_ Industrie 4.0 ist heute in aller Munde, auch in der Glasindustrie. Die Rede ist von vernetzten Produktionsmaschinen, Robotereinsatz sowie digitaler Anbindung an Zulieferer und Kunden. Aber was bedeutet das im Detail? Die Forscher des Fraunhofer Instituts definieren den Begriff der Industrie 4.0 so: die „Vernetzung von autonomen, sich selbst steuernden und konfigurierenden, wissensbasierten, sensorgestützten und räumlich verteilten Produktionsressourcen (= Maschinen etc.), inklusive deren Planungs- und Steuerungssysteme“.
Wenn man bei dieser Definition zunächst an die klassische Automatisierung der Produktion denkt, ist das zwar richtig, geht aber nicht weit genug. Folgendes kommt noch hinzu: „In der Industrie 4.0 verzahnt sich die Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik“, so das Bundeswirtschaftsministerium auf seiner Plattform Industrie 4.0 (www.plattform-i40.de).
Um es kurz zu machen, bei Industrie 4.0 haben wir es mit intelligenten, digital vernetzten Systemen zu tun, die eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion ermöglichen. Und was bedeutet das jetzt für den Glasverarbeiter?
Die Basis ist die Datenerhebung
Zuerst einmal die Basis: Das Sammeln, Auswerten und Bereitstellen von Daten ist die unabdingbare Voraussetzung von Industrie 4.0 und ein erster Indikator für die Grenze zwischen maschinentechnischer Automatisierung und der vierten industriellen Revolution, wie 4.0 auch genannt wird.
Die Datenverarbeitung erfolgt dabei automatisch durch die eingesetzte Informations- und Kommunikationstechnik sowie Sensoren und manuelle Eingaben in unterstützende Systeme (z. B. durch Barcodescan und durch die Maschine selbst). Diese Daten sowie die entsprechende Verwertung sind die Grundlage für eine (Teil-) Automatisierung und Vernetzung.
Menschen, ganze Produktionsstätten, Maschinen, Logistik und selbst Produkte kommunizieren und kooperieren im Rahmen von Industrie 4.0 auf Basis der so erhobenen Daten direkt miteinander.
Darüber hinaus lassen sich so auch Produktions- und Logistikprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg mit den Produktionen von Partnern und Zulieferern intelligent miteinander verzahnen. Ziel ist es, den Produktionsprozess noch effizienter und flexibler zu gestalten. Eines der Ergebnisse einer solchen Vernetzung ist die Möglichkeit, selbst Losgröße 1 im „normalen Prozesslauf“ wirtschaftlich zu fertigen.
Industrie 4.0 = Automatisierte Produktion?
Muss demnach die gesamte Produktion im Rahmen von Industrie 4.0 automatisiert werden? Dazu folgende Aussagen, die anschließend näher betrachtet werden:
- Es ist gelebte Praxis – und häufig nicht anders möglich – auch ohne vollständige Automatisierung die Ideen von Industrie 4.0 in die Firma zu implementieren.
- Die Produktion kommt nicht ohne den Menschen aus. Bei der Vernetzung als Grundlage einer selbstorganisierten Produktion muss der Mitarbeiter folglich ebenfalls mit einbezogen werden. Genauso wie die Maschinen braucht er als Teil des Produktionsprozesses die richtigen Informationen am richtigen Arbeitsplatz zum richtigen Zeitpunkt.
Die Grenze zwischen 4.0 und Automatisierung
Betrachten wir ein einzelnes Unternehmen, dann ist die Grenze zwischen Industrie 4.0 und der Automatisierung der Produktion nicht immer leicht festzulegen.
Die überwiegende Mehrheit der produzierenden Betriebe hat nicht die Möglichkeit eine neue, komplett vernetzte Produktionsstätte aufzubauen.
Deshalb ist unter Beachtung der bestehenden Rahmenbedingungen individuell zu entscheiden, wie und wo eine Automatisierung sinnvoll und umsetzbar ist.
Oft sind es Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Glasverarbeiters, die regionalen Gegebenheiten, wie etwa der Arbeitsmarkt, der Ausbildungsstand und die Kompetenz der beschäftigten Mitarbeiter sowie die räumlichen Gegebenheiten, die diesen „Grenzverlauf“ festlegen.
Auch kann ein heterogener Maschinenpark sowie die daraus resultierenden Probleme der Verknüpfung der einzelnen Aggregate eine Reihe von Betrieben von einer Automatisierung abhalten.
Wenn durch einen oder durch mehrere der hier genannten Gründe die Grenze für die Automatisierung erreicht ist, z. B. durch Begrenzungen des zur Verfügung stehenden Raumes oder weil die Maschinen schlicht nicht miteinander verknüpfbar sind, kann das Konzept der Industrie 4.0 in den glasverarbeitenden Unternehmen dennoch weiter umgesetzt werden.
Teil-Automatisierung als wichtiger Zwischenschritt
Die vollautomatisierte Produktion im glasverarbeiten Betrieb, beginnend bei der Scheibenentnahme aus dem Portallager, geht über den Zuschnitt mit automatischer Einfächerung der Scheiben in ein Sortiersystem und anschließender – ebenfalls automatischer Beförderung – zu den weiteren Bearbeitungsschritten bis hin zu Verladung und Versand.
Eine solche Vollautomatisierung ist wie erwähnt zwar denkbar, jedoch räumlich und maschinentechnisch im bestehenden Betrieb nur schwer zu realisieren. Das gilt insbesondere für Glasverarbeiter, die mehr als nur Isolierglas fertigen.
Es ist jedoch mittels punktueller Automatisierung auch möglich, Workflows im Sinne der Industrie 4.0 effizienter zu gestalten.
Bei hoher Produktionstiefe (also vielen Bearbeitungen) lohnt sich daher die genaue Betrachtung der einzelnen Arbeitsschritte. Hier einige Beispiele: Einen automatisierten Sortierbereich nach dem Zuschnitt einzusetzen, um die Scheiben automatisch nach Folgearbeitsgang in Fächerwagen zu sortieren, kann ein passender Schritt sein.
Ein weiterer das automatische Zuführen der Scheiben mittels shuttlebasiertem Speicher auf die nachfolgende Bearbeitungs- oder ISO-Linie. Und um das Packen der Versandgestelle zu vereinfachen, kann das Abstapeln nach der Isolierglas-Linie mithilfe eines Roboters eine große Hilfe bedeuten.
Individuelle Workflows vs. Automatisierung
Bei der Planung der Workflows innerhalb der Produktion kann es darüber hinaus sinnvoll sein, bewusst auf Automatisierung zu verzichten, um eine höhere Flexibilität zu schaffen und die Reaktionsgeschwindigkeiten, etwa bei Maschinenausfall oder zugelassenen Eingriffsmöglichkeiten, zu erhalten oder sogar zu erhöhen.
Es ist kein Widerspruch zum Industrie 4.0-Konzept auch mit manuellen Prozessschritten zu arbeiten, um eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion im Rahmen von intelligenten, digital vernetzten Systemen zu unterstützen und zu ermöglichen.
Die Basis auch hierfür sind wiederum die erfassten, aufbereiteten und den einzelnen Arbeitsstationen zur Verfügung gestellten Daten.
Vernetzung als Grundlage der Datenerhebung
Die hier vorab genannten Beispiele für eine an die Gegebenheiten angepasste (teil-) automatisierte Produktion basieren alle auf der Voraussetzung einer kompletten Kommunikationsvernetzung.
Deren Ziel ist wiederum, an den vorab definierten Positionen/Arbeitsstationen die notwendigen Daten zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen. Hierbei ist zu trennen zwischen den Daten, die den Mitarbeiter bei seiner Arbeit unterstützen und jenen Daten, die für die Maschinen bereitgestellt werden.
Der vernetzte Roboter am Ende der ISO-Linie bekommt die Daten für die Packreihenfolge aus dem PPS-System. Das PPS-System weiß, welche Scheibe in welches Fach des shuttlebasierten Speichers oder des Sortierbereichs muss und stellt diesem die Daten zur Verfügung.
Auch der Mitarbeiter wird durch die Digitalisierung seines Arbeitsplatzes in seinem manuellen Prozessschritt durch entsprechende Informationen unterstützt.
Diese können Arbeitsvorrat, Details zum Produktionsgang, Handlungsoptionen und Hinweise (z. B. Verzögerungen oder Änderungen) sowie spezielle Kundenwünsche sein. Durch die digitale Interaktion mit dem Gesamtsystem (z. B. Fertigmeldung des Arbeitsganges oder Bruchmeldung) wird der Bediener ein integraler Teil des Gesamtprozesses.
Wohin geht die Reise
An dem Punkt, an dem die maschinentechnische Automatisierung endet, geht eine vernetzte Fertigung nach dem Prinzip der Industrie 4.0 deutlich weiter.
Auch wenn durch vorhandene Rahmenbedingungen meist keine vollständige maschinenbezogene Automatisierung möglich oder gewünscht ist: Durch die digitale Vernetzung sowie die Abbildung der Arbeitsabläufe innerhalb eines übergeordneten intelligenten Systems lässt sich sicherstellen, dass sowohl der Mitarbeiter als auch die Maschinen jederzeit alle Informationen zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung haben, um das Ziel einer weitestgehend selbst organisierten Produktion zu erreichen.
Unter dieser Prämisse wären die innerbetrieblichen Voraussetzungen für Industrie 4.0 hinsichtlich der Vernetzung auch ohne eine Voll-Automatisierung in einem glasverarbeitenden Unternehmen oder bei einem Isolierglas-Hersteller erfüllt. —