GLASWELT – Wo hat sich der Ansatz Cradle-to-cradle im Baubereich etabliert und wo klemmt es noch?
Prof. Michael Braungart – Jeder relevante Baustoffhersteller hat inzwischen entsprechende Produkte im Sortiment. Ein Drittel aller Cradle-to-cradle-Innovationen kommt aus dem Baubereich. Es gibt inzwischen viele Baustoffe, die entsprechend entwickelt worden sind. Das bezieht sich auf den Innenausbau, auf Fußbodenbeläge, Farben, aber immer mehr auch auf Materialien wie zum Beispiel Positivlisten für Beton. Sie definieren, was darin enthalten ist. Das gilt auch für Holz, damit das als Holz wiederverwendet werden kann und nicht als behandelter Sondermüll verbrannt werden muss. Es gibt aber beispielsweise auch nach Cradle-to-cradle-Prinzipien hergestellte Putzkanten von Gebäuden. Es geht dabei um ein echtes Recycling. So gibt es bis heute zum Beispiel bei Fenstern kein echtes Recycling, bei dem ein Fenster zu einem Fenster recycled wird, sondern nur ein Downcycling. Echtes Recycling kommt aber jetzt durch große Hersteller wie Saint Gobain, Schüco und andere. Wichtig ist es dabei, bereits beim Produktdesign die nächste Nutzung zu berücksichtigen.
Es gibt es bis heute bei Fenstern kein echtes Recycling, bei dem ein Fenster zu einem Fenster recycled wird, sondern nur ein Downcycling.
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GLASWELT – Kann dieser Ansatz den kompletten ökologischen Rucksack von Bauteilen wie Fenstern oder Dämmung bestimmen?
Braungart – Wir gehen anders heran. Wir möchten einen ökologischen Rucksack, der groß ist und die anderen Lebewesen mit im Rucksack hat. Uns geht es nicht darum, weniger schädlich zu sein, dafür sind wir zu viele Menschen. Wichtig ist uns stattdessen die Bereitschaft, auch den anderen Lebewesen Chancen zu bieten durch das Bauen. Gebäude zu gestalten, die die Luft reinigen, die das Wasser reinigen, die Artenvielfalt unterstützen.
GLASWELT – Geht es dabei auch darum, den kompletten Lebenszyklus eines Produkts zu kennen?
Braungart – Das Konzept des Lebenszyklus auf tote Gegenstände zu projizieren ist eine Missachtung von Leben. Es geht um mehr. Die von uns angestrebte Digitalisierung setzt eine definierte Nutzungszeit voraus. Zum Beispiel Fenster, die man für 30 Jahre Nutzung bekommt. Dann kann der Hersteller das beste Material einsetzen, nicht das billigste. Das erfordert auch völlig neue Geschäftsmodelle, die eine Nutzung zugrunde legen und nicht den Kauf von Gütern.
GLASWELT – In der neuen Bundesförderung für effiziente Gebäude gibt es einen Nachhaltigkeitsbonus. Kommt das Ihrem Konzept entgegen?
Ich möchte in 1000 Jahren nicht noch den gleichen Bürostuhl und die gleiche Haustüre haben.
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Braungart – Nachhaltigkeit und Effizienz sind falsche Konzepte. Es geht um Effektivität. Echte Innovation kann nicht nachhaltig sein, sonst wäre sie keine Innovation. Nachhaltigkeit möchte ich für die Biosphäre haben, ich möchte, dass es in 1000 Jahren noch Spatzen, Amseln, Schildkröten und Tiger gibt. Ich möchte aber nicht in 1000 Jahren noch den gleichen Bürostuhl und die gleiche Haustüre haben. Nachhaltigkeit ist das Konzept, die Bedürfnisse jetzigen Generation zu erfüllen ohne der künftigen zu schaden. Es geht aber darum nützlich zu sein, nicht weniger schädlich.