„Manchmal beschreiten die Entwicklungen im Passivhaus-Bereich auch Irrwege, denn die Sonneneintragswerte würden viel zu wenig berücksichtigt werden“, so der Bauphysiker Marco Rigonesi in seinem aufrüttelnden Beitrag. Wichtig seien vielmehr die Glasanteile, nicht so sehr die Rahmenwerte. Deshalb solle man vor allem auf lichtoptimierte Konstruktionen setzen. Über die Energie-Ettikette-Diskussion (Anm. d. Red.: In Deutschland „Energy-Label“) berichtete Rigonesi, dass man in der Schweiz auf ein Etikett setze, welches den Sommerfall ausklammern werde. „Soll denn die Fensterbranche auslöffeln, was andere eingebrockt haben?“ So seine rhetorische Frage. Dieses sei doch eher Sache des Architekten, der einen ausreichenden Sonnenschutz am Gebäude zu planen habe.
Im Gespräch mit der GLASWELT erläuterte er noch mal den Hintergrund: In der Schweiz würden die Gewerke Fensterbau und Sonnenschutz deutlicher abgegrenzt sein – im Gegensatz zu den Nachbarländern Österreich und Deutschland.
Marc Donzé von der Berner Fachhochschule hielt seinen simultan übersetzten Beitrag auf Französisch und referierte über ein im wahren Wortsinne immer größer werdendes Problem der Branche: Die wachsenden Fensterdimensionen. Einige Konstruktionen gelangen hier an ihre Konstruktionsgrenzen und auch die Gebrauchstauglichkeit leidet unter den Dimensionserweiterungen*. Das Problem sei: Der Fensterbauer kenne zwar seinen Werkstoff, die Befestigung und die Größenproblematik seien für ihn aber eher Neuland. Diese müsse er sich erarbeiten aber manchmal würde die Statik einfach sträflich vernachlässigt werden.
Die Trendforscherin Kirstine Fratz blickte für die Branche über den Tellerrand: „Wie entstehen Trends?“ Das Problem auf unseren Märkten: Es gibt schon alles. „Also muss ich über den Horizont schauen, um einen neuen Trend für ein bestimmtes Angebot zu entwickeln.“ Innerhalb der Werbung würden die Themen „Sex sells“ und „Verführung“ bereits völlig ausgereizt sein; alle Branchen hätten sich bereits diesen Werbemitteln bedient. Ihrer Meinung nach erreiche man mittlerweile mehr, wenn man die Werte „Liebe“ und „Wertvermittlung“ mit seinen Produkten in Verbindung bringen könne.
Auf das Thema Fachkräftemangel ging die Personalberaterin Ilka Jastrzembowski ein und sagte: „Sie sind Unternehmer – stellen Sie sich der Herausforderung, neue gute Mitarbeiter zu finden.“ Es gäbe viele Möglichkeiten, dieses Problem für sein Unternehmen zu lösen. Ein Beispiel: „Lassen Sie Berufsanfänger einmal Boss bei Ihnen sein, und zeigen Sie, was man in Ihrem Unternehmen/in Ihrer Branche werden kann.“ Dann würden den jungen Leuten auch die Perspektiven aufgezeigt werden, die dringend nötig seien.
Eine andere Herausforderung deckte Walter Zürcher auf: Innerhalb der Produktion sei mittlerweile alles bis auf die letzte Sekunde durchdacht und perfektioniert. Betriebe würden aber völlig außer Acht lassen, dass es gerade bei der Montage noch sehr viel Optimierungsbedarf gebe. Gerade hier könne man sich von anderen Anbietern unterscheiden und mit seinen Kundenvorteilen punkten. Fatalerweise würden aber oft beim Kundenkontakt auf der Baustelle unqualifizierte Mitarbeiter eingesetzt werden.
Neue Kanteln für noch größere Fenster
Ergebnisse eines Forschungsprojektes stellten Peter Schober von der Holzforschung Austria und Christoph Rellstab, der Leiter der Berner Fachhochschule vor: Ziel des Projektes war für das Produkt Fensterkantel (Fichte/Tanne und Lärche), das in den Ausführungen als „massiv keilgezinkte Fensterkantel“, als „lamelliert keilgezinkte Fensterkantel“ und als „Vollholz-Kantel“ produziert wird, ein Leistungsprofil mit höheren Festigkeitswerten zu erarbeiten.
Die Ergebnisse sind für die Branche von hohem Nutzen: Wenn man die „Fensterkantel Plus“ mit diesen höheren Festigkeitswerten einsetzt, werden wirtschaftlichere Bemessungen möglich. Insbesondere der erhöhte E-Modul der Kanteln lässt geringere Durchbiegungen und dadurch eventuell besserer Windwiderstandsklassen erwarten – oder bei gleicher noch zulässiger Durchbiegung größere Fenster herstellen. —
Der Tagungsband ist erhältlich unter http://www.windays.ch
*Über die Konstruktionsideen von Mark Donzé haben wir bereits in unserer Februarausgabe im Beitrag „Glasverbund sorgt für schmale Rahmen“ auf Seite 18 berichtet.
Interview mit Christoph Rellstab
GLASWELT – Werden Fensterrahmen ihrer Meinung nach falsch bewertet?
Christoph Rellstab – Bisher werden die Fenster über die U-Werte bewertet. Das wird diesen hoch komplexen Elementen jedoch nur bedingt gerecht. Wir haben mit Fenstern – als quasi dem einzigen Bauteil überhaupt – die Möglichkeit, passive Sonnenenergiegewinne zu realisieren. Diese Betrachtungsweise einer Energiebilanzierung sollte nicht nur auf Stufe der Gebäude, wie es heute State of the Art ist, sondern auch auf Stufe des Fensters selber stattfinden.
GLASWELT – Solare Energiegewinnung durch Fenster kann jedoch zur Überhitzung führen …
Rellstab – Natürlich, das Überhitzungspotenzial ist unbestritten. Aber: Wenn es beim Winterfall primär um die solaren Energiegewinne und möglichst geringe Verluste geht, dann ist das etwas, was der Fensterbauer durch die Wahl der Verglasung etc. weitgehend selber realisieren kann. Wenn wir uns dagegen den Sommerfall anschauen, bei dem es um die Integration intelligenter Beschattungskonzepte geht, dann ist es zumindest in der Schweiz so, dass dafür eine „zusätzliche Disziplin“ benötigt wird, beispielsweise der Storenbauer, der für den Sonnenschutz verantwortlich ist und der zusammen mit dem Fensterbauer ein Gesamtsystem entwickelt und realisiert. Manchmal braucht es auch noch den Gebäudetechniker, der mit seinen Steuerungen sicherstellt, dass der Sonnenschutz auch bei Abwesenheit der Bewohner funktioniert. Dass das Gesamtsystem Fenster und Sonnenschutz funktioniert, ist also nicht nur Sache des Fensterbauers.
GLASWELT – Warum ist dieses Thema so aktuell?
Rellstab – In der Schweiz haben sich die maßgebenden Player, d.h. das Bundesamt für Energie, der Verein Minergie, die schweizerischen Fachverbände FFF und SZFF darauf geeinigt, gemeinsam eine Energieetikette für Fenster (Anm. d. Red.: In Deutschland: „Energy-Label“) zu entwickeln und einzuführen. Es soll ein System der Energiebilanzierung auf den Weg gebracht werden, das neben den zu minimierenden Verlusten auch die solaren Gewinne berücksichtigt. Die Energieetikette soll zu einem einfachen Wegweiser für die richtige Auswahl der Fenster werden. Und nicht zuletzt wird hoffentlich auch das Image des Fensters verbessert, wenn aufgezeigt wird, dass damit eben auch solare Energiegewinne realisiert werden können.
GLASWELT – Warum sind die solaren Zugewinne der Fenster für Sie so wichtig?
Rellstab – Wenn ich mir die Richtlinien und Normen ansehe, dann erfolgt die energetische Betrachtungsweise fast ausschließlich über den U-Wert – die Betrachtungsweise ist primär verlustorientiert. Die ist nicht falsch, aber aus meiner Sicht nicht ganz vollständig.
GLASWELT – Was muss getan werden?
Rellstab – Richtig ist, dass die Fensterkonstruktionen in Zukunft vermehrt energiebilanzorientiert betrachtet werden. Damit wird man dem komplexen System Fenster besser gerecht und es werden auch neue, bessere Beurteilungsparameter definiert. Dass sich eine Arbeitsgruppe nun mit diesen Fragestellungen auseinandersetzt mit der Zielsetzung, eine Energieetikette zu entwickeln, ist aus meiner Sicht sehr positiv und ein richtiger Schritt nach vorne. Ich rechne mit einer Veröffentlichung noch in diesem Jahr. Schön wäre auch, wenn man sich im Rahmen der Weiterentwicklung der EN ISO 10077 die Frage nach der Beurteilung der Fenster stellen würde und ob insbesondere der Nachweis des Rahmen-U-Werts für gewisse Situationen nicht hinterfragt werden müsste.
Die Fragen für die GLASWELT stellte Jörg Pfäffinger.