GLASWELT – Der Coronavirus wirbelt alle bekannten Gewissheiten durcheinander. Was sollten Unternehmen jetzt tun, um diese Krise zu überstehen?
Prof. Lass – An erster Stelle muss der Arbeitgeber auf Basis der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) alle organisatorischen Maßnahmen treffen, um die Gesundheit von Mitarbeitern und Kunden, und damit den Fortgang der betrieblichen Aktivitäten zu sichern. Dazu gehören eine IT-Technik für Homeoffice und Videokonferenzen, die Verstärkung der Reinigungsmaßnahmen, persönliche Schutzausrüstung, die Einhaltung der 2-Meter-Regel sowie eine sofortige Reaktion bei ersten Krankheitssymptomen oder Kontakt zu Infektionsfällen, damit sich das Virus nicht auf weitere Mitarbeiter überträgt und den ganzen Betrieb lahmlegt.
Dr. Peichl – Es ist wirklich sehr wichtig, dass man im Betrieb auf eine konsequente Einhaltung der Regeln achtet und die Mitarbeiter persönlich überzeugt. Die Regeln müssen ja auch im privaten Bereich eingehalten werden, sonst bringt das nichts. Ich rechne damit, dass wir gerade die Abstandsregeln solange befolgen müssen, bis wir einen Impfstoff bekommen. Außerdem muss jeder Betrieb auf die Kosten achten und dabei die Mitarbeiter einbeziehen. Die wissen meistens sehr genau, welche Ausgaben für das operative Geschäft unbedingt notwendig sind. Natürlich ist eine frühzeitige Information über die Regularien staatlicher Unterstützungen wie Kurzarbeitergeld, Überbrückungsgelder oder Steuerstundungen wichtig, um sofort Mittel zur Stabilisierung der Liquidität zu erhalten. Dennoch sollten auch wichtige Zukunftsinvestitionen getätigt werden, beispielsweise in die Verbesserung der Effizienz, die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen oder die Qualifikation der Mitarbeiter. Damit wird die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig verbessert, und der Neustart nach der Krise ist erfolgreicher.
Prof. Lass – Der enge Kontakt zum Kunden ist ebenfalls wichtig. Im Dialog können Lösungen entwickelt werden, um bestehende Aufträge zu bearbeiten und neue zu erhalten. Auch hier hilft eine digitale Kommunikation, um Planer, Bauherren, andere Gewerke und Lieferanten zu erreichen, wenn diese nicht mehr auf die Baustelle oder in den Betrieb kommen dürfen. Dies wird zu ganz neuen Dienstleistungen führen, die es vor der Pandemie nicht gegeben hat.
GLASWELT – Wie sieht die Welt aus, wenn wir wieder zu einem normalen Alltagsbetrieb zurückkehren?
Dr. Peichl – Ich möchte mich bewusst auf die Chancen dieser Krise konzentrieren, denn es ist jetzt wichtig, optimistisch nach vorne zu blicken. Ich bin mir sicher, dass in den meisten Betrieben die digitale Kommunikation und Online-Services (Online-Bestellungen/Schulungen, Netzwerke, virtuelle Produktpräsentationen etc.) genutzt und damit „normal“ werden. Das ist quasi ein Turbo für die Digitalisierung. Vielreisende Manager machen jetzt die Erfahrung, dass sich Besprechungen sehr gut per Video organisieren lassen, und sich so viel Zeit im Auto, im Flieger oder in der Bahn sparen lässt. Das wird zu einer neuen Meetingkultur führen und auch Konzepte für Messen, Kongresse und Weiterbildungen beeinflussen.
Prof. Lass – Die digitale Kommunikation ist für mich nur der Anfang. Betriebe, die digital weiterdenken, werden erfolgreich aus der Krise hervorgehen, denn die Digitalisierung bietet große Potenziale für neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle. Ich habe hier einen Gerüstbauer im Sinn, der nach ersten Versuchen auf eigenen Baustellen nun als neues und lukratives Geschäftsmodell für andere Betriebe per Drohne das Aufmaß für Gerüstbauten macht und maßgenaue digitale 3D-Modelle von Gebäuden erstellt.
Dr. Peichl – Die Coronakrise hat gezeigt, dass schnelle und konsequente Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Fakten sowie vorrausschauendes Handeln die beste Medizin sind – das zeigen die Beispiele Taiwan und Südkorea. Im Betrieb ist das genauso, denn wer vor der Krise bereits in Technik für Homeoffice und Videokonferenzen investiert hat, der konnte schnell „umschalten“.
Prof. Lass – Ein weiterer Aspekt ist, dass vor allem Menschen in Städten nun die Erfahrung machen, dass eine Verringerung des Verkehrsaufkommens zu sauberer Luft und weniger Lärm führt und so die Lebensqualität erhöht. Das wird klimafreundliche Investitionen fördern, aber auch Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation haben. Zudem ist dies eine einmalige Chance, im Realversuch die Auswirkungen von weniger Verkehr auf den Energieverbrauch und die Luftqualität zu analysieren.
Dr. Peichl – Ich rechne auch mit einer verstärkten Besinnung auf mehr betriebliche Autonomie mit einer breiteren und tieferen Wertschöpfung. In vielen Betrieben haben ausfallende Lieferketten und fehlende Zulieferteile die gesamte Produktion gefährdet. Das hat uns gezeigt, in welchem Ausmaß wir von Lieferanten in weit entfernten, aber auch nahen Ländern abhängig sind. Niemand konnte sich bisher vorstellen, dass es Grenzschließungen sogar innerhalb des EU-Binnenmarktes geben wird. Meiner Einschätzung nach wird das zu einer Neuausrichtung globaler Produktions- und Lieferbeziehungen führen.
GLASWELT – Was macht das ift Rosenheim, um diese Krise kurz- und mittelfristig zu bewältigen?
Dr. Peichl – Wir haben sehr schnell die Empfehlungen des RKI umgesetzt. Dabei kam uns zugute, dass im ift die Voraussetzungen für Homeoffice und Videokommunikation bereits vorhanden waren. Wir mussten dann „nur“ noch die Kapazitäten für Server und Softwarelizenzen aufstocken. Hilfreich ist auch ein Montageservice für Probekörper durch ift-Handwerker sowie Prüfungen mit Videobegleitung in Echtzeit. Damit können wir unsere Dienstleistungen auch bei Transportbeschränkungen aufrechterhalten.
Prof. Lass – Auf Basis dieser Erfahrungen werden wir verstärkt in den Ausbau digitaler Services investieren, beispielsweise Online-Schulungen, digitale Kongresse, Gutachten per Videoanalyse, Remote und Video-Audits bzw. Fremdüberwachung. Wir entwickeln gerade ein „Digi-Test-Verfahren“, mit dem wir Prüfungen auf firmeneigenen Prüfständen durchführen können, bei dem die ift-Prüfingenieure durch Videoüberwachung und digitale Analyseverfahren nicht vor Ort dabei sein müssen. Das neue Prüflabor für Bauakustik + Fassaden (BAF) wird gleich mit modernen Techniken ausgerüstet, bei denen Kunden die Prüfung vom Büro aus begleiten können und nicht mehr nach Rosenheim reisen müssen. Das Labor wird in der zweiten Jahreshälfte Schritt für Schritt seinen Betrieb aufnehmen.
Mit neuen digitalen Dienstleistungen können wir schneller und flexibler auf Kundenwünsche reagieren. Diese Konzepte sind schon länger im ift Rosenheim in Arbeit, aber die Coronakrise hat auch gezwungen, diese schneller umzusetzen. Diesen Weg werden wir weiter forcieren, um weiterhin ein innovativer und kompetenter Partner für unsere Kunden zu sein.