Nicht nur bei hochkarätigen Fassadenprojekten ist es heute erforderlich, Qualitätsmessungen an jedem eingesetzten Bauteil durchzuführen, inklusive den verbauten Gläsern. In den letzten Jahren nimmt dabei die Sensibilität der Bauherren und Planer gegenüber Anisotropien in vorgespannten Gläsern deutlich zu. Diese werden vielfach als störend und auch als Fehler reklamiert.
Heute ist eine Reihe von Messsystemen für Anisotropien bei der ESG-Herstellung im Einsatz. Dabei fordern die Glasverarbeiter zunehmend, dass die eingesetzten Scanner neben den Anisotropien auch die Verzerrungen im Glas messen sollen (Bild 01). Nachfolgend ein kurzer Überblick über die Unterschiede dieser beiden physikalischen Merkmale, die unabhängig beim Vorspannprozess voneinander auftauchen. Weiter wird aufgezeigt, warum es notwendig ist, beide zu messen und zu kontrollieren.
Was sind optische Verzerrungen?
Spricht man bei der ESG Produktion von Verzerrung, bedeutet dies Abweichungen von der Planität (Ebenheit) eines vorgespannten Glases, welche durch den Temper- oder Vorspannprozess verursacht wird.
Hintergrund: Beim Vorspannen von Glas wird die Scheibe erhitzt und dann kontrolliert abgekühlt, um einen inneren Spannungsgradienten zu erzeugen. Dieser Prozess bewirkt immer einige physikalische Verzerrungen, die dazu führen, dass reflektierte Bilder optisch verzerrt werden.
Ohne eine automatisierte Prozesssteuerung kann eine solche Verzerrung leicht ein Niveau erreichen, das vom Kunden bemängelt wird. Solche Verzerrungen sind für die Mitarbeiter in der Produktion, insbesondere bei der Qualitätssicherung, eine Herausforderung, denn bei der visuellen Kontrolle werden solche Fehler häufig nicht erkannt.
Ein solches nicht einwandfreies Glas bleibt dann oft bis zu seiner Montage unbemerkt, oder schlimmer noch, bis nach dem Einbau vor Ort. Und das kann sehr teuer werden.
Nachfolgend Beispiele für die beiden am häufigsten auftretenden Arten von Glasverzerrungen. Diese sind als Roller-Wave-Verzerrungen (Bild 02) und Hammer- oder Taschenverzerrung (Bild 03) bekannt.
Neben der Kontrolle der visuellen Qualität des Glasprodukts ist zudem auch die Messung und Kontrolle der Verzerrung für jeden nachgeschalteten Verarbeitungsschritt entscheidend, gerade bei solchen Bearbeitungen, die eine hohe Planität/Ebenheit des Glases voraussetzen.
Gerade bei der Produktion von hochwertigen Verbundgläsern ist die Planität der eingesetzten Basisgläser entscheidend für das Endprodukt. Sind die dabei verbauten ESG-Scheiben nicht sehr plan, addieren sich diese Fehler und führen zu starken optischen Beeinträchtigungen der laminierten Scheiben.
Verarbeiter, die hier Scanner zur Qualitätskontrolle der Basisgläser einsetzen, können hierdurch ihren Ausschuss deutlich senken bzw. ihre Ausbeute deutlich erhöhen. Darüber hinaus sind sie in der Lage, weitere Prozessoptimierungen durchzuführen, wie z. B. die Verwendung von dünneren Zwischenlagen (VSG-Folien). Ein automatischer Verformungsscanner wird somit zum Schlüssel, um qualitativ hochwertige Vorspannprodukte zu fertigen.
Es ist zwar hierbei technisch möglich, auch rudimentäre, stichpunktartige Handmessungen durchzuführen, aber das ist zu zeitintensiv und für die Fertigung in großem Maßstab kaum geeignet. Eine effektive Prozesskontrolle erfordert eine 100 %ige Online-Messung sowie die sofortige Rückmeldung an den Bediener bzw. den Produktionsleiter.
Scanner vs. Anisotropien
Anisotropien erscheinen als Muster aus dunklen und hellen Bereichen im Glas. Sie werden durch den Effekt der Irisierung sichtbar, wenn sie polarisiertem Licht (u. a. Tageslicht) ausgesetzt sind. Auch durch eine Sonnenbrille lassen sich Anisotropien erkennen. In Bezug auf die Anisotropien bei vorgespannten Gläsern muss die Glasindustrie schnell reagieren, denn diese optischen Beeinträchtigungen werden gerade im Objektbau immer häufiger bemängelt (Bild 04).
Spezielle Scanner sind heute in der Lage, diese Anisotropien im Glas in Echtzeit zu erkennen und zu messen. Das wiederum versetzt den Bediener eines ESG Ofens in die Lage, die Vorspann-Parameter schnell anzupassen, um Anisotropien vorzubeugen.
Was passiert beim Vorspannprozess mit dem Glas?
Der Vorspannprozess erzeugt bewusst hohe Oberflächen- und Mittenspannungen in einem Glas. Das Ziel ist der theoretisch perfekt ausgeglichene Spannungszustand in der Scheibe (Bild 05, linke Grafik).
Sind die Spannungslinien im Glas ausbalanciert, hat polarisiertes Licht keinen Einfluss auf die Optik auf die Scheibe Bild 05, rechte Grafik). Damit können keine Irisierungen als optische Beeinträchtigung auftreten.
In der Praxis gibt es bei einem ESG immer einige Bereiche mit unausgeglichenen Spannungen (Bild 04), die sich je nach Polarisationszustand unterschiedlich stark auswirken und für Irisierungen verantwortlich sind. Je nach Lichtbedingungen werden dann „geisterhafte“ Irisierungsmuster sichtbar.
Dieser (negative) Effekt lässt sich optisch quantifizieren, man spricht hier von Retardierung, und wird typischerweise in Nanometern (nm) gemessen.
Verzerrung und Anisotropien sind unabhängig voneinander
Wie vorab erläutert, sind Verzerrungen und Anisotropien unterschiedliche Merkmale bzw. Effekte im Glas, die grundlegend verschiedene Ursachen haben. Anisotropien beruhen auf ein ungleiches Spannungsgefüge im Inneren des vorgespannten Glases.
Verzerrungen werden hingegen durch die physikalische Verformung oder durch eine lokale Wölbung des Glases verursacht, die beim Vorspannen entstehen. Dazu kommt, dass durch die physikalische Verformung ein Teil des Spannungsungleichgewichts abgebaut werden kann, wodurch sich der Grad der Anisotropie tatsächlich verringert.
Nachfolgend sind typische Beispiele aufgeführt, die deutlich zeigen, dass Verformungen und Anisotropien unabhängig voneinander sind: Das erste Beispiel (Bild 06) ist eine Detailansicht eines ESG mit Taschenverzerrung im linken Messbild und sehr geringen Anisotropiegraden, rechts im Bild.
Das zweite Beispiel (Bild 07) zeigt ein Glas mit genau den entgegengesetzten Eigenschaften. Es zeigt eine sehr geringe Verzerrung (Messbild links) und unzulässige Anisotropiegrade, die rechts zu sehen sind (in Grün).
Darum muss man Verzerrungen und Anisotropien messen
Scanner haben sich in der Qualitätskontrolle seit ihrer weltweiten Einführung vor rund 20 Jahren als leistungsfähige Kontrollwerkzeuge beim Vorspann-Prozess bewährt.
Die Möglichkeit der Detektierung von Anisotropien ist hierbei eine jüngere Anforderung, die sich zunehmender Nachfrage der Glasverarbeiter erfreut. Gerade auch vor dem Hintergrund von sich verschärfenden Normen und Anforderungen vonseiten der Bauherren und Planer.
Ausblick
Es liegt auf der Hand, dass die Messung und Kontrolle sowohl von Verzerrungen als auch von Anisotropien notwendig sind, wenn Glasverarbeiter die steigenden Marktanforderungen nach höchster Qualität bei vorgespannten Gläsern erfüllen wollen.
DER AUTOR
Eric Hegstrom ist VP of technology bei LiteSentry. Eric verfügt über 25 Jahre an Erfahrung in der industriellen Automatisierung, von denen sich die letzten 19 Jahre auf Qualitätsinspektionssysteme für die Glasindustrie konzentriert haben.
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