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Stellungnahme zum Normen-Entwurf für eine neue DIN 18040-1 und -2

Verlieren DIN-Normen zum barrierefreien Bauen an Bedeutung?

Nachdem längst maßgebende Entscheidungsträger ausgesagt haben, dass Nullschwellen an Außentüren technisch zuverlässig gelöst sind, taucht jetzt, rund 21 Jahre nach in Kraft treten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG), dessen § 4 explizit als Ziel in der DIN 18040 bereits im Vorwort aufgeführt wird, und 14 Jahre nach in Kraft treten der UN-Behindertenrechtskonvention, welche im Artikel 4f die Anpassung aller Normen und Richtlinien im Sinnes des Universal Designs fordert, immer noch eine längst widerlegte Annahme auf: „Können Türanschläge und erhabene Schwellen nicht vermieden werden, darf die Schwellenhöhe nicht höher als 1 cm sein.“

Die Landesregierungen, die die DIN 18040-1 und -2 bisher bauordnungsrechtlich eingeführt haben, müssen sich, falls dieser Normenentwurf so veröffentlicht wird, zukünftig entscheiden, für das BGG und die UN-BRK oder für eine technisch überholte DIN-Norm, bei der es sich laut Bundesgerichtshof um keine „Rechtsnorm“, sondern lediglich um eine private technische Regelung mit Empfehlungscharakter handle, die überholt sein kann (VII ZR 45/06).

Technisch überholt ist der aktuelle Entwurf der DIN 18040-1 und -2 schon seit 27 Jahren. Seit der Markteinführung der barrierefreien Magnet-Nullschwelle 1996 sind hinderliche und sturzgefährdende Türanschläge technisch nicht mehr gefragt. Sogar langzeitbewährte Magnet-Nullschwellen zeigen in der Baupraxis nach rund 27 Jahren immer noch nachhaltige Systemsicherheit. Diese am längsten auf dem Markt vorhandene Nullschwelle war von Beginn an mit allen gängigen Tür- und Fensterprofilen kompatibel und hat alle notwendigen technischen Leistungseigenschaften erreicht, sogar die Passivhauszertifizierung. Hat der verantwortliche Normenausschuss der DIN 18040 nun eine fast drei Jahrzehnte andauernde Entwicklungsgeschichte versäumt?

Es war einmal der Türanschlag!

Nullschwellen ersetzen mit beweglichen Dichtungen und allen erforderlichen Dichteklassifizierungen sowie Langzeiterprobungen technisch überholte Türanschlagdichtungen. Lediglich Erhöhungen oder Vertiefungen von max. 4 mm für z. B. Materialübergänge, die zusätzlich abgerundet und abgeschrägt sind, können noch notwendig sein. Derartig gering ausgebildete Erhöhungen haben bei einer interdisziplinär notwendigen Betrachtung auch aus den Sachgebieten Heilpädagogik und Pflege eine komplett andere Wirkung als 1 cm hohe technisch überholte Türanschläge.

Die DIN EN 17210 – eine Ausrede!

Aufgrund meiner Verwunderung über die aktuell identischen Türschwellen-Entwürfe zum Punkt 4.3.3.1 des Arbeitsausschusses der DIN 18040-1 und -2, sind erste Begründungen dafür bei mir angekommen: Es dürfte kein Widerspruch zur DIN EN 17210 (neue europäische Norm für barrierefreies Bauen) vorhanden sein. Deshalb seien Änderungen in den aktuellen Entwürfen der DIN 18040 entstanden. Blicke in die DIN EN 17210 führen jedoch zu Erkenntnissen, die alle für niveaugleiche Übergänge und konsequente Nullschwellen-Forderungen an Außentüren in der neuen DIN 18040-1 und -2 sprechen:

  • Die DIN EN 17210 richtet sich an bestehende und gleichzeitig an neu zu bauende Gebäude und Wohnungen. Dieser Anwendungsbereich ist mit der DIN 18040-1 und -2 nicht vergleichbar, dort geht es immer, nur und ausschließlich um Neubauten. Für Umbauten und Modernisierungen im Bestand sind die Dokumente lediglich sinngemäß anwendbar. Das stellt einen eklatanten Unterschied zur DIN EN 17210 dar. Nullschwellen können im Neubau an allen Haus- und Wohnungseingangstüren und an allen Terrassen- und Balkontüren umgesetzt werden. Die DIN EN 17210 bietet mit ihrem breiteren Anwendungsbereich für Neubau und Bestand keine Rechtfertigung für die vorgesehene Verschlechterung in den Entwürfen der DIN 18040 unter Punkt 4.3.3.1.
  • Selbst die DIN EN 17210 fordert eine technische Notwendigkeit (die aufgrund der Nullschwellen-Technik nur den Altbau betreffen kann) für eine „höher liegende Schwelle“. Erst müssen laut DIN EN 17210 alle anderen technischen Lösungen auf Erfordernis dieser Erhöhungen geprüft werden. Doch dieser Überprüfung kann im Neubau kein Türanschlag und keine erhabene Schwelle standhalten. Und selbst im Bestand gibt es zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass insbesondere bei gleichen Fußbodenhöhen innen und außen Nullschwellen möglich sind.
  • Unter dem Punkt „Europäischer rechtlicher Rahmen“ (4.1) verweist die DIN EN 17210 auf das international „gültige und rechtsverbindliche“ UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK). Darin sollen Menschen mit Behinderung ihre Rechte wahrnehmen und uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das geht nur mit Nullschwellen. Doch dem für die DIN EN 17210 zuständigen Ausschuss fehlen bedeutende Kenntnisse zum Thema UN-BRK und Inklusion. Der Arbeitsausschuss verwendet im Kontext u. a. den Begriff „Barrierefreiheit“, ein Begriff der in der gesamten UN-BRK nicht vorkommt. Die UN-BRK fordert eine Zugänglichkeit und ein universelles Design mit dem grundlegenden Ziel der Inklusion und der Fokussierung auf die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen. Dieser ganz grundlegende Paradigmenwechsel, der in der gesamten Behindertenhilfe längst angekommen ist, ist laut den Formulierungen unter 4.1 beim zuständigen Ausschuss der DIN EN 17210 noch nicht angekommen. Bei der klassischen Barrierefreiheit wird der Fokus auf die Defizite von Menschen gelegt, die als „Randgruppen“ in die Nutzung von Architektur integriert werden sollen (’Integration’). Doch in der UN-BRK geht es um Inklusion. Integration war einmal vor in Kraft treten der UN-BRK.
  • Laut der bundesweit alles verändernden Nullschwellen-Stellungnahme vom Arbeitsausschuss der DIN 18040 (2013) sind technisch nicht begründbare Türanschläge unzulässig und niveaugleiche Übergänge mit 0 cm Höhe als Regelfall gefordert. Laut dem baden-württembergischen Nullschwellen-Runderlass aus dem Jahr 2014 waren Nullschwellen bereits bei den Vorgängernormen der DIN 18040- 1 und -2 (DIN 18025-1 und -2 und DIN 18024-2) gefordert und alle unzulässigen technisch nicht mehr begründbaren Türanschläge müssen zurückgebaut werden. Die DIN 18025-1 und -2 und DIN 18024 wurden bereits 1996 auf Bundesebene in die Musterliste der Technischen Baubestimmungen (MLTB) eingeführt. Baden-Württemberg hat diese beispielsweise schon 1997 in deren technische Baubestimmungen aufgenommen. Da die MLTB als Grundlage für die Umsetzung auf Länderebene dient, haben die Normen für barrierefreies Bauen seit Ende der 90er Jahre bundesweit höchste bauordnungsrechtliche Bedeutung und unzählige Außentüren müssen seither bis heute mit Nullschwellen, statt mit Türanschlägen, abgedichtet werden. Die Frage weshalb ein Arbeitsausschuss nach fast 30 Jahren plötzlich wieder hinderliche und gefährliche Türanschlagdichtungen erlauben möchte, ist noch offen.

    Die komplette Stellungnahme von Ulrike Jocham gibt es unter: www.glaswelt.de/fenster/verlieren-din-normen-zum-barrierefreien-bauen-z…

    Ulrike Jocham ist Heilerziehungspflegerin und Bausachverständige für Schäden an Gebäuden (DESAG), Barrierefreiheit, Universal Design und Inklusion.

    Foto: @ die arge lola / Kai Loges + Andreas Langen

    Ulrike Jocham ist Heilerziehungspflegerin und Bausachverständige für Schäden an Gebäuden (DESAG), Barrierefreiheit, Universal Design und Inklusion.

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