Um gebogene Glaskonstruktionen sicher und zuverlässig auszuführen, sind eine geregelte Produktion mit definierten Qualitätskriterien, die Berücksichtigung der werkstoffspezifischen und strukturellen Glaseigenschaften sowie eine sorgfältige Verarbeitung von großer Bedeutung.
Mit der ersten allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (Z-70.4-146) für thermisch gebogenes, liniengelagertes Floatglas „Fini Curve Float“ und VSG aus Floatglas „Fini Curve VSG“ der Finiglas Veredelungs GmbH (Dülmen), gibt es seit Kurzem definierte Qualitätskriterien [1] und damit Sicherheit für die Produktion und das sogenannte Inverkehrbringen von gebogenen Gläsern. Daneben unterliegt die Anwendung und Verglasung von gekrümmten Glaselementen hohen Herausforderungen, die der Verarbeiter beachten sollte.
Für Architekturanwendungen werden häufig thermisch einachsig (zylindrisch) gebogene Glasscheiben eingesetzt. Hierzu wird das Floatglas bis zur Erweichungstemperatur erwärmt und dann z.B. mittels Schwerkraftbiegen geformt. Zunächst wird die anfangs ebene Scheibe in einem Ofen, über einer der erforderlichen Geometrie angepassten Negativform, die mit feuerfesten Materialien ausgekleidet ist, erhitzt. Nachdem sich die Scheibe in die Form gesenkt hat (Bild 01), wird der Ofenbereich kontrolliert abgekühlt, wodurch thermisch bedingte Eigenspannungen minimiert werden. Die Belastbarkeit und Optik der Scheiben wird in der Anwendung somit nicht negativ beeinflusst.
Mittels Schwerkraftbiegen lassen sich bei Finiglas Scheiben mit Abwicklungslängen SV = 6000 mm und Kantenlängen H = 3210 mm bearbeiten. Die maximale Stichhöhe liegt bei f = 1000 mm, und der minimale Krümmungsradius zwischen 100 und 500 mm. Die Kanten werden für den Biegeprozess mindestens gesäumt.
Für die Produktion von VSG eignet sich vorzugsweise das Schwerkraftbiegeverfahren, da hier die Scheiben paarweise gebogen werden können (kleinste Biegeradien ca. 300 mm). Beim Laminierprozess von gebogenem VSG ist zu beachten, dass im Vergleich zu ebenem VSG infolge unterschiedlicher Biegeradien zum Teil hohe Eigenspannungen eingeprägt werden. Im Bruchzustand führt dieser Effekt zu einem wesentlich feineren Bruch, als bei ebenem VSG. Dies zieht prinzipiell ein verändertes Resttragverhalten nach sich (z.B. Überkopfanwendungen).
Aufgrund unterschiedlicher Glasarten (be- und unbeschichtet), Glasdicken, Scheibengrößen und Biegewinkel empfiehlt es sich, im Vorfeld mit dem Glasbieger über die fertigungstechnische Machbarkeit bzw. Toleranzen zu sprechen. Zurzeit wird im Arbeitskreis „Gebogenes Glas“ beim Bundesverband Flachglas e.V. ein Leitfaden zu gebogenem Architekturglas erarbeitet. Dieser geht u.a. auf Toleranzen für Maßhaltigkeit, Geradheit, Abwicklungslänge, Konturtreue, Kantenversatz und Verwindungen ein.
Hinsichtlich der optischen Vergleichbarkeit von gebogenen und ebenen Fassadengläsern zeigt die Erfahrung, dass es bei gleichzeitiger Verwendung (insbesondere bei bedruckten Scheiben) zu einem inhomogenen Erscheinungsbild kommen kann. Deshalb ist eine Bemusterung unter Berücksichtigung realer Licht- und Umgebungsverhältnisse am Objekt vorteilhaft.
Tragverhalten von Einfachgläsern
Aufgrund der Geometrie stellt sich bei gebogenen Scheiben eine Schalentragwirkung ein und erhöht dadurch deutlich die Steifigkeit im Vergleich zu ebenen Glasscheiben. Die Steifigkeit nimmt dabei mit abnehmendem Biegeradius zu, woraus ein verbessertes Lastabtrag- und Verformungsverhalten erfolgt (geringere Spannungen bzw. Durchbiegungen). Bild 02 verdeutlicht diesen Sachverhalt durch den Vergleich zwischen einer vierseitig gelagerten Einzelverglasung mit unterschiedlichen Biegeradien und einer gleich großen, planen Scheibe unter einer konstanten Flächenlast. Ergebnis: Die mittels einer Finite-Elemente-Berechnung erzielten Hauptzugspannungen und Durchbiegungen einer Einzelscheibe mit einem 1-m-Biegeradius betragen – bezogen auf eine gleich große, plane Einzelscheibe – gerade einmal 33 % bzw. 3 %. Im Einzelfall kann durch die versteifende Gewölbetragwirkung die Glasdicke bei gleicher Belastbarkeit sogar reduziert werden, was aber nur über eine professionelle Glasstatik beurteilt werden sollte.
Für äußere Lasteinwirkungen kann die höhere Steifigkeit in Abhängigkeit der Auflagerbedingungen von großem Vorteil sein. Gleichzeitig bedeutet dies aber eine höhere Anfälligkeit gegenüber unplanmäßigen Verformungseinwirkungen (Zwängungen), wie sie z.B. durch Verwindungen infolge einer Auflagerverschiebung oder einen unsachgemäßen Glaseinbau am Objekt hervorgerufen werden. Im Gegensatz zu ebenen Verglasungen kann es so wesentlich schneller zum Bruch kommen. Deshalb ist es empfehlenswert, zulässige Verformungsgrenzen der Unterkonstruktion und übliche Montagetoleranzen in Abhängigkeit von der Scheibengröße und -radius bereits bei der Planung zu berücksichtigen.
Wichtig ist zudem die fachgerechte Klotzung von gebogenen Gläsern (Bild 03), um Schädigungen der Kante und des Randverbunds zu vermeiden.
Klimalasten bei gebogenem ISO
Im Scheibenzwischenraum von gebogenen Isolierverglasungen tritt infolge von klimatisch induzierten Lasten (Temperatur- und Luftdruckunterschiede) und der durch die Glaskrümmung bedingten Systemunnachgiebigkeit eine erhebliche Beanspruchung auf. Die Größe dieses Innendrucks variiert dabei stark mit den Randbedingungen, wie z.B. der Ausbildung des Randverbunds und dem Biegeradius. Bild 04 verdeutlicht qualitativ, welche Auswirkung eine Klimalast auf unterschiedlich gebogene Isoliergläser mit gleicher Abwicklung im direkten Vergleich zu einer planen Isolierglasscheibe gleicher Größe haben kann. Das Ergebnis der Berechnungen ergibt, dass bei gleichen Voraussetzungen die Klimalast einer gebogenen Isolierglaseinheit gegenüber der planen um das bis zu 30-fache höher sein kann. In der Regel liegen die Klimalasten gebogener Isoliergläser über dem Niveau von Windlasten. Untersuchungen an gebogenen Isoliergläsern [2] zeigen, dass auch der gemäß der TRLV gewählte Ansatz des isochoren Drucks von 16 kN/m2 (1,6 t/m2) nicht immer ausreichend ist. Dieser kann an extrem heißen oder kalten Tagen in Kombination mit der Einbausituation sogar überschritten werden. Diese Sachverhalte belegen die Notwendigkeit für eine statische Bemessung von gebogenen Isoliergläsern.
Zudem erhöhen sich bei größeren Scheibenabmessungen Zug- und Druckbeanspruchungen auf den Randverbund – bis hin zum Knicken. Hieraus erwächst die Herausforderung für die Hersteller, Lösungen zu entwickeln, um die Dichtigkeit des Isolierglasrandverbunds unter Berücksichtigung von klimatisch bedingten Lasten dauerhaft sicherzustellen. Für einzelne Anwendungen ist der Einsatz von Druckausgleichsventilen zu prüfen. —
Literatur:
[1] Ensslen, F., Schneider, J., Schula, S.: Produktion, Eigenschaft und Tragverhalten von thermisch gebogenen Gläsern für das Bauwesen, Stahlbau Spezial (2010) – Konstruktiver Glasbau, Seite 46 bis 51.
[2] Schuler, C., Stief, S.: Erfahrungsbericht beim Einsatz von gebogenem Glas im Konstruktiven Ingenieurbau (2010), Hochschule München.
Der Autor
Dr.-Ing. Frank Ensslen leitet die Anwendungstechnik und das Zentrale Qualitätsmanagement bei der Semcoglas Holding GmbH. Im Rahmen seiner Tätigkeit ist er auch zuständig für die Finiglas Veredelungs GmbH mit Sitz in Dülmen, die gebogenes Glas für das Bauwesen herstellt.