Störende Doppelbrechungen im vorgespannten Glas – sogenannte Anisotropien – führen nach Auskunft von Albert Schweitzer von arcon immer wieder dazu, dass Bauherren Fassadengläser aus vorgespannten Gläsern (ESG / TVG) beanstanden. Denn diese Doppelbrechungen im Glas sind in polarisiertem Licht (wie es auch im Tageslicht vorkommt) sichtbar und erzeugen grau oder farbig erscheinende Störungen im Glas. Da Anisotropien gemäß den aktuellen technischen Richtlinien für „Thermisch vorgespanntes Kalknatron-Einscheibensicherheitsglas“ EN 12150-1:2000“ keinen Reklamationsgrund darstellen, sehen die meisten Glaslieferanten keinen Handlungsbedarf. Jedoch bleibt in vielen Fällen ein unzufriedener Bauherr zurück.
Glasspezialist Schweitzer: „Diesen Stand der Technik wollten wir bei arcon nicht akzeptieren und sind dem Phänomen in den letzten fünf Jahren auf den Grund gegangen. Unser Ziel war es, eine Lösung zu finden, die keine sichtbaren Anisotropie-Effekte aufweist. Und das haben wir mit dem Glas arcon topview geschafft.“
Was steckt hinter dem Effekt
Durch den Vorspannprozess werden im Glasquerschnitt unterschiedliche Spannungen hervorgerufen: ESG oder TVG werden in einem Vorspannofen auf rund 650 Grad Celsius erhitzt und anschließend mit Kaltluft abgeschreckt. Durch das „Abschrecken“ entstehen Spannungszonen, die zu Doppelbrechungen des Lichts im Glas führen. Das ist produktionsbedingt.
Betrachtet man nun thermisch vorgespannte Gläser in polarisiertem (Tages-)Licht, erscheinen die Spannungszonen als graue oder farbige Bereiche, die auch als Leoparden-Muster bezeichnet werden. Diese sind insbesondere bei streifendem bzw. flachem Blickwinkel sowie bei bestimmten Einbausituationen deutlich sichtbar. Die Menge des polarisierten Tageslichts ist abhängig vom Wetter und dem Winkel der Sonneneinstrahlung.
Mit zunehmender Glasdicke zeichnet sich der physikalische Effekt der Anisotropie stärker ab. Zudem können die Doppelbrechungen auch bei modernen Sonnenschutzbeschichtungen verstärkt auftreten, wenn aus den grauen Musterungen farbige Effekte entstehen.
Anisotropien lassen sich nicht vollständig vermeiden. Jedoch hat arcon eine Technik entwickelt, sodass die Anisotropien so klein werden, dass sie mit dem bloßen Auge nicht mehr erkannt werden. Die Kenngröße, die der Glasveredler hierfür eingeführt hat, ist der Isotropiewert. Dieser Isotropiewert macht darüber eine Aussage, welcher Flächenanteil einer vorgespannten Scheibe in einem unkritischen Bereich liegt. Bei einem großen Prozentwert wird man keine sichtbaren Anisotropien sehen können. Für seine topview Produkte hat der Hersteller diesen Wert auf mindestens 95 Prozent gesetzt. Bei einem kleinen Isotropiewert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass störende Effekte auftreten.
„Unsere topview-Technologie kann Anisotropien zwar nicht ausschließen, diese aber so weit reduzieren, dass sie nicht länger stören“, so Schweitzer: „Dies haben wir in aufwendigen Versuchsserien bestätigt. Wichtig ist nun, solche vorgespannten Gläser mit diesen Werten reproduzierbar herzustellen.“
Eine empirische Untersuchung von arcon habe gezeigt, dass bisher am Markt verfügbare Gläser Isotropiewerte von ca. 55 bis 80 Prozent aufweisen. Das eigene Produkt mit seinem Wert größer oder gleich 95 Prozent setze sich davon also deutlich ab.
Der lange Weg zur Umsetzung
Um Anisotropien überhaupt verifizieren zu können, musste der Glasveredler zuerst einmal eine entsprechende Messtechnik entwickeln. Schweitzer erläutert: „Wir haben an der Entwicklung dieser Technologie und am neuen Produkt insgesamt fünf Jahre gearbeitet. Es musste zuerst das grundlegende Verständnis um das Phänomen und dann die passende Messtechnik entwickelt und aufgebaut werden. Danach konnten wir die Fertigungstechnik angehen und in einem weiteren Entwicklungsschritt wurde das Polarisationsverhalten der arcon Sonnenschutzbeschichtungen (sunbelt) optimiert.“
Erst nach erfolgreichem Abschluss aller drei Entwicklungsstufen war der Glasveredler in der Lage, arcon-topview-Qualität herzustellen. Unter realen Bedingungen und unter einer Vielzahl von Beleuchtungssituationen wurde anschließend durch Langzeit-Messungen und Fotodokumentation nachgewiesen, dass das neue Konzept funktioniere. Schweitzer: „Der hohe Aufwand und unser langer Atem hat dazu geführt, dass wir mit topview wohl das erste und einzige Glas anbieten können, dass keine sichtbare Anisotropien aufweist.“
Heute sei der Anbieter mit vielen Partnern und Glasveredlern im Gespräch, was die Lizensierung des Produkts betrifft.
Aufgrund der aktuellen technischen Richtlinie stellen laut Schweitzer die störenden Anisotropien zwar keine rechtliche Beanstandung dar. Aber aufgrund seiner Hinweispflicht und um Unzufriedenheit und Ärger bei den Beteiligten aus dem Weg zu gehen, rate er beim Einsatz von vorgespannten Fassadengläsern, bei Kunden und Bauherrn auf Doppelbrechungen hinzuweisen. Der Bauherr kann dann wählen, ob er für einen Mehrpreis ein Glas mit erheblich reduzierten Anisotropien bestellen möchte. —
Tipp der Redaktion: Lesen Sie zum Thema auch unseren GLASWELT Diskurs auf Seite 40.
Der Autor
Albert Schweitzer ist in der Technischen Beratung sowie in der Objektberatung der arcon Flachglas-Veredlung GmbH tätig.