Wer mit offenen Augen durch die beeindruckenden Kathedralen in den europäischen Metropolen schlendert, bekommt einen Eindruck davon, wie einschneidend die Fensteröffnung die Stilepoche der Gotik ab etwa der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts beeinflusst hat. Zwar haben die Baumeister das ungeteilte Spitzbogenfenster und das Rundbogenfenster der Romanik als gängige Fensterform im Prinzip beibehalten, jedoch wurden die einzelnen schmalen und hohen Fensteröffnungen mehr und mehr zu Gruppen zusammengefasst.
Die Wände lösten sich zunehmend in Skelettstrukturen auf, was in den Kirchenräumen im Wortsinn geradezu himmlische Lichtwirkungen erzeugte (siehe Bild 1) – und ganz bewusst vom Klerus so gewünscht war. Höhepunkt dieser Lichtarchitektur war neben langen Fensterarkaden das Maßwerk (Bild 2), das aus der Paarung zweier Rund- oder Spitzbogenfenster mit darüber angeordnetem Rundfenster hervorging.
Seit Mitte des 13. Jahrhunderts kennt man das vierbahnige Maßwerkfenster, bei dem die Spitzbogenöffnung nochmals in zwei Lanzettfenster untergliedert ist.
Das Maßwerk war das Maß der Dinge
Vergleichbar gestalteten sich die Fensteröffnungen jener Zeit im Profanbau: Noch heute finden sich an vielen gotischen Rat- und Bürgerhäusern Zwillings- und Drillingsfenster mit und ohne oberem Bogenabschluss. Vielfach teilt ein Kämpfer aus Stein die Spitzbogenform in ein hohes, schmales Rechteck und in ein kleineres, kunstvoll mit Maßwerk ausgefülltes Bogenelement.
Während das Maßwerk des Bogenelements mit von Bleistegen gehaltenen Butzen- oder Rautengläsern verschlossen wurde, erlaubten dreh- oder schiebbare Holzläden vor dem Rechteckfenster (Bild 3) das Belichten und Belüften der Räume. Jedoch um den Preis, dass bei geschlossenem Laden weder Licht noch Luft Durchlass fanden – und zugig war´s trotzdem. Aus dieser Fensterform entwickelte sich im späten Mittelalter das von steinernen Pfosten und Kämpfern unterteilte Steinstützenfenster: Über dem Kämpfer ergaben sich zwei kleinere, quadratische Öffnungen, darunter zwei hochformatige, rechteckige Fenster (Bild 4). Diese Teilungs-Grundform blieb bis in die heutige Zeit erhalten – nur sind dies heute zwei Drehflügel meist ohne festen Pfosten, darüber ein Kippfenster (Galgen- oder T-Fenster).
Festverglasung und Schiebefenster
Bis zum 15. Jahrhundert erfolgte der Fensterverschluss üblicherweise direkt mit der Wandkonstruktion – man kannte noch keine hölzernen Fenstergewände, um Gläser und Fensterläden in einen Rahmen einzupassen und einen etwas winddichteren Anschluss herzustellen. Die großen Maßwerkfenster mit ihren sakralen Motiven waren über einen Eisenrahmen mit waagrechten und senkrechten Metallsprossen fest mit den massiven Stein- oder Ziegelgewänden verbunden. Auch saßen die Fensterläden in schweren Kloben, die direkt in die Wand geschlagen worden waren. In den rustikalen Holzblockbauten begnügte man sich mit einfachen Schiebeläden oder Schiebeflügeln in der Höhe der verwendeten Blockbalken, die in der gewünschten Fensterbreite ausgespart wurden (Bild 6). Auf der Innenseite der Wand brachte man unter- und oberhalb der Öffnung schmale Nutleisten an, in denen entweder geschlossene Holzbretter oder mit Tierhäuten bespannte Rahmen auf- und zugeschoben werden konnten.
Auch größere Fensteröffnungen in städtischen Stein- und Fachwerkhäusern des späten Mittelalters und der Renaissance enthielten waagrechte Schiebekonstruktionen (Bild 7): Entweder konnte bei einem durch Kreuzstöcke gevierteilten Fenster eines der beiden unteren Viertel in Nuten hinter das andere Viertel geschoben werden, oder es konnte diagonal je ein unteres und oberes Viertel des Fensters, als Flügel ausgebildet, ebenfalls in Nuten gegeneinander bewegt werden1.
Eine weitere Variante waren Fenster, die durch zwei horizontale Kämpfer dreigeteilt wurden. Während das obere und untere Fensterteil fest verglast war, konnte der Mittelteil entweder nach oben oder unten aufgeschoben werden.
Zumindest in wohlhabenden Bürgerhäusern leistete man sich ab dem 13. Jahrhundert Fenster mit Butzen- oder Zylinderglasscheiben. Besonders verbreitet war die Rautenverglasung (Bild 8).
Das Fenster teilt sich in Rahmen und Flügel
Mit Anbruch der Renaissance ab etwa 1500 machte der Fensterbau schließlich enorme technische Fortschritte: Die ersten Konstruktionen mit Blendrahmen und Flügel kamen auf, die den Vorzug hatten, dass der direkte Anschlag der Flügel an die Rohbauöffnung endlich aufgegeben werden konnte. Die Bewohner profitierten von dichteren Fenstern, die nun viel exakter in die Öffnung eingepasst werden konnten2. Ein Entwicklungsschritt, der zu jener Zeit ähnlich revolutionär war wie die viele Jahrhunderte später eingeführte Lippendichtung.
Zu den aus der Gotik bekannten Vertikal- und Horizontalschiebefenstern gesellten sich immer häufiger Drehflügelfenster, bei denen die Einfachverglasung dank wichtiger Innovationen bei der Glasproduktion bald zum Standard werden sollte.
Mit der Aufteilung der Fensterkonstruktion in Rahmen und Flügel veränderte sich auch die Beschlagtechnik: Die metallischen Bänder und Angeln (Kloben) stabilisierten die ungeleimten, lediglich verzapften Holzverbindungen und ermöglichten die Drehbewegung der Flügel, wobei kunstvoll verzierte Fensterknäufe die Handhabe erleichterten, den bis dahin gebräuchlichen Griffring aber nicht verdrängte.
Sicherheit vor ungebetenem Gesindel versprachen Verriegelungen wie der einfache Reiber oder Vorreiber, später dann auch komplexere Zuhaltungen wie die Zungen- oder Ruderverriegelung, die beide über einen Drehgriff arretiert wurden. Bei der Zungenverriegelung wurde auf diese Weise eine im Flügelschenkel eingelassene Metallzunge verdeckt in eine Ausnehmung im feststehenden Holz eingedreht. Bei der Ruderverriegelung hingegen greift das metallische „Ruder“ sichtbar hinter einen sich nach unten verstärkenden Haken.
Bei den Fensterkonstruktionen vor der Zeit um 1700 fällt auf, dass die Flügel stumpf in den Blendrahmen einschlagen, also noch keinen raumseitigen Überschlag der Fensterflügel aufweisen.
Die Malerei als technische Dokumentation
Bestimmte funktional bedeutsame Räume in herrschaftlichen und gemeinschaftlich genutzten Gebäuden – zum Beispiel in Rathäusern – wurden erstmals mit umlaufenden Fensterbändern versehen. Grundlegende Erkenntnisse über Form, Größe, Konstruktion und Art der Verglasung aus dieser Zeit stammen hauptsächlich von Gemälden wie zum Beispiel dem Bild „Die Bezahlung“ (1532) von Lukas Cranach (Bild 9).
Dem für diese Zeit typischen, strengen Realismus in der Malerei ist es zu verdanken, dass man sich heute im wahrsten Sinn des Wortes ein Bild von den damaligen Beschlagtechniken und konstruktiven Details machen kann. Die ergiebigen „künstlerischen Dokumentationen“ aus dem Zeitalter der Aufklärung belegen allerdings einhellig, dass sich der damalige Stand der Fenstertechnik bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts nicht nennenswert weiterentwickelt hat. —
1 Gerner, Manfred, Dieter Gärtner, Historische Fenster – Entwicklung, Technik, Denkmalpflege, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1996
2 Neumann, Hans-Rudolf et al., Fenster im Bestand, expert verlag Renningen, 2003
Der Autor
Klaus Siegele war nach einer Schreinerlehre und dem Architekturstudium 10 Jahre Redakteur bei der db deutsche bauzeitung und führt seit 2000 ein eigenes Architekturbüro. Er ist Fach- und Buchautor für Architektur, Bautechnik, Nachhaltigkeit und energieeffizientes Bauen und für viele Fachzeitschriften, u. a. den Gebäude-Energieberater GEB, tätig.