Der Bauherr bestellte die Fenster wie angeboten. Die Fensterelemente wurden im September 2018 geliefert und eingebaut. In der 23. KW 2019 stellte der Bauherr einen ersten Riss in dieser 3-fach-Isolierglasscheibe fest. Ein zweiter Riss folgte in der 34. KW 2019.
Der Bauherr bemängelte die Scheibe dem Fensterlieferanten gegenüber. Dieser lehnte den Vorschlag eines Schiedsgutachtens mit der Begründung ab, dass es sich um einen thermischen Sprung handele, den der Bauherr selbst zu vertreten habe.
Hieraufhin beauftragte der Bauherr mich im Rahmen eines Privatgutachtens mit der Begutachtung der Isolierglasscheibe und der Beantwortung der Frage nach der Ursache für die Risse in der 3-fach-Isolierglasscheibe.
Die Beteiligten einigten sich auf die Lieferung einer Ersatzscheibe, wobei der Bauherr zunächst in Vorleistung trat. Zur Beantwortung der Frage nach der Bruchursache war ich anlässlich der Umglasung anwesend und habe die ausgebaute Scheibe begutachtet.
Das findet der Gutachter vor Ort
Die gesprungene 3-fach-Isolierglasscheibe befand sich in einem Hebe-/Schiebeelement im Essbereich des Wohnhauses. (Foto 1). Die Hebe-/Schiebetür wurde ausgebaut, die gesprungene Scheibe ausgeglast, so dass der Bruchursprung im Bereich der Glaskante begutachtet werden konnte. Die Außenscheibe der 3-fach-Isolierglasscheibe bestand aus einem zweischeibigen Verbund-Sicherheitsglas (VSG). Die beiden Einzelscheiben des VSG bestanden aus Floatglas. Der Riss befand sich in der witterungsseitigen Außenscheibe des VSG.
Am Bruchausgang hatte diese Außenscheibe an der Glaskante eine Vorschädigung in Form einer Stoßstelle und Abplatzung, die bereits anlässlich des ursprünglichen Einbaus vorhanden war. (Fotos 02 und 03).
War Thermischer Glasbruch wirklich die Ursache?
Bei Betrachtung des Bruchs in der Scheibenfläche deutete der Bruchverlauf darauf hin, dass es sich um einen thermischen Glassprung handelte. Thermisch hervorgerufene Glassprünge sind zweifelsfrei an ihrem typischen Verlauf zu erkennen. Sie verlaufen am Bruchausgang von der Glaskante zunächst überwiegend in einem Winkel von 90 Grad heraus und dann mäanderförmig in die Glasfläche hinein. Ein weiteres zwingendes Merkmal ist, dass der Sprung auf der Flanke der Glaskante ebenfalls immer einen Winkel von 90 Grad zu den Außenflächen hat.
Vereinfacht beschrieben kommt es zu einem thermischen Glassprung immer dann, wenn sich die Scheibe im warmen Randbereich ausdehnt. Da der im Fensterrahmen „eingebettete“ kalte Glasrand dieser Ausdehnung entgegen steht, kommt es hier zu Zugspannungen, die wenn sie zu groß werden an der schwächsten Stelle an der Glaskante zum Bruch führen.
Diese bruchauslösenden Zugspannungen können bei Floatglas bereits bei einer Temperaturdifferenz Fläche/Rand von etwa 20 Kelvin auftreten. Je nach Beschaffenheit der Glaskante kann dieser Wert auch niedriger sein.
In der vorhandenen Einbausituation kommt es nachmittags durch die neben dem Fensterelement vorhandene vorstehende Wand zu Schlagschattenbildung auf der Scheibe. Die Gefahr eines thermischen Sprunges ist hier bei Floatglas erheblich.
Geschädigte Glaskante schwächt Bruchfestigkeit
Aufgrund des Bruchverlaufes kann davon ausgegangen werden, dass der Riss in der VSG Glasscheibe durch thermische Spannungen an der Kanste ausgelöst wurde. Die VSG Glasscheibe wies jedoch an der Glaskante am Bruchausgang eine erhebliche Vorschädigung (Kantenbearbeitung) in Form einer Stoßstelle und Abplatzung auf. Dies führte zu einer signifikanten Schwächung der Bruchfestigkeit der Glasscheibe.
Ursächlich für den Glasbruch ist daher die bereits vor dem Einbau des Fensterelementes vorhandene Vorschädigung an der Glaskante der VSG Scheibe der 3-fach-Isolierglasscheibe.
Das Resümee des Gutachters
Zur Beantwortung der Fragestellung nach der Ursache für einen Glassprung reicht es nicht aus den Bruchverlauf alleine in der Sichtfläche der eingebauten Scheibe zu betrachten. Dies kann, wie es sich im vorliegenden Fall bestätigt hat, zu einem falschen Ergebnis führen.
Ohne Betrachtung des Bruchursprunges auch auf der Glaskante wären die Beteiligten von einem thermischen Sprung ausgegangen. Der Bauherr wäre auf dem Schaden womöglich „sitzen“ geblieben. Erst die Betrachtung des Bruchursprunges auch auf der freigelegten Glaskante führt zum richtigen Ergebnis. Der Schaden war im Vorfeld beim Transport und/oder Einbau der Scheibe entstanden. Die Verantwortung hierfür trägt in diesem Fall der Fensterlieferant.
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Aufgrund des baulich bedingten Schlagschattens und der hiermit verbundenen erhöhten thermischen Glasbruchgefahr wäre im Streitfall womöglich auch noch eine Hinweispflicht des Fensterlieferanten ins Spiel gekommen. Als Fachfirma hätte sie beim Ausmessen der Einbaumasse der Fenster die Gefahr erkennen und auf die erhöhte Glasbruchgefahr hinweisen müssen. Statt Floatglas hätte sie ESG empfehlen müssen.
Bei der gelieferten Ersatzscheibe wurde der Aufbau entsprechend geändert.