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Das Sicherheitsniveau von ESG-H (Folge 1)

Wie sicher ist ESG?

Hintergründe zum ESG-Spontanbruch: Aus Nickel und Schwefel bilden sich bei der Glasherstellung NiS-Kristalle im Glas. Die Umwandlung von der „Alpha“- in die „Beta-Kristallisationsform“ (nach der Abkühlung des Glases) dieser Kristalle führt zu einer Volumenvergrößerung von etwa 4%, was das im ESG herrschende Spannungsgleichgewicht zerstört (sofern der Einschluss mittig im ESG liegt, wo hohe Zugspannungen vorherrschen). Die Folge dieser Volumenvergrößerung kann dann zum Spontanbruch führen. Diese Umwandlung, sprich die Volumenvergrößerung, dauert jedoch oft sehr lange, sodass nicht jeder NiS-Einschluss tatsächlich zu einem ESG-Spontanbruch führt.

Als Gegenmaßnahme ist der Heißlagerungstest (kurz HLT) bzw. Heat-Soak-Test (HST) etabliert: ­Eine Lagerung der Scheiben in einem speziellen Ofen sorgt dafür, dass vorbelastete Scheiben schon während des Tests springen und nicht erst später im eingebauten Zustand. Mitte der achtziger Jahre beschrieb die DIN 18516-4 erstmals eine Heißlagerungsprüfung, die anschließend baurechtlich eingeführt wurde. Seit 2005 gibt es eine europäische Norm, die EN 14179-1. Darin wird der HST überaus präzise festgelegt. Die Norm beschreibt den Testofen, seine Beladung, die Anbringung von Thermoelementen etc.

ESG-H in der Bauregelliste (BRL)

Diese Norm wurde in Deutschland in die Bauregelliste 2002/1 aufgenommen und in den Bundesländern bauaufsichtlich eingeführt. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat gegenüber der Norm noch die „Haltephase“ der Temperatur im HST-Ofen von zwei auf vier Stunden verdoppelt und weitere Vorgaben gemacht, um das Sicherheitsniveau weiter zu erhöhen.

Für die Bauaufsicht ist „ESG-H“ ein eigenständiges, in der BRL definiertes Produkt, das heute i.d.R. überall dort verlangt wird, wo der Einbau in mehr als 4 m Höhe erfolgt oder in Bereichen unter 4 m Höhe, wenn jemand unter die Verglasung treten kann. Wir besitzen in Deutschland mit „ESG-H nach Bauregelliste“ also ein minutiös ­ geregeltes Bauprodukt, welches das Sicherheitsniveau in relevanten Anwendungen an der Fassade sehr klar definiert.

Dennoch haben in den letzten Monaten mehrere Gerichtsurteile über ESG (-H)-Scheiben, die anscheinend spontan versagten, bei so Manchem zum Eindruck geführt, ESG (-H) sei ein unsicheres Bauprodukt. Angebracht ist in diesem Zusammenhang sicher zunächst der Verdacht, dass lange nicht jeder Defekt an einer ESG-Scheibe tatsächlich auf einen Spontanbruch durch NiS-Einschluss zurückzuführen ist. In Form von Kantenbeschädigungen und Montagefehlern kommen viele andere Ursachen in Betracht, die im Einzelfall seriös zu prüfen sind.

Muss man „Bedenken“ anmelden?

Die jüngsten Gerichtsurteile führen zunehmend dazu, dass ESG-Hersteller oder -Anbieter ihren Rechtsanwalt ansprechen, ihm die Sache mit der Gefahr des Spontanbruches durch NiS-Einschluss erklären und ihm die Frage stellen: Wie soll ich mich verhalten, um als Anbieter mein Haftungsrisiko für solche Schäden zu minimieren? Die Antwort wird immer lauten: Wenn Sie als Anbieter von einer solchen Gefahr wissen, weisen Sie den Kunden bzw. Interessenten im Zweifelsfalle immer darauf hin, und zwar schriftlich und möglichst frühzeitig. Und so kursieren im Vorfeld von Aufträgen plötzlich Papiere, die Überschriften tragen wie „Anmeldung von Bedenken“. Das verwirrt den Kunden dann eher noch weiter, wenn er mündlich das Produkt zwar durchaus empfohlen bekommt und gleichzeitig schriftliche „Bedenken“ präsentiert werden.

Wie berechtigt sind diese Bedenken denn nun tatsächlich? Zur Beantwortung dieser Frage kommt man an der Betrachtung der Versagenswahrscheinlichkeit nicht vorbei. Natürlich wäre jede einzelne Person, die zu Schaden käme, weil Teile einer ESG-Scheibe nach Spontanbruch herabfielen, ein Fall zu viel. Der Hinweis darauf, dass hier ein sehr unwahrscheinliches Ereignis eingetreten sei, würde wenig trösten. Deshalb haftet auch der Betreiber eines Gebäudes dem Geschädigten gegenüber in einem solchen Falle – und daran kann dann auch der Hinweis, dass doch schließlich ein Produkt „nach dem Stand der Technik“ verwendet worden sei, nichts ändern.

Für jedes Bauteil gibt es aber (technisch betrachtet) eine gewisse – hohe – Sicherheit, dass es seinen Zweck erfüllt. Oder anders herum, es gibt eine gewisse Restwahrscheinlichkeit, dass es das nicht tut und versagt. Dieses Restrisiko ist naturgemäß nie Null: So wundert sich niemand, wenn bei einem Sturm Dachziegel herabgeweht werden. Die subjektiven Erwartungen an verschiedene Baustoffe sind aber offenbar durchaus unterschiedlich. Natürlich sind Anforderungen an die Sicherheit baurechtlich vorgegeben: Das Maß der Dinge ist hier die DIN 1055-100, die eine Versagenswahrscheinlichkeit von 1 x 10-6 (1:1000000) erlaubt. Die Frage ist letztlich, ob ESG-H diese Anforderung zuverlässig einhält oder nicht.

Dazu gibt es einige historische Daten, die in den letzten Jahren immer wieder zitiert wurden. So findet sich oft die Angabe, dass ein Durchschnittswert für Floatglas: 1 NiS-Kristall auf 10 t Glas sei (entspricht 500 m2 bei 8 mm Dicke); durch den HST sinke die Quote bei ESG-H auf einen Einschluss auf 400 t Glas (entspricht 20000 m2 bei 8 mm Dicke). Die Quelle für diese Zahlen sind Untersuchungen von Pilkington an Fassadenplatten eines Großobjekts in Frankfurt.

Wissenschaftlich fundierte Angaben über ein realistisch anzusetzendes Bruchrisiko bzw. Sicherheitsniveau liegen eigentlich nicht vor.

Der BF-Arbeitskreis Sicherheitsglas hat sich auf die Fahnen geschrieben, die zu ändern, um die Diskussion zu versachlichen. Prof. Dr. Jens Schneider von der TU Darmstadt stellt hierzu derzeit exakte Untersuchungen an. Er greift dazu u.a. auf ausführliche Messungen zurück, die Dr. Andreas Kasper von Saint-Gobain Glass über mehrere Jahre hinweg angestellt hat. Die ersten Ergebnisse sind überaus positiv: Es dürfte kein Problem darstellen, mit ESG-H das geforderte Sicherheitsniveau nachzuweisen.

Das sollten Verarbeiter beachten

Folgende Empfehlungen sollten Verarbeiter bei Verwendung von ESG-H beachten: Die Rechtsprechung der letzten Monate ist nun einmal in der Welt und hat für eine gewisse ­Sensibilität beim Umgang mit ESG gesorgt. Wenn man – wie kürzlich auf einer Fachveranstaltung des VFF geschehen – zunächst von Prof. Schneider hört, dass die geforderte Sicherheit von ESG-H nachgewiesen werden kann, und gleich danach von einem Rechtsanwalt die Empfehlung bekommt, bei der Verwendung des Produkts Bedenken anzumelden, wundert man sich schon.

Einstweilen ist jedenfalls zu empfehlen, grundsätzlich ESG-H nach deutscher Bauregelliste (und nicht nur „nach Norm“ oder „nach CE-Zeichen“) zu bestellen. Der Glasverarbeiter muss mit dem Auftraggeber frühzeitig abklären (schriftlich), welches Produkt – ESG-H, ESG oder kein ESG – verwendet werden soll, und beim Verglasen die erforderliche Sorgfalt walten lassen. Mit Bekanntwerden der Ergebnisse der aktuellen ESG-Forschung wird sich die Diskussion sicherlich wieder versachlichen – wir als Bundesverband Flachglas werden dazu unseren Beitrag leisten. —

In Folge 2 beleuchtet Prof. Niemöller das Thema ESG-Spontanbruch von rechtlicher Seite und gibt Verarbeitertipps, wie man dabei Rechtsrisiken vorbeugen kann. Tipp der Redaktion: Lesen Sie zu diesem Thema auch den Beitrag „Achtung ESG“, diesen findet man unter https://www.glaswelt.de/, dort rechts oben im Suchfeld den Webcode 969 eingeben sowie den Beitrag „Wer zahlt die Zeche“ unter Webcode 829.

Produktsymposium Sicherheitsglas am 19. Mai 2010

Am 19.05.2010 veranstaltet der BF im Congress Park Hanau ein Produktsymposium zum Thema. Referenten werden Christoph Troska von Pilkington Deutschland, Prof. Jens Schneider von der TU Darmstadt und Albrecht Burmeister von der Delta-X GmbH sein. Auf einer Podiumsdiskussion mit „Praktikern“ (Fassadenbauer und -beratern) wird der Verband Lösungen für die Verwendung des Produktes erarbeiten.

Weitere Informationen und Anmeldung unterhttps://www.bundesverband-flachglas.de/

Die Autoren

Jochen Grönegräs ist der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Flachglas.

Christoph Troska ist der Leiter der Anwendungstechnik bei Pilkington Deutschland.

https://www.bundesverband-flachglas.de/

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