Glaswelt – Herr Dr. Lackner, Sie haben viele Jahre als Geschäftsführer die Geschicke eines innovativen und bedeutenden Aluminiumsystemhauses geleitet und dabei vor allem die Bereiche Vertrieb, Marketing, Technik und Produktmanagement verantwortet. Jetzt entschieden Sie sich, Ihren langjährigen Wunsch zu realisieren und selbst Unternehmer zu werden. Was hat Sie dazu angetrieben, was möchten Sie bewegen?
Dr. Stefan Lackner – In der Mitte des Lebens kommen immer wieder die Gedanken hoch, wie man das letzte Drittel seines Arbeitslebens gestalten möchte. Schon während meiner Doktorarbeit, die sich mit dem Themenkomplex „Unternehmertum“ befasste, hatte ich den großen Wunsch, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Leider hat mir damals die zündende Idee oder vielleicht auch nur der Mut gefehlt. Nach vielen Jahren Beratungs- und Industrieerfahrung und einer wunderbaren Zeit bei Raico, für die ich sehr dankbar bin, habe ich dann den Entschluss gefasst, diesen Schritt zu gehen. Mit meiner neuen beruflichen Ausrichtung möchte ich Menschen und Organisationen in Bewegung bringen, sich weiterzuentwickeln, um sich auf die Anforderungen und Herausforderungen der Zukunft optimal auszurichten. Hierfür habe ich einerseits die Unternehmensberatung „erentum consulting“ gegründet und mich andererseits als Partner der Organisation TAB angeschlossen.
Glaswelt – Die drei Buchstaben stehen für „The Alternative Board“. Können Sie uns kurz erläutern, was es mit TAB auf sich hat?
Dr. Lackner – Die Idee von TAB ist ebenso einfach wie logisch: Wer kann sich besser mit den Anliegen einer Unternehmerin oder eines Unternehmers identifizieren als ein anderer Unternehmer? Ob es um die strategische Ausrichtung geht, eine Erweiterung des Portfolios oder neue Standorte: Unternehmerinnen und Unternehmer treffen wichtige Entscheidungen und müssen dafür Sorge tragen, dass ihre Wünsche sie nicht fehlleiten. Schließlich könnte dies teure oder existenzbedrohende Folgen haben. Um zu realistischeren Urteilen zu gelangen, ist es üblich, einen externen Berater hinzuzuziehen. Nachteil dabei ist, dass sich der Blick nur um eine einzelne Perspektive erweitert und das Herangehen oft einem bestimmten Schema folgt – also wenig individuell und kreativ ist.
Als Teilnehmer an einem „TAB-Unternehmerboard“ beschreiten immer mehr Firmenlenker aus dem Mittelstand einen ganz anderen Weg. Sie suchen Rat bei ihresgleichen, also bei Unternehmern, die in monatlichen Treffen zusammenkommen. Die Idee einer „Beratung auf Augenhöhe“ entstand vor Jahrzehnten in den USA: Unternehmer kommen in kleinen Gruppen zusammen und helfen sich gegenseitig. In Deutschland gibt es Unternehmerboards erst seit wenigen Jahren – und doch haben sie bereits rasante Verbreitung gefunden. Aktuell sind es über einhundert Unternehmerboards in siebzig Städten und Regionen.
Glaswelt – Zielgruppe der mitgliederbasierten Unternehmer-Boards TAB sind also die Inhaber und Geschäftsführer kleiner und mittelständischer Unternehmen, die sich untereinander beraten und gegenseitig inspirieren. Es kommunizieren also nicht nur Branchenexperten untereinander?
Dr. Lackner – Bei den Unternehmerboards sind ganz bewusst keine Wettbewerber oder Unternehmen mit hoher wirtschaftlicher Abhängigkeit mit am Tisch, denn nur so können wir das Vertrauen zueinander aufbauen und bei den Themen auch in die notwendige Tiefe gehen.
Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass 80 Prozent der unternehmerischen Themen unabhängig vom jeweiligen Geschäftsmodell sind und somit alle Unternehmen betreffen. Gerade der Blick über den Branchenrand ist inspirierend und die Unternehmerinnen und Unternehmer unterstützen sich sehr intensiv bei ihren aktuellen operativen und strategischen Herausforderungen. So kommen wir zu tollen Ergebnissen und jeder entwickelt sein Unternehmen weiter und spart dabei sehr viel Zeit, Geld und Nerven. Unsere TAB-Mitglieder bringen die Wertigkeit der Board-Meetings gerne mit folgender Feststellung auf den Punkt: „Wir hören von den anderen Unternehmern das, was wir hören müssen und nicht was wir hören sollen oder vielleicht wollen“.
Glaswelt – Welche Aufgabe fällt Ihnen dabei zu, welchen Fokus legen Sie auf die Beratungen, wie setzten sich die Gruppen zusammen?
Dr. Lackner – Ich organisiere und moderiere diese Runden und sorge dafür, dass die stringente Struktur und Vorgehensweise im Prozess eingehalten wird. Weiterhin besteht meine Aufgabe darin, die passenden Unternehmerinnen und Unternehmer für die Boards zusammenzustellen. Hierbei achte ich z. B. auf eine entsprechende Augenhöhe der Unternehmen, d. h. dass die Unternehmen auch von der Größe zusammenpassen.
Die gegenseitige Beratung findet in den Board-Meetings ausschließlich durch die anderen Board-Mitglieder statt. Jedes Mitglied bringt eine aktuelle Fragestellung oder ein strategisches Thema mit in das Meeting. Nach Vorstellung des Themas und einer Fragerunde zum Hintergrund des Themas kommt es zur „Lösungsrunde“. Hier gibt es von jeder Unternehmerin bzw. jedem Unternehmer Erfahrungen, Ideen und Lösungsvorschläge für das vorgestellte Thema. Bei 6 - 8 Mitgliedern pro Runde reden wir da mal schnell von über 120 Jahren an unternehmerischer Erfahrung. Das Großartige ist, dass die Teilnehmer nicht nur Lösungsvorschläge für ihr eigenes Thema erhalten, sondern auch alle Ideen und Erfahrungen zu den anderen Fragestellungen hören, von denen rund 80 Prozent auch ihre Themen sein könnten.
Glaswelt – Welche Kosten fallen für Unternehmer an, wenn sie das TAB-Angebot nutzen?
Dr. Lackner – Bei TAB haben wir eine Mitgliedschaft, die monatlich kündbar ist, d. h. für die Unternehmer besteht keinerlei finanzielles Risiko oder gar eine langfristige Bindung. Für uns ist es sehr wichtig, dass die Unternehmer einen entsprechenden Nutzen aus dem zeitlichen und finanziellen Investment bei TAB ziehen und vor allem gemeinsam mit den anderen ihr eigenes Unternehmen weiterentwickeln. Wie gut das TAB-System funktioniert, zeigt sich an der durchschnittlichen Verweildauer von über 4,5 Jahren unserer TAB-Mitglieder in den Unternehmerrunden. Wie gesagt, jedes TAB-Mitglied kann monatlich kündigen, wenn es keinen Nutzen mehr in der Runde sieht.
Glaswelt – Sie coachen auch einzelne Unternehmen losgelöst von den Gruppensitzungen?
Dr. Lackner – Zwischen den Gruppensitzungen (Board-Meetings) findet jeweils eine persönliche Coaching-Stunde statt. Hierfür komme ich in die Unternehmen und halte mit der Unternehmerin oder dem Unternehmer die Themen aus den Board-Meetings nach und erarbeite neue Fragestellungen für das nächste Board-Meeting. Diese Coaching-Stunden sind eine wichtige Säule für die Weiterentwicklung der Unternehmen.
Ich bin im übertragenen Sinn der „Antreiber“ für die Umsetzung der Themen oder auch mal der „Bremser“, wenn die Unternehmer gedanklich schon zu weit sind, ihre Mitarbeiter aber noch gar nicht „mitgenommen“ oder im Unternehmen noch gar nicht die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen wurden.
Glaswelt – Was sind die häufigsten Themen, die in Board-Sitzungen untereinander diskutiert werden?
Dr. Lackner – Im Prinzip gibt es kein unternehmerisches Thema, das nicht schon mal in einer Runde besprochen wurde. Unsere Liste umfasst über 300 verschiedene Einzelthemen. Wenn man sie in ein größeres Cluster bringen möchte, dann kristallisieren sich drei Themenblöcke heraus:
Glaswelt – Was sind die wichtigsten Handlungsfelder in den Chefetagen der deutschen Fensterbauer, wo sehen Sie das größte Beratungspotenzial, wo setzen Sie an?
Dr. Lackner – Die deutschen Fensterbauer oder auch Fassadenbauer unterscheiden sich mit ihren Handlungsfeldern und Herausforderungen nicht großartig von den kleinen und mittelständischen Unternehmen anderer Branchen. Viele der Unternehmen stehen vor der Aufgabe, das Unternehmen auf die Zukunft auszurichten, was beim aktuellen Druck auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten sicherlich eine große Herausforderung neben dem Tagesgeschäft darstellt.
Zudem ist die Aufgabe sehr komplex und vielschichtig, da sie mit vielen unterschiedlichen Herausforderungen und vor allem mit Menschen zu tun hat. Hier setzen wir bei erentum consulting mit unserem ganzheitlichen Ansatz an, der sich nicht nur auf die Organisation konzentriert, sondern viel mehr auch die Menschen mit einbezieht. Veränderungen im Unternehmen können nur durch und mit den betroffenen Menschen erfolgreich umgesetzt werden.
Glaswelt – Viele Branchenunternehmen stehen vor ihrer größten Herausforderung: Der Nachfolgeregelung. Ist das auch ein Beratungsaspekt bei Ihnen?
Dr. Lackner – Das Thema spielt bei uns eine große Rolle. Um das Thema noch besser greifbar zu machen, wurde ein eigenes Analysetool entwickelt, um festzustellen, welche Ziele der Unternehmer mit der Nachfolge erreichen möchte und wie er dafür bereits aufgestellt ist. Ergänzend hierzu hat TAB eine Befragung bei klein- und mittelständischen Unternehmen zum Thema „Nachfolge und Notfallplan beim plötzlichen Ausfall des Unternehmers“ durchgeführt. Die Ergebnisse sind sowohl ein Alarmsignal für die einzelnen Unternehmen selbst, als auch für die gesamte deutsche Wirtschaft mit ihrem Rückgrat Mittelstand.
Glaswelt – Sie sind 2018 zum stellvertretenden Vorstand des ift Rosenheims gewählt worden. Führen Sie dieses Amt auch nach Ausscheiden bei Raico weiter aus?
Dr. Lackner – Die Wahl des ift-Vorstandes ist eine Personenwahl und damit unabhängig von Tätigkeit und Arbeitgeber. Nachdem mir beim Wechsel in die Selbstständigkeit sowohl die Geschäftsführung als auch die Vorstandskollegen weiterhin das Vertrauen ausgesprochen haben und ich auch künftig mit meiner Unternehmensberatung in der Branche tätig bin, werde ich mich auch in Zukunft sehr gerne und mit aller Tatkraft für die Belange des ift Rosenheims einsetzen.
Glaswelt – Vielen Dank für Ihre Antworten und alles Gute für die Zukunft!
Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.