
Ralf Rache: Verwendet man in Fassaden thermisch vorgespannte Gläser können Doppelbrechungserscheinungen – so genannte Anisotropien auftreten. Dies ist abhängig vom Betrachtungswinkel und der Beleuchtungssituation.
GLASWELT: Was ist die Ursache hierfür?
Rache: In der Herstellung werden ESG oder TVG erst auf rund 650 Grad Celsius erhitzt und dann mit Kaltluft abgeschreckt. Durch dieses Abschrecken entstehen Spannungszonen, die zu Doppelbrechungen des Lichts im Glas führen. Dieser physikalische Effekt - auch Anisotropie genannt - kann in polarisiertem Licht, d.h. auch bei Tageslicht, sichtbar werden. Die Folge sind Irisationen (Anmerkung der Redaktion: Irisieren ist ein optisches Phänomen, bei dem ein Objekt je nach Perspektive in anderen Farben erscheint), die als Polarisationsflecken, Bänder, Ringe oder Streifen wahrgenommen werden (Bild links). Je dicker das Glas, desto stärker der Effekt.
GLASWELT: Lässt sich dieser Effekt vermeiden?
Rache: Vor kurzem hat die arcon Flachglas-Veredlung eine neue Verfahrenstechnik für Glas vorgestellt mit der Anisotropien erheblich reduziert werden können.
GLASWELT: Was bedeutet die für Fassadenbauer und Glasanbieter?
Rache: Die gültigen Normen und Richtlinien haben diesen physikalischen Effekt der Doppelbrechungserscheinungen bei wärmebehandelten Gläsern bis dato akzeptiert. So ist beispielsweise in der EU-Norm für „Thermisch vorgespanntes Kalknatron-Einscheibensicherheitsglas“ EN 12150-1:2000 die Anisotropie als physikalische Eigenschaft aufgeführt und als Standard festgeschrieben. Dort heißt es, der Effekt sei produktionsbedingt charakteristisch für ESG/TVG, und damit kein rügefähiger Mangel.
GLASWELT: Gilt das immer noch?
Rache: Künftig wird das anders sein. Der Planer muss jetzt den Bauherrn informieren, dass es ein Glas gibt, das Anisotropien erheblich reduziert (Bild links). Wenn er das nicht macht und die optischen Beeinträchtigungen auftreten, hat er ein Problem.
GLASWELT: Weshalb ist das so, können Sie das näher erläutern?
Rache: Im Rahmen seiner Hinweispflicht muss der Planer den Bauherrn/Architekten aufklären und Ihn auf die optischen Folgen hinweisen. Der Bauherr kann dann wählen. Für einen Mehrpreis kann er Glas mit erheblich reduzierten Anisotropien bestellen.
GLASWELT: Was bedeutet das für den Planer und Glasanbieter in der Praxis?
Rache: Wir müssen unsere Bauherrn und Architekten aufklären.
GLASWELT: Muss jetzt also immer Anisotropien-armes Glas eingesetzt werden?
Rache: Dies ist nicht notgedrungen erforderlich, da man diese Leistung auch nicht umsonst bekommt. Der Bauherr hat die freie Wahl, nachdem wir Planer ihn informiert haben.
GLASWELT: Macht man sich strafbar, wenn man ohne Absprache andere Gläser plant und einbaut?
Rache: Dies können nur Juristen beantworten.
Der Fassadenspezialist Ralf Rache ist Geschäftsführer der
Rache Engineering GmbH in Aachen.
info@rache-engineering.de
www.rache-engineering.com
Anisotropie-armes Glas von arcon
Der arcon Flachglas-Veredlung GmbH ist es nach eigener Auskunft gelungen, Doppelbrechungserscheinungen (Anisotropien) in der Beschichtung in den Griff zu bekommen.
Der Hersteller habe eine neue Verfahrenstechnik entwickelt, mit der sich Anisotropien erheblich reduziert werden könnten. Scheiben aus ESG und TVG lassen sich heute bereits in Marktreife produzieren. Der Isotropiewert von arcon topview sei größer 95%. Bisher am Markt verfügbare Gläser dieser Kategorie zeigen Isotropiewerte von ca. 55 bis 80%. Dabei gilt: Je größer der Isotropiewert, desto weniger sichtbar ist die Anisotropie.
Während der fünfjährigen Entwicklungszeit hat arcon eine (jetzt patentierte) Messtechnik entwickelt, um Anisotropie quantitativ messen zu können. In den nächsten Schritten wurde das Verfahren zur Herstellung vorgespannter Gläser, mit dem Ziel, höchste Isotropiewerte zu erreichen, weiterentwickelt, und die Glasbeschichtung optimiert.
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