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Risiko: Falscher Weichmacher in ISO-Dichtstoffen

Vorsicht ist geboten

_ Es ist ein positiver Trend, dass Komponenten-Hersteller für Isolierglas zunehmend auf Werkstoffe verzichten, die umweltschädlich sind und die Gesundheit und Sicherheit der Menschen beeinträchtigen können. Dieses hat dazu geführt, dass heute Qualitätsprodukte bereitstehen, mit denen sich langlebige Isoliergläser mit hoher Dichtigkeit herstellen lassen, die gleichzeitig einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit und des Ökosystems leisten.

Was für eine Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Weichmacher bei Kleb- und Dichtstoffen für die ISO-Herstellung?

In der Regel werden diese Weichmacher, d. h. Polymere zugesetzt, um die Geschmeidigkeit (Dehnbarkeit und Elastizität) von Kunststoffen zu erhöhen. Weichmacher dürfen allerdings nicht chemisch mit dem Kunststoff, dem sie beigemischt werden reagieren, sondern nur eine physikalische Veränderung herbeiführen, wie im Elastizitätsmodul der Klebdichtstoffe.

Idealerweise ist ein Weichmacher farb- und geruchlos, mit einer chemischen Zusammensetzung, die UV-beständig, wasserdicht und unempfindlich gegenüber Temperaturschwankungen ist. Weichmacher müssen unschädlich sein und eine geringe Entflammbarkeit und eine minimale Volatilität aufweisen (Migrationsresistenz).

Weichmacher mit diesen Funktionen und Eigenschaften werden auch für Isolierglas-Dichtstoffe eingesetzt.

Es gibt aber viele Weichmacher und Weichmacher-Mischungen am Markt. Und die große Produktauswahl beinhaltet für den ISO-Hersteller auch Risiken, denn nicht alle Weichmacher eignen sich für die Isolierglas-Produktion. Dabei gibt es sogar gefährliche Produkte, was oft unterschätzt wird.

Bei den Dichtstoffen für Isolierglas auf der Basis von Polysulfiden und Polyurethan wurden Weichmacher auf Basis von Benzylbutylphtalaten oder Benzoatester jahrzehntelang eingesetzt. Selbst heute finden sich in Billigprodukten noch chlorierte Kohlenwasserstoffe (Chlorparaffine).

Chlorparaffine unterscheiden sich durch die Länge der Kohlenwasserstoffkette und genau diese Eigenschaft ist ein potenzielles Risiko. Kurzkettige Chlorparaffine (SCCP) sind für die meisten Anwendungen in der EU und in den USA verboten, wo sie als potenziell krebserregend klassifiziert sind.

Mittelkettige (MCCP) und langkettige (LCCP) Chlorparaffine sind in der EU nicht verboten, sind aber in vielen Mitgliedsstaaten unter Beobachtung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft weitere Einschränkungen für diese Stoffe in die REACH-Verordnung aufgenommen werden.

Deshalb ist bei der Verwendung von MCCP und LCCP größte Vorsicht geboten.

Dichtstoffe mit Formulierungen, die mittelkettige Chlorparaffine enthalten, sind als gefährlich für die Umwelt klassifiziert und mit folgenden Hinweisen gekennzeichnet: Dichtstoffe mit Formulierungen, die MCCP enthalten, sind deshalb als Gefahrgut für den Transport eingestuft:

Die Beförderung dieser Produkte auf der Straße darf nur mit Fahrzeugen mit ADR-Zulassung erfolgen und auch die Fahrer müssen eine ADR-Schulungsbescheinigung nachweisen.

Der Empfänger (hier der ISO-Hersteller) hat die Verpflichtung und trägt die Verantwortung zu prüfen, ob die Lieferung korrekt erfolgt.

Trotz der Verpflichtungen, die die wichtigsten Hersteller von Isolierglas-Dichtstoffen seit 1994 eingegangen sind, werden in den letzten Jahren mittelkettige Chlorparaffine (MCCP) verstärkt in Isolierglas-Dichtstoffen eingesetzt. Und zwar nicht nur bei Importen aus Nicht-EU-Ländern. Setzt sich dieser Trend fort, könnte der Verbrauch mittelkettiger Chlorparaffine (MCCP) für Dichtstoffe in Europa einen Umfang von zigtausend Tonnen erreichen, da in der Formulierung der Dichtstoffe Weichmacher mit einem Anteil von mindestens 10 % enthalten sind. Und diese Menge ist wirklich bedenklich.

Bedenklich – Mittelkettige Chlorparaffine in ISO-Dichtstoffen

MCCP sind sehr langlebig, biologisch nicht abbaubar und lipophil (Fett liebend). Sie lagern sich bei Menschen im Fettgewebe, in den Nieren und in der Leber ein.

Auch wenn die MCCP einen niedrigen Dampfdruck haben, darf dieser Faktor in der Nähe der Anlagen, in denen MCCP verarbeitet werden (wie Pumpen für Fässer), nicht vernachlässigt werden.

Das Hauptproblem ist aber der direkte Hautkontakt, der während der Verarbeitung der Dichtstoffe beim ISO-Hersteller entsteht.

Untersuchungen, die das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gemeinsam mit der TU München durchgeführt hat, haben eine alarmierend große Anzahl hoher MCCP-Konzentrationen in den Hausstaubmessungen ergeben.

Diese Ergebnisse sind zwar auch auf die Flammschutzmittel für Tapeten und auf die Fußbodenbeläge zurückzuführen. Trotzdem können Isolierglas-Dichtstoffe mit MCCP in Zukunft zu einer weiteren potenziellen Quelle für die Verseuchung von Wohnungen und am Arbeitsplatz werden.

Potenzielle Risiken im Brandfall

Weitere Risiken im Zusammenhang mit Dichtstoffen mit solchen Formulierungen bestehen im Brandfall. Unter starker Hitzeeinwirkung entwickeln MCCP-haltige Dichtstoffe oft Salzsäure und Polychlorierte Furane. Genau wie die Polychlorierten Dioxine werden die Polychlorierten Furane nach der Seveso-II-Richtlinie der EU als Gifte klassifiziert, weshalb die Verwendung und Aufbewahrung dieser Stoffe strengen Kontrollen der zuständigen Behörden unterliegt.

Dänemark hat beispielsweise die SCCP und die MCCP in die Liste der unerwünschten Stoffe aufgenommen (LOUS 2009). Diese Liste der dänischen Umweltschutzbehörde dient als Leitfaden für Unternehmen in Bezug auf Stoffe, die als bedenklich gelten und deren Verwendung eingeschränkt oder auf die komplett verzichtet werden sollte. Die Liste ist eine Aufforderung an Verarbeiter, die genannten Stoffe durch andere, weniger schädliche Stoffe zu ersetzen.

Entsorgung nicht unterschätzen

Was tun mit den leeren Dichtstoff-Tonnen? Ein weiteres Problem ist die Entsorgung von Dichtstoffen mit MCCP-haltigen Formulierungen: Die Vernichtung in Müllverbrennungsanlagen ist nicht möglich und sie lassen sich auch nicht mit dem Restmüll entsorgen. Aktuell ist eine Entsorgung nur als gefährlicher Sondermüll möglich, mit dem Abfallschlüssel 080409 „Klebstoff- und dichtmassenabfälle, die organische Lösemittel oder andere gefährliche Stoffe enthalten“.

Nach Vorgabe der EU-Bauproduktenverordnung Nr.305/2011 müssen Hersteller von Isolierglas, die MCCP-haltige Dichtstoffe verwenden, ab sofort in der DoP-Leistungserklärung angeben, dass ihr Produkt diese Gefahrenstoffe enthält.

Zudem stellt sich die Frage: Wer bezahlt die Kosten für die Entsorgung, wenn diese Isolierglasscheiben in 15 bis 20 Jahren ersetzt werden?

Für die MCCP wurde ein erster Entwurf der Risikobewertung der Öffentlichkeit Ende März 2016 zur Einsichtnahme vorgelegt. Seit der Veröffentlichung des Entwurfs plant die EPA ein Verbot der Produktion und es ist damit zu rechnen, dass diese Entscheidung kurzfristig gefällt wird.

Das geht ISO-Hersteller und auch Fenster- und Fassadenbauer an

Hersteller von Isolierglas und Fenster- und Fassadenbauer sollten sich mit dem angesprochenen Problem auseinanderzusetzen. Ein erster Schritt wäre die Prüfung der Sicherheitsdatenblätter, die es bereits für Isolierglas-Dichtstoffe gibt,

Wenn die Dichtstoff-Formulierungen als Weichmacher dann Chlorparaffine enthalten, sollte der ISO-Hersteller andere Alternativen in Erwägung ziehen. Denn die Verwendung MCCP-haltiger Dichtstoffe bei der Isolierglas-Fertigung könnte einen Verstoß gegen EU-Vorschriften darstellen, weil heute bereits weniger gefährlicher Stoffe am Markt erhältlich sind.

Und Fenster- und Fassadenbauer sollten sich auch überlegen, ob die Verwendung von Isolierglas vertretbar ist, bei dessen Herstellung die angesprochenen Weichmacher eingesetzt werden.

Dazu kommt der Ausschluss bei Green-Building Projekten: Wenn eine Gebäude-Nachhaltigkeitszertifizierung nach DGNB, BASTA oder Nord Ecolabelling erforderlich ist, sind ISO-Einheiten mit den genannten Weichmachern obsolet, da sie von der Zertifizierung ausgeschlossen sind.—

www.fenzigroup.com

Pietro Ungarelli, Technischer Leiter bei Fenzi

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