Glaswelt – Seit Kurzem gibt es bei uns die gesetzliche Mindestlohnregelung von 8,50 Euro pro Stunde, wie steht das Handwerk dazu?
Karl-Sebastian Schulte – In der Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn hat der ZDH stets die Ansicht vertreten, dass die Festlegung von Mindestlöhnen in erster Linie den Tarifvertragsparteien der einzelnen Branchen im Rahmen ihrer Tarifautonomie obliegt. Aus unserer Sicht haben sich branchenspezifische allgemeinverbindliche Mindestlöhne bewährt. Wir sehen diese weiterhin als geeignetes Instrument an. Mit dem Mindestlohngesetz hat der Gesetzgeber eine Lohnuntergrenze eingezogen sowie viele neue Begleitregelungen geschaffen. Unsere Erfahrungen aus der Beratungspraxis zeigen deutlich: Das neue Gesetz würde bei den Betrieben auf eine größere Akzeptanz stoßen, wenn die damit einhergehenden Belastungen nicht so weitreichend wären. Viele Arbeitgeber haben den Eindruck, dass sie ohne Grund unter den Generalverdacht gestellt werden, den Mindestlohn umgehen zu wollen.
Glaswelt – Was ändert sich im Detail?
Schulte – Das Mindestlohngesetz gilt bei Weitem nicht nur für Arbeitnehmer, die 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Es wirkt vielmehr weitreichend in die bestehenden Arbeitsbeziehungen hinein und verursacht neben neuen Rechtsunsicherheiten zusätzliche bürokratische Lasten. Das sind z. B. umfassende Verpflichtungen zur Arbeitszeitaufzeichnung, Besonderheiten beim Führen von Arbeitszeitkonten sowie Sonderregelungen bei der Anrechenbarkeit von Zulagen oder Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn.
Glaswelt – Wo sind die kritischen Punkte?
Schulte – Betroffene Betriebe klagen über die hohen administrativen Belastungen. So werden Personengruppen mit neuen Verpflichtungen zur Arbeitszeitaufzeichnung überzogen, obwohl diese bisher nie im Fokus der Mindestlohndebatte standen und Verdienste weit über dem gesetzlichen Mindestlohn erzielen. Das sind u. a. technische und kaufmännische Angestellte im Baugewerbe, zu denen über die Baubetriebe-Verordnung auch das Glaserhandwerk zählt. Die vom Bundesarbeitsministerium herbeigeführten Einschränkungen der Aufzeichnungspflichten in der Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung werden der betrieblichen Realität nicht gerecht. Die Verdienstgrenze von 2958 Euro pro Monat ist deutlich zu hoch angesetzt. Liegt man darüber, ist sie mit weiteren Aufzeichnungsverpflichtungen nach dem Arbeitszeitgesetz verbunden. Völlig überzogen ist zudem die im Mindestlohngesetz vorgesehene Auftraggeberhaftung. Die verschuldensunabhängige Haftungsregelung führt dazu, dass die kleinen Handwerksbetriebe als Nachunternehmer von ihren Auftraggebern mit Freistellungserklärungen und Bürgschaftsverpflichtungen überhäuft werden. Die Auftraggeber wollen sich damit zulasten dieser Betriebe von der Mindestlohnhaftung freizeichnen und drohen oft mit Vertragsstrafen.
Glaswelt – Wo sehen Sie dringenden Nachbesserungsbedarf?
Schulte – Die bürokratischen Verpflichtungen zur Arbeitszeitdokumentation, die auch das Glaserhandwerk treffen, müssen zurückgeschraubt werden. So sollte die Verdienstschwelle der Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung mindestens auf 2200 Euro abgesenkt werden. Auch die verschuldensunabhängige Auftraggeberhaftung muss mindestens auf die Regelung aus dem ersten Gesetzes-Entwurf zurückgeführt werden: Hier sollte die Haftung des Auftraggebers auf Fälle begrenzt werden, in denen er Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis einer Nichtzahlung des Mindestlohnes hatte. Das würde die zwischen den Firmen notwendige Vertrauensbasis wiederherstellen. An diesen Zielen arbeitet der ZDH.
Glaswelt – Wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung der Mindestlohnregelung?
Schulte – Das ist Aufgabe der Behörden der Zollverwaltung, konkret der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Die FKS ist befugt, Grundstücke und Geschäftsräume des Arbeitgebers zu betreten, Personalien aufzunehmen und Personenbefragungen durchzuführen sowie Arbeitsverträge und Geschäftsunterlagen einzusehen. Wiederholt gab es Beschwerden über das Auftreten und das Erscheinungsbild der Mitarbeiter der FKS bei den Betriebskontrollen. Es gilt hier, unnötige Verunsicherungen zu vermeiden – nicht nur bei den Betriebsinhabern, sondern auch bei den Arbeitnehmern und vor allem bei den Kunden, die sich in den Geschäftsräumen aufhalten. Dazu führen wir gerade Gespräche mit dem Zoll.
Glaswelt – Sehen Sie für Handwerker auch Vorteile durch den Mindestlohn?
Schulte – Der Mindestlohn kann dazu beitragen, einen Preiswettbewerb durch Lohndumping zu verhindern. Für Niedriglohnbranchen ohne hinreichende Tarifbindung stellt der gesetzliche Mindestlohn zumindest eine Haltelinie nach unten dar. Das betrifft aber nur wenige Handwerksbranchen. Im Handwerk liegen die Löhne meist weit über dem gesetzlichen Mindestlohn. Mit dem Mindestlohn verbunden ist die Gefahr von Ausweichbewegungen, die zum Anwachsen von Schein- und Soloselbstständigkeit sowie von Schwarzarbeit führen können. Dies müssen wir im Blick behalten und rechtzeitig gegensteuern.—