Nachfolgend stellen wir drei Glasverarbeiter vor, die sich intensiv mit dem Thema Roboter-Einsatz auseinandergesetzt haben haben und heute nicht mehr darauf verzichten wollen. Das sind die WIPA Glasgroßhandel GmbH aus Trier, die glas strack innovations GmbH aus Bochum sowie der Glasverarbeiter van Noordenne aus Hardinxveld-Giessendam (NL).
Als es bei der WIPA in der Produktion immer wieder zu Verzögerungen kam, machte die Analyse von Juniorchef Marius Wiszinski unmissverständlich klar, woran es hinkt: „Wir hatten in der Schleiferei einen Engpass, der sich leider negativ auf unsere Produktionskapazitäten auswirkte.“
In Absprache mit seinem Vater Gisbert Wiszinski entstand in Folge eine Kalkulation für die Investition in eine vollautomatisch arbeitende Schleiflinie von Lattuada, inklusive eines Roboters für die mannlose Bedienung.
Die erste Kontaktaufnahme zur Investition in die Roboter-gestützte Anlage erfolgte über Füldner Machines & Service, den Vertriebspartner von Schleifanlagen-Hersteller Lattuada in der DACH-Region und Benelux. Schnell wurde klar, dass dabei auch die Roboterspezialisten von Knittel von Anfang an mit eingebunden werden mussten. Nach der ersten Bestandsaufnahme startet das Team von Jochen Günther, dem Leiter des Maschinenbaus bei Knittel (www.knittel-glaeser.com), mit der Auswertung und anschließenden Planung der Kombi-Anlage aus Schleifmaschine und Roboter.
Gemeinsame Planung
In enger Abstimmung mit Gisbert und Marius Wiszinski, entwickelte das Knittel-Team das gewünschte Anlagenlayout für den vollautomatisierten Schleifprozess. „Der Mitarbeiter schiebt ein Rohglasgestell in die Aufnahme der Schleifanlage – und kann ab dann eigentlich anderen Tätigkeiten nachgehen. Denn der Roboter handelt in der vollautomatischen Schleiflinie die Scheiben nun selbstständig, bis sie dann wieder am Auslaufbock abgestapelt werden“, erläutert Jochen Günther den Prozess.
Für die WIPA Glasgroßhandel GmbH war es wichtig, dass der Produktionsablauf sicher und konstant erfolgt, und dort sollte nichts dem Zufall überlassen werden, damit das Unternehmen optimal von seinem neuen Roboter profitieren kann. Das war der Anspruch der Auftraggeber.
Jochen Günther: „Hier muss der Kunde Prozesssicherheit erhalten. Und das ist unser Job, daran arbeiten wir täglich. Das ist auch deshalb so wichtig, da es buchstäblich keine zwei gleichen Aufträge gibt.“
Das unterstreicht auch Nicola Lattuada vom Maschinenhersteller Adelio Lattuada Srl, der eng mit Knittel kooperiert: „Wir bieten individuelle Lösungen an, und die findet der Kunde nicht im Katalog, so viel ist klar. Es geht in jedem einzelnen Fall darum, den Bedarf des Glasverarbeiters genau zu verstehen und ihn mit einer maßgeschneiderten Lösung auszustatten.“
Insbesondere, wenn es um den Einsatz von Robotik geht, kommt dem Spezialist für Schleifmaschinen die langjährige Partnerschaft mit Knittel, dem Fullserviceanbieter für Robotiklösungen („customized robotics“), zu Gute, die in dieser Konstellation für die Flachglasbranche wohl einzigartig ist.
Hintergrund: Die Waldemar Knittel Glasbearbeitungs GmbH hat sich bereits vor einigen Jahren auf Robotik in der Glasverarbeitung spezialisiert und ist seit über 20 Jahren der Partner von Lattuada. Knittel ist selbst in der Be- und Verarbeitung von Glas aktiv und besitzt die entsprechende Anwenderperspektive, wenn es um Robotik geht. Knittel stellt am Standort Braunschweig täglich über 2,5 Mio. gläserne Objektträger sowie Deckgläser für die Medizintechnik her.
Diese Gläser unterscheiden sich zwar von Flachglas für den Bausektor, dennoch stellen sich dort ähnliche Anforderungen wie bei der Bauglas-Verarbeitung. Dazu kommt, auch dieser Markt ist hart umkämpft. Um so produktiv wie irgend möglich zu werden und die geforderte, hohe Qualität für den medizinischen Sektor in großer Zahl zu reproduzieren, spielte die Automatisierung bereits früh in der Unternehmenshistorie eine entscheidende Rolle.
Dazu Fabio Insalata geschäftsführender Gesellschafter von Knittel und Schwiegersohn des Firmengründers: „Der komplette Markt, abgesehen von uns, produziert in Asien. Nur durch den Einsatz von Robotern können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Dabei sind wir die einzigen, die heute noch in Deutschland produzieren (können). Und das machen die Roboter möglich.“
Der zweite Knittel-Standort in Bielefeld fertigt die Roboter, die dann auf die kundenspezifischen Anforderungen ausgerichtet werden. Knittel liefert in diesem Zug auch den vollständigen Support, von der Konzeption des Anlagenlayouts bis zur Inbetriebnahme der Roboter durch eigene Programmierer und Servicespezialisten.
Was die neue Roboter-Schleifkombination bei WIPA angeht, haben sich die Erwartungen wie gewünscht erfüllt. So konnte die Produktion nun um eine weitere Schicht beim Schleifen aufgestockt werden. So freuen sich die Verantwortlichen, das zur Verfügung stehende Potenzial im Bereich der Fertigungskapazitäten endlich auch ausschöpfen zu können.
Produktivität um 30% gesteigert
Roboter-Spezialist Jochen Günther spricht bei WIPA von stattlichen Produktivitätssteigerungen in einer Größenordnung um die 30 Prozent. Zudem werden die Mitarbeiter entlastet und dem Personalmangel Paroli geboten mit dem heute viele Verarbeitungs- und Veredelungsbetriebe zu kämpfen haben.
Zurück wie die Feuerwehr
Gleichzeitig sind die Mitarbeiter nicht mehr nur auf eine Maschine oder Verantwortung festgelegt, sondern können mehrere Prozessschritte überwachen.
Knittel hat für solche Umsetzungen zudem einen Beeper („Wie bei der Feuerwehr“) im Angebot, der nach Abschluss eines Schleifzyklus den Mitarbeiter automatisch zur Linie zurückruft – und so sicherstellt, dass bis zum Zuführen des nächsten Rohglasgestells möglichst wenig Zeit ungenutzt verstreicht.
Die Flexibilität erhöhe zudem die Attraktivität der Arbeitsplätze im Zuge der dazu gewonnenen Abwechslung, insbesondere wenn das Team zeitgleich von körperlicher Anstrengung entbunden wird, wird das gut von den Mitarbeitern angenommen, so die Erfahrung von Jochen Günther.
Dass dies bei der WIPA Glasgroßhandel GmbH geglückt ist, liegt auf der Hand, bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität.
Haben die Betriebe unter Produktionsbedingungen den vollautomatischen Betrieb mithilfe des Roboters schätzen gelernt, wird nicht selten bei weiteren Prozessschritte auch noch aufgerüstet.
Auch hier überzeugt der Roboter
Bei der glas strack innovations GmbH in Bochum („Made@Ruhrpott“) war die Investition in den Roboter eingebettet in eine Offensive, die neben der Arbeitssicherheit und schonenden Arbeitsplätzen auch nachhaltige Aspekte wie Ökostrom und die hauseigene Wasseraufbereitung beinhaltete.
„Die körperliche Belastung der Mitarbeiter auf ein Minimum zu reduzieren“, sagt Geschäftsführer Maik Grondkowski im Firmen-Video, sei ausschlaggebend für die Investition ins Thema Robotik gewesen.
Das bestätigt auch Jochen Günther, Leiter des Maschinenbaus bei Knittel, nach zahlreichen erfolgreichen Projekten im In- und Ausland: „Es geht in der Motivation, auf Robotik in der Flachglasbearbeitung zu setzen, schon lange nicht mehr darum, Personal einzusparen. Vielmehr sind unsere Kunden bemüht, ihren Beschäftigten attraktive und sichere Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und die Qualität ihrer Gläser dauerhaft zu gewährleisten.“
Made in Netherlands
Auch Glasbearbeiter van Noordenne mit einem Glasgroßhandel (6000 t Glas am Lager), wo neben 5000 m2 Glas im Tages-Zuschnitt, viele Gläser geschliffen werden, greift auf das Automations-Know-how des deutsch-italienischen Tandems bestehend aus der Waldemar Knittel Glasbearbeitungs GmbH und Lattuada zurück. Beim Schleifen liegt die Jahresleistung bei rund 250 000 lfm.
Ab Frühjahr 2024 werden bei dem Glasveredler zwei Roboter an zwei über ein Drehgestell verlinkten Schleifmaschinen mit angeschlossener Waschmaschine arbeiten.
Im sogenannten 90 Grad-Programm des Robotik-Spezialisten Knittel führt der erste Roboter im ersten Durchlauf die Werkstücke abwechselnd orientiert zu, d. h. einmal auf der langen, dann auf der kurzen Kante.
Der zweite Roboter handelt die Werkstücke vom Auslauf der Maschine eins in den Einlauf der Maschine zwei und dreht diese um 90 Grad.
Der erste Roboter unterbricht im zweiten Durchlauf automatisch die Zuführung vom Glasgestell und handelt die Werkstücke vom Auslauf der Maschine zwei in den Einlauf der Maschine eins wiederum bei gleichzeitiger Drehung um 90 Grad. Der zweite Roboter schließlich handelt im zweiten Durchlauf die Werkstücke vom Auslauf der Maschine eins in den Einlauf der Maschine zwei bei nochmaliger Drehung um 90 Grad. Die fertig geschliffenen Gläser laufen dann in die Waschmaschine, während der erste Roboter mit dem Entladen bzw. Zuführen der nächsten Charge vom Glasgestell beginnt und diese Maschine eins zuführt.
Weiterführende Planungen sind auf Wunsch des Verarbeiters im Gang, konkret geht es um die Zielsetzung, vom erreichten Bearbeitungsschritt aus weitere Prozesse zu automatisieren. Dabei sollen bei Glasbruch vordefinierte Notfallstrategien greifen, damit es nicht zu Standzeiten kommt und sich die Taktzeiten weiter nach oben schrauben lassen.
Um die künftigen Verbesserungspotenziale zu erkennen, bedarf es nicht allzu großer Fantasie – sie zu heben, indes schon.—