Glaswelt – Herr Strahl, wie beurteilen Sie die digitalen Prozesse im Fensterbau und den Branchenstandard?
Morten Strahl – Die momentane Auftragslage ist für die Digitalisierung hinderlich, denn bevor ich Prozesse digitalisiere, muss ich meine analogen Prozesse anschauen, sie auf den Prüfstand stellen und ggf. anpassen. Dafür fehlt den meisten Fensterhändlern die Zeit. Aber sie suchen nach Lösungen, die ihre tägliche Arbeit erleichtern. Nehmen wir das Beispiel „Angebote erstellen“. Wie sehen die Rahmenbedingungen bei einem Händler oft aus? Familienbetrieb, Vater und Sohn verkaufen und montieren aktiv; entweder unterstützt die Ehefrau oder Angestellte beim Erstellen der Angebote. Im schlimmsten Fall müssen Vater und Sohn Abends diese Arbeiten erledigen. Und hier kommen beim Thema Digitalisierung die ersten Herausforderungen: Zwei Generationen brauchen eine IT-Lösung, die beide bedienen können, die aber auch hinsichtlich Technologie und Funktionen den Puls der Zeit widerspiegelt.
Glaswelt – Sie haben sich bei Bauelemente-Händlern und deren Herstellern umgehört – wo sind die „Schmerzen“ bei den IT-Lösungen?
Strahl – Die Schmerzen sind sehr vielschichtig. Wenn der Bauelemente-Händler sich eine IT-Lösung anschaut, stellt er sich die Frage: Wie bekomme ich alle Daten und Informationen zentralisiert bzw. in ein System – vor allem dann, wenn ich unterschiedliche Lieferanten habe? Denn die meisten Händler haben in der Regel nicht nur einen Fenster-Lieferanten oder einen Haustür-Lieferanten. Damit haben wir zwei große Themen, nämlich zum einen lieferantenübergreifende Softwarelösungen und zum anderen das Thema Konnektivität; also die Vernetzung und Integration von Softwarelösungen.
Glaswelt – Wir haben durch die jüngsten Ereignisse erfahren, dass sich Marktgegebenheiten, Verfügbarkeiten und Preisniveaus viel schneller verändern können als in der Vergangenheit und Händler viel schneller darauf reagieren müssen. Sind die Beteiligten mit den dafür notwendigen Software-Instrumenten ausgestattet?
Strahl – Pauschal lässt sich dies nicht beantworten, da man hierzu jeweils einzelne Unternehmensbereiche betrachten müsste. Für mich hat sich im Laufe der Zeit jedoch herauskristallisiert, dass viele Händler zunehmend nach Ansätzen suchen, Prozesse zu beschleunigen und Aufgaben in ihrer Komplexität zu reduzieren. Entsprechend sind diese auch bereit, Veränderungen in ihrer Software-Landschaft vorzunehmen.
Glaswelt – Woran liegt Ihrer Meinung nach die Veränderungsresistenz der Branchenteilnehmer. Sind größere Firmen eher bereit, digitale Prozesse anzustoßen?
Strahl – Wir haben uns umgehört bei wichtigen Marktteilnehmern. Ein Experte hat den Sachverhalt wie folgt zusammengefasst: „Der Erfolg der Bauelementebranche ist das größte Problem“. Diese Auffassung teile ich. Der Erfolg verleitet dazu, Dinge aufzuschieben und Veränderungswünsche herunterzupriorisieren. Bei größeren Unternehmen sind andere Hürden auf dem Weg des digitalen Wandels platziert – die ein Umdenken erfordern. Nehmen wir das Beispiel eines Start-Ups, das mit innovativen Lösungsansätzen aufwartet. Oft mangelt es hierbei an der Bereitschaft, diesen Innovationen ausreichend Raum für die eigene Unternehmensausrichtung zuzusprechen. Der Grund hierfür findet sich häufig darin, dass diese Unternehmen sich nicht bereits über lange Zeit behaupten konnten und entsprechend keine äquivalente Sicherheit im Vergleich mit etablierten und führenden Anbietern vorweisen können. Deshalb brauchen wir mutige Entscheider, Vordenker und innovative Lösungen für die erfolgreiche Digitalisierung unserer Branche.
Weiterhin trägt als Teil des Erfolgs der Bauelementebranche auch die hohe Auslastung dazu bei, dass häufig keine Ressourcen vorhanden sind, um einen Change-Prozess anzustoßen oder umzusetzen.
Glaswelt – Lässt sich durch den Einsatz neuer Technik und moderner Anwendungen die Attraktivität des Unternehmens für nachfolgende Generationen steigern?
Strahl – Im Hinblick auf jüngere und nachfolgende Generationen werden IT-Assets ein zunehmend entscheidender Faktor sein, um Fachkräfte und qualifizierte Mitarbeiter im Unternehmen zu halten bzw. diese für das Unternehmen zu gewinnen. Dies passiert vor dem Hintergrund, dass sich die Mitarbeiter verstärkt mit Unternehmen identifizieren und entsprechend mit Stolz Teil einer fortschrittlichen und innovativen Unternehmung sein möchten. Der Digitalisierungsgrad wird demzufolge die Attraktivität eines Unternehmens für nachfolgende Generationen maßgeblich prägen.
Darüber hinaus gilt es einen weiteren wichtigen Faktor für die Außenwahrnehmung zu berücksichtigen: Der digitale Wandel bringt einen neuen Typ Kunden hervor, welcher sich vor der Kaufentscheidung online informiert und Produkte vergleicht. Eine zukunftsorientierte Unternehmensstrategie sollte diese veränderten Anforderungen berücksichtigen, statt an Kunden-Personas der vordigitalen Ära festzuhalten.
Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.