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Interview mit Dr. Tillmann Klein, TU Delft

Das Leasing von Fassaden wird die Branche umkrempeln

Glaswelt – Wie kam die Idee auf, Fassaden zu leasen und was ist das Ziel?

Dr. Tillmann Klein – Das oberste Ziel ist, eine Grundlage für nachhaltigere Gebäude sowie Fassaden zu schaffen. Leasing kann man dabei als eine Form von Produktservice verstehen. Wir benutzen den Titel weil jedem klar wird, was im Prinzip gemeint ist. Die These ist, dass durch verbesserte Strategien im Fassadenbau neue, umfassendere Produkt-Services möglich sind. Diese ziehen sich über den gesamten Lebenszyklus von Gebäudehüllen, was wiederum zu besseren Lösungen führt.

Glaswelt – Und was bringt das dem Nutzer?

Dr. Klein – Bei den Nutzern muss man unterscheiden zwischen den Betreibern einer Immobilie und den Menschen, die das Gebäude dann nutzen, um darin zu arbeiten oder zu wohnen.

Wenn man es realistisch betrachtet, haben die meisten Betreiber im Prinzip kein Interesse durch ein aufwendiges Facility Management die Immobilien zu verwalten. Auch unsere Universität, die TU Delft, ist hier keine Ausnahme. Denn die Kernaufgabe einer Universität ist Lehre und Forschung und das Facility Management ist sozusagen ein notwendiges Übel, um die Uni-Gebäude am Laufen zu halten. Deshalb sehen die Verantwortlichen es als eine große Chance an, diesen Aufwand, also die Fassadenpflege, auszusourcen, um mehr Kapital für die Kernaufgaben verwenden zu können.

Die Endnutzer, also die Studenten, die Dozenten und die Angestellten, die hier in den Büros arbeiten, erhalten mehr Komfort durch bessere Gebäudehüllen, zudem sinken die Energiekosten.

Glaswelt – Wem gehört denn eigentlich so eine geleaste Fassade?

Dr. Klein – Wie angesprochen ist Leasing eine extreme Form von Produkt-Service-Konzepten. Wir kennen das von Autos oder Druckern und Kopierern. Man bezahlt für gefahrene Kilometer oder gedruckte Seiten. Dabei bleibt das Produkt im Besitz des Herstellers oder einer Leasing-Gesellschaft. Das funktioniert bei Gebäuden ähnlich, auch wenn es aufgrund rechtlicher Vorgaben komplizierter ist.

Glaswelt – Was bedeutet das im Detail?

Dr. Klein – Das Recht versucht den Wert einer Immobilie zu schützen. Und da eine Fassade fest mit dem Haus verbunden ist, hätte deren Ablösung einen erheblichen Einfluss auf den Gesamtgebäudewert. Zudem hängt die Finanzierung auch am Wert der Immobilie. Also sind andere Eigentumsformen notwendig. Hierzu arbeiten wir aktuell mit Spezialisten für Recht und mit Banken an passenden Konzepten.

Interessant ist, dass alle Projektbeteiligten zuerst der Ansicht waren, dass Leasing aus o.g. Gründen für Fassaden unmöglich ist. Inzwischen ist das der Einsicht gewichen, dass auch die rechtlichen Grundlagen und die Finanzierungsmodelle entwickelt und erarbeitet werden müssen, um den Anforderungen eines nachhaltigen Bauwesens gerecht zu werden. Passende Beispiele gibt es etwa bei der Finanzierung von Windrädern, welche über ihre Erträge und nicht über den Wert der Turbine finanziert werden. Genau wie bei Immobilien, müssten für das Fassaden-Leasing auch neue vertragliche Grundlagen entwickelt werden.

Glaswelt – Was passiert bei einem Schaden in der Fassade, z. B. wenn ein Sonnenschutzelement oder ein ISO ausgetauscht werden muss.

Dr. Klein – Die Verantwortung liegt bei den Herstellern der Fassade, die sie sich mit den Beteiligten aus ihrer Zulieferkette teilen.

Glaswelt – Wie wird während der Lebensdauer die Instandhaltung organisiert und wer ist dafür verantwortlich?

Dr. Klein – Wir unterteilen heute sehr stark zwischen dem Bau eines Gebäudes und dessen Unterhaltung, dem Facility Management. Beim Bauen muss es so billig wie möglich sein. Hier wird also auf Teufel komm raus gespart. Viele Firmen machen ja heute schon einen Großteil ihres Umsatzes mit dem Facility Management. Hier ist dann das Ziel, so viel wie möglich Umsatz zu generieren und dabei möglichst umfassende Service-Dienstleistungen zu verkaufen. Das passt doch nicht zusammen.

GLASWELT – Was wäre die Alternative?

Dr. Klein – Das Ziel sollte eigentlich sein, so wenig Unterhaltungsaufwand wie möglich zu betreiben. Damit sollten die Fassadenbauer ihr Geld verdienen können und das ist auch im Sinne der Investoren. Passende Fassadensysteme lassen sich jedoch nur durch ein integrales Konstruktions- und Wartungskonzept erreichen.

Und dazu brauchen wir wiederum integrale Serviceteams die Reinigung, Wartung, Filterwechsel bei Lüftungsanlagen etc. in einem Rutsch durchführen. Dadurch lassen sich dann genau auf den Kunden abgestimmte Serviceangebote zusammenstellen. Hier ein Beispiel: Sollen erst dann Bauteile ersetzt werden, wenn ein Schaden vorliegt oder nicht schon bereits bevor ein solcher Schaden eintritt? Oder wenn man die täglichen Motorenbewegung des Sonnenschutzes kennt, lassen sich recht gute Voraussagen treffen, wann ein solcher Motor sein Lebensende erreicht. Der geschulte Service-Spezialist, der die Fenster reinigt und gangbar hält, kann so zudem die Motoren in einem Servicegang austauschen. Das erspart Anreise, Arbeitsstunden usw.

Glaswelt – Welche Konsequenzen ergeben sich für den Fassadenbauer aus diesem Ansatz und Finanzierungsmodell?

Dr. Klein – Das ist die große Frage. Im Prinzip bedarf es einer Ausweitung seines Arbeitsfeldes, die eine integrale Planung, deren Umsetzung sowie die spätere „Verwaltung“ der Fassade über ihren gesamten Lebenszyklus mit umfasst. Das ist auch in Fragen der Auftragssicherheit interessant: Anders als beim Auto sprechen wir hier nämlich über Zeiträume von 20 Jahren oder mehr.

Gleichzeitig macht dieser lange Zyklus es für die Branchenbeteiligten extrem schwer. Denn zu solch einer Umstellung ist die Fassadenindustrie gegenwärtig (noch) nicht bereit. Auf der anderen Seite würden langfristige Aufträge für die Fassadenbauer entstehen, das bedeutet Sicherheit.

Dazu kommt, dass komplett neue Finanzierungsmodelle notwendig werden und das geht nur über die Banken. Wir arbeiten hier wie gesagt gemeinsam mit Finanzfachleuten an passenden neuen Konzepten, die auch die Bedürfnisse der Fassadenbranche mit berücksichtigen.

Zusammengefasst brauchen wir auf der einen Seite Gesetze und auf der anderen Seite neue Geschäftsmodelle, die diese Idee unterstützen.

Glaswelt – Welche Rolle spielt die Wiederverwertung von Bauteilen/-stoffen beim Leasing?

Dr. Klein – Das ist ein weiteres zentrales Thema. Idealerweise streben wir eine Wiederverwertung von Bauteilen an. Heute werden Fassaden mehr oder weniger mit dem Bagger von der Gebäudekonstruktion gerissen, da sie damals nicht mit Blick auf Wiederverwertung entworfen wurden. Es bleibt also oft nichts als ein Haufen Müll. Verwertbares, wie Aluminium, wird recycelt, allerdings leider nicht wieder für Fassaden verwendet, was wegen der hochwertigen Legierungen wünschenswert wäre.

Ressourcenschonung ist wichtiger denn je und wir dürfen dies auch beim Fassadenbau nicht unterschlagen. Allerdings gibt es keine richtigen Anreize.

Diese entstehen nur, wenn Gebäude und Fassaden über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg geplant werden und auch die Verantwortung dafür zentral koordiniert wird. Dies kann etwa durch eine garantierte Rücknahme der Fassade erfolgen. Leider gibt es noch keinen umfassenden Markt für gebrauchte Baumaterialien. Aber dieser muss und wird wachsen.

Glaswelt – Noch eine Frage zum Recycling, was bedeutet das für geklebte Structural Glazing Fassaden?

Dr. Klein – Die Technik ist wie gesagt nur eine Seit der Medaille. Ich denke, grundsätzlich ist die Wahl der Verglasungsart egal. Wenn also eine Fassade durch, sagen wir, eine Leasingfirma angeboten wird, dann muss die Funktionsweise auch über viele Jahre hinweg garantiert werden. Die Frage wird dann eher lauten: Wie hoch ist der Aufwand für die Unterhaltung und Wartung eines Produkts im Verhältnis zu seiner Leistung? Das bestimmt den Preis. Und das umfasst dann auch die gewählte Verglasungsart und deren spätere Entsorgung.

Glaswelt – In der Diskussion steht immer wieder, Haustechnik verstärkt in die Fassade zu integrieren. Spielt das beim Leasen auch eine Rolle?

Dr. Klein – Ich würde sogar sagen, dass die angesprochenen Produkt-Service-Modelle die Integration der Haustechnik erst richtig möglich machen. Denn die beteiligten Gewerke sind gegenwärtig voneinander getrennt. Die Betrachtung über den Lebenszyklus hinweg macht es möglich, die finanziellen Vorteile aus der Kombination von Einsparung, Komfort und Wartung deutlich zu machen. Hier geht es letztlich um die Lieferung eines Leistungspakets und weniger um das Produkt selbst. Das ist ein Anreiz für neue Finanzierungs-Konsortien gemeinsam Entwicklungen voranzutreiben.

Glaswelt – Kann das Leasen helfen, die Qualität der Gebäudehülle zu erhöhen und hat es Einfluss auf die Gebäudezertifizierung?

Dr. Klein – Die These dazu lautet, dass man auf einen definierten Zweck hin optimierte Produkte bekommt. Der Wettbewerb ist heute am Fassadenmarkt extrem hoch, mit der Folge, dass eine minimale Qualität ausgeschrieben wird und der Bieter mit dem niedrigsten Angebot bekommt den Zuschlag. Dabei wird eigentlich immer nur über die Anfangsinvestition gesprochen. Also: minimale Qualität zum niedrigsten Preis. Es gibt kaum Anreize für den Fassadenbauer, in eine erhöhte Qualität zu investieren und diese anzubieten. Das ändert sich, wenn der gesamte Lebenszyklus der Fassade in Betracht gezogen wird.

Glaswelt – Zurück zum aktuellen Projekt: Vor welchem Hintergrund hat die Uni Delft eine Fassade geleast und wie sieht die Umsetzung aus?

Dr. Klein – Unser Projekt ist ein erster Testlauf, um die Komplexität des Themas zu verstehen. Wir, d.h. die TU Delft als Auftraggeber und Industrie-Partner prüfen auf dem Campus an einer geeigneten Fassade, wie sich ein Leasing-System praktisch umsetzen lässt, wobei wir auch neue Finanzierungsmodelle und Vertragsformen testen.

Glaswelt – Glauben sie, dass das Leasing die Fassadenentwicklung dauerhaft voranbringt?

Dr. Klein – Die Antwort ist ein deutliches Ja! Das gesamt Bauwesen ist so stark fragmentiert, dass gegenwärtig eine wirkliche integrale Planung die entsprechende Umsetzung nicht erreichen lässt.

Diesen integralen Ansatz brauchen wir aber, um den kommenden Anforderungen an das Bauen gerecht zu werden. Damit meine ich: Energie einsparen sowie material- und ressourcenschonendes Bauen.

Allerdings gibt uns der aktuelle Gebäudemarkt nicht genügend Anreize, um die Fassadenentwicklung auf breiter Linie voranzutreiben.

Vielleicht kann man es noch besser formulieren. Ich halte die Bauindustrie und gerade die Fassadenindustrie für sehr innovativ. Es gibt hunderttausende von Firmen die alle ihr Bestes tun, um Innovationen voranzutreiben. Aber das erfolgt immer nur im Rahmen von traditionellen Strukturen, sozusagen dezentral.

Für die Anforderungen der Zukunft wird diese Herangehensweise aber nicht mehr ausreichen. Dazu bedarf es den Blick auf Kunden, Nutzer, auf rechtliche und finanzielle Aspekte sowie auf die Zulieferindustrie. Am Ende wird es neue Anreize geben müssen, um Fassadenprodukte für die kommenden Anforderungen zu optimieren. —

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.

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