Am folgenden Morgen entdeckt der Hausbesitzer bei genauem Hinsehen an der der Wand zugewandten Glaskante eine Stoßstelle und bemängelt dies bei dem Handwerker. Der Lieferant lehnt die Bemängelung ab mit dem Hinweis, die Monteure hätten ihre Arbeit ordentlich verrichtet. Die Stoßstelle könne nur nach der Abnahme des Daches entstanden sein.
Der Hausbesitzer beantragt daraufhin über einen Anwalt bei Gericht ein Selbständiges Beweisverfahren mit der Fragestellung: „Es soll Beweis erhoben werden über die Frage, welches die Ursache des an dem Glas des Vordaches der Haustür des Hauses des Beklagten vorhandenen Schadens ist, insbesondere über die Frage, ob es sich um einen Materialfehler oder einen Montagefehler handelt.“
Das ergab der Ortstermin des Gutachters
Anlässlich des anberaumten Ortstermins wurde vom Sachverständigen festgestellt:
- Das Vordach besteht aus einer Glasscheibe aus Verbundsicherheitsglas VSG, welche auf 6 Edelstahlhaltern punktförmig gelagert ist. (Bild 01)
- Das Verbundsicherheitsglas besteht aus zwei Scheiben aus Floatglas (Fensterglas), welche mittels einer klardurchsichtigen Verbundfolie aus Polyvinylbutyral PVB miteinander verbunden sind.
- Die untere Einzelscheibe des Verbundsicherheitsglases hat an der wandseitigen Glaskante links vom linken Edelstahlhalter eine ca. 3 cm breite muschelförmige Abplatzung (Bilder 02 und 03).
Eine absolut 100%ige Antwort über die Ursache der muschelförmigen Abplatzung lässt sich nachträglich von mir nicht geben. Wenn dies nicht möglich ist, muss sich die Suche nach der Ursache auf die Beurteilung des optisch erkennbaren Schadensbildes und Hinweisen, die die Schadensbegründung belegen oder erhärten können, beschränken.
Im Wesentlichen haben Abplatzungen an Kanten von Glasscheiben folgende Ursachen: Stoßartige Überlastung bei der Produktion, der Lagerung, dem Transport, dem Einbau oder dem Gebrauch.
Da sich die Abplatzung an der wandseitigen Glaskante der unteren Glasscheibe des Verbundsicherheitsglases in einem weitestgehend vor Stößen geschützten Bereich befindet, kann davon ausgegangen werden, dass sie nicht anlässlich des Gebrauchs nach dem Einbau entstanden ist. Dass sie anlässlich der Produktion entstanden ist, lässt sich ebenfalls ausschließen, weil sie dann vor dem Einbau hätte erkannt werden müssen.
Das Fazit des Gutachters
Aus dem optisch erkennbaren Schadensbild, der Lage und den Hinweisen lässt sich schließen, dass die Abplatzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf eine stoßartige Belastung anlässlich des Transportes und/oder der Montage zurückzuführen ist.
Es wurde infrage gestellt, dass der Schaden durch die Monteure verursacht worden sei. Vielmehr sei die Abplatzung infolge des Gebrauchs durch eine Stange o. ä. entstanden. Hierzu habe ich erläutert, dass der Hausbesitzer keinen Grund habe, mit einer Stange oder anderweitig im Bereich der Stoßstelle an der Hauswand zu hantieren.
Und selbst wenn er das Dach nach der Montage hätte reinigen wollen, wäre dies mithilfe des Anlegens einer Leiter geschehen, was dann womöglich zu einer Beschädigung im Bereich der ungeschützten Vorderkante der Dachscheibe geführt hätte.
In der großen Freude und Euphorie über das neue Produkt achtet ein Abnehmer oft nicht genau darauf, ob dieses wirklich mangelfrei ist. Dazu kommt, dass Fehler an Glasscheiben bei oberflächlichem Hinsehen aus der Ferne oft nicht zu erkennen sind. Kommt es nachträglich zu einer Bemängelung, ist die Beweisführung schwierig. Das vorgefundene Schadensbild, der Ort und die Umstände lassen den Schluss zu, dass die Beschädigung während des Transports und/oder bei der Montage herbeigeführt wurde.
Wolf-Dietrich Chmieleck
Der Autor
Wolf-Dietrich Chmieleck ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik.