Die öffentliche Debatte über Lüftungskonzepte für Schulen, Büroräume und andere hoch frequentierte Innenräume dauert auch zwei Jahre nach Pandemiebeginn weiter an und wird voraussichtlich spätestens im Herbst dieses Jahres erneut deutlich an Fahrt aufnehmen. Fest steht, dass Lüftung vielerorts immer noch zu wenig reguliert und automatisiert wird und viele bestehende Lüftungsanlagen hierzulande große Defizite aufweisen. So hat der TÜV 2020 bereits festgestellt, dass nur etwas mehr als ein Drittel aller öffentlich zugänglichen Gebäude „mängelfrei“ waren. Lüftungskonzepte für Schulen stehen dabei besonders im Zentrum des öffentlichen Interesses. Da die meisten Schulen in Deutschland jedoch keine zentralen Lüftungsanlagen haben, ist das Lüften über Fenster oft die einzige Möglichkeit, frische Luft ins Klassenzimmer zu bekommen.
Manuelle Fensterlüftung in der Kritik
Die der rein manuelle Fensterlüftung als ein weit verbreiteter Lösungsansatz wird von Experten immer wieder kritisiert, weil eine Steuerung durch Personen in hohem Maße unzuverlässig ist. Stehen Fenster im Winter lange auf, wird oftmals unnötig Energie verschwendet. Vor dem Hintergrund der Klimaschutzziele und stark steigender Rohstoffpreise ist das daher unbedingt zu vermeiden. Zudem wird das manuelle Lüften oft vergessen, sodass verbrauchte Luft und infektiöse Aerosole nicht zuverlässig ausgetauscht werden.
Mobile Luftreiniger sind keine CO2-Schlucker
Auch mobile Luftreiniger werden immer wieder diskutiert. Diese stehen jedoch in der Kritik, weil sie kein CO2 aus der Luft filtern können. Luftreiniger können nur Partikel aus der Raumluft entfernen – sonstige Gase verbleiben im Raum. Daher ist auch hier eine zusätzliche Fensterlüftung unumgänglich. Eine Lüftungsstrategie unter alleiniger Berücksichtigung von raumlufttechnischen Anlagen (RLT) ist insbesondere hinsichtlich ihrer hohen Anschaffungs- und Wartungskosten und auch eines oftmals hohen Energieverbrauchs zunehmend kritisch zu betrachten. Auch lassen sich zentrale RLT-Anlagen nur selten nachrüsten und dezentrale Anlagen benötigen eine entsprechende Nutzfläche im Raum.
Königsweg: Fensterlüftung automatisieren
Viel zu wenig Beachtung findet die kontrollierte natürliche Fensterlüftung (KNL) und eine Kombination dieser mit mechanischen Lüftungslösungen, obwohl sie erhebliche Vorteile birgt.
Bei der KNL entstehen die notwendigen Luftströme allein durch Temperatur- und Druckunterschiede zwischen Innen- und Außenluft. Das Öffnen und Schließen der Fenster wird dabei durch intelligente Sensoren – zum Beispiel zur Überprüfung von Temperatur, Niederschlag und CO2-Gehalt – sowie mechanische Antriebe automatisiert gesteuert. Ein Vergessen der Fensterlüftung ist ausgeschlossen. Auf Wunsch kann das System auch vollständig in die Gebäudeleittechnik integriert werden. Zur Klimatisierung verwendet es den Effekt der natürlichen Nachtauskühlung. Dabei wird warme, abgestandene Luft nachts durch die automatisiert gesteuerten Fensteröffnungen nach außen abgeführt. Kalte Luft strömt nach und kühlt Wände und Gegenstände ab, sodass diese tagsüber erneut Wärme aufnehmen können.
Die Möglichkeit des Einsatzes einer KNL sollte in Räumen wie Klassenzimmern, in denen der Luftaustausch vielerorts noch immer rein durch manuelle Lüftung erfolgt, mit hoher Priorität geprüft werden. In einigen Gebäuden kann die KNL sogar als alleinige Lösung zum Einsatz kommen, um die Frischluftzufuhr zu gewährleisten und die Innenraumtemperatur zu steuern. Die Entscheidung darüber hängt immer von den individuellen räumlichen Gegebenheiten ab – sei es beim Neubau oder bei der Sanierung. Wo es aufgrund der Raumgröße oder baulicher Gegebenheiten erforderlich ist, kann eine hybride Lösung aus kontrollierter natürlicher Lüftung und mechanischen Systemen die richtige Lösung sein. Die mechanische Lüftung übernimmt dann nur, wenn es die äußeren Bedingungen verlangen oder wenn es in bestimmten Bereichen des Gebäudes erforderlich ist. Hybride Systeme können dabei sowohl im natürlichen als auch im mechanischen Lüftungsmodus denselben Luftstromweg nutzen – beispielsweise einen Ventilator in einem Schacht. Studien haben das enorme Energieeinsparpotenzial solcher gemischten Lösungen nachgewiesen – das Energiesparpotenzial von gemischten und natürlichen Lüftungssystemen liegt im Gegensatz zu rein mechanischen Lösungen zwischen 47 und 79 Prozent.
Umrüstung sofort möglich
Ein weiterer Vorteil: Systeme zur kontrollierten natürlichen Lüftung können vielerorts problemlos, schnell und günstig nachgerüstet werden und stehen insbesondere deutschen Schulen quasi ad hoc zur Verfügung, um für den nächsten Pandemiewinter gerüstet zu sein. Auch der Umbau und die Neuausrichtung einer bereits vorhandenen rein mechanischen Lüftung zur Implementierung eines hybriden Lüftungssystems ist eine schonende, nicht-invasive Lösung, die CO2-Emissionen reduziert und die Potenziale der Natur optimal nutzt.
Das Thema Innenraumlüftung ist eine gesellschaftspolitische Debatte, die die Bereiche Infektionsschutz, Gesundheit, Klimaschutz, Energiepreissteigerung und letztlich auch das Thema Digitalisierung vereint. Wenn Deutschland kontrollierte natürliche sowie intelligent geplante hybride Lüftungen als Lösung anerkennt, kann sich künftig viel – bislang ungenutztes –Potenzial frei entfalten.