_ Im Ergebnis besteht noch lange ein hoher Neubaubedarf und parallel dazu steigt der Leerstand: aktuell wegen Neubaus trotz Wegzugs in den Schrumpfungsregionen, mittelfristig durch Neubau in den Wachstumsstädten infolge des Leerzugs der Schrumpfungsregionen und langfristig ohnehin wegen der demografisch schrumpfenden Haushaltszahlen. Trotz der akuten Eile im Wohnungsbau muss daher jeder Neubau auf seine Zukunftsfestigkeit geprüft und jeder Zuzugsanreiz in die Knappheitsstädte vermieden werden. Klar ist auf jeden Fall: Knappheit und steigende Mieten in den Städten sind die Kehrseite von Schrumpfung und zunehmendem Leerstand in der Fläche.
Knappheit und Leerstand durch Binnenwanderung
Die Regionen driften auseinander. Auf der einen Seite gibt es Zuwanderungsregionen, auf der anderen Seite Abwanderungsregionen, die den Nachschub für eben diesen Wanderungsstrom stellen. Im Unterschied zu früheren Zyklen steigen daher Nachfrage und Preise aktuell nicht flächendeckend.
In der Folge ergibt sich ein trügerisches Bild: Bundesweit ist die Einwohnerzahl gesunken, die Zahl der Haushalte gestiegen und das Angebot an neuen Wohnungen war größer als der Zuwachs der Haushalte.
Regional sieht das Bild dagegen ganz anders aus: In den Zuwanderungsregionen ist die Einwohnerzahl deutlich gestiegen. Und hier konnte der Bau neuer Wohnungen eben nicht Schritt halten mit dem Zuwachs der Haushalte. Ganz anders in den Abwanderungsregionen: Hier war nicht nur die Einwohnerzahl, sondern auch die Zahl der Haushalte rückläufig. Dennoch wurden hier neue Wohnungen errichtet. Dies mag verwundern, aber auch dort gibt es zahlungskräftige Nachfrager, deren Wohnwünsche und Qualitätsansprüche im vorhandenen Wohnungsbestand nicht erfüllt werden. Jeder zusätzliche Wohnungsbau in einer Schrumpfungsstadt erhöht dort aber den ohnehin schon hohen Leerstand.
Kein „zurück“ in die Stadt, sondern Trend zu Schwarmstädten
Ende der 1990er Jahre war der Trend noch eindeutig: Allerorten wanderten die Menschen per Saldo raus aus der Kernstadt ins nahe gelegene Umland – trotz einiger überregionaler Zuzüge verloren die Städte Einwohner.
Heute dagegen gibt es ausgesprochene Wachstums- und Schrumpfungsstädte: Aus den Schrumpfungsstädten (und -regionen) wandern die Menschen überregional ab. Diese Ströme fließen in den Kernstädten der Wachstumsregionen zusammen. Dort wiederum drängen sie die Bewohner ins Umland ab. Folglich gibt es kein generelles „zurück“ in die Stadt. Allenfalls ein leichtes und nicht nachhaltiges „zurücklein“ in einigen wenigen Schrumpfungsstädten (z. B. Hof, Frankfurt/Oder oder Gera).
Erst seit 2010 profitieren die Städte auch wieder per Saldo durch Zuwanderer aus dem Ausland und erst seit 2012 liegen die Auslandsgewinne über den Inlandsgewinnen – seit 2015 durch die Flüchtlingswelle sogar deutlich. Bis dahin galt: Jeder zusätzliche Wohnungsbau in einer Wachstumsstadt erhöht den ohnehin schon hohen Leerstand in den Schrumpfungsregionen. Die Knappheit in den Städten ist die Kehrseite der Schrumpfung in der Fläche.
Auch innerhalb der Städte vollziehen sich ganz unterschiedliche Trends. Es gibt nicht den einen lokalen Wohnungsmarkt und nicht die eine lokale Wohnungsmiete. Deutlich wird dies am Beispiel von Familienvierteln oder Schwarmstädten. Die entsprechenden Milieus entstehen nicht irgendwo in einer Stadt, sondern in ganz speziellen Stadtteilen: idealtypisch am Cityrand – nicht in unmittelbar zentralster Lage, aber doch zentral – in hoch verdichteten Mehrfamilienhausgebieten mit hohem Altbauanteil, oft gründerzeitlich geprägt. Der Anteil der Gewerbeeinheiten in den Erdgeschossen ist dort hoch und bietet damit viel Raum für Geschäfte, Galerien, Cafés etc. Aufgrund der innerstädtischen Lage sind sie gut an den ÖPNV angebunden, trotzdem werden sie in der Regel nicht von großen Durchfahrtsstraßen durchschnitten. Dann ziehen relativ einkommens- und bildungsstarke Personen mit hohem Einkommenspotenzial dazu und relativ einkommensärmere Schichten werden verdrängt. Dadurch steigt das Mietpreisniveau zum Teil deutlich. Unklar bleibt, wie lange solche Gebiete „hipp“ bleiben und ob z. B. die Familien in den „Familienvierteln“ dauerhaft gebunden bleiben.
Gute Objekte erfreuen sich auch langfristig hoher Nachfrage
Lange Zeit wurden in Deutschland vielfältige Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Immobilienmärkte befürchtet: Weniger Menschen benötigen weniger Wohnungen, ältere Menschen ziehen nicht mehr um oder nur noch ins Pflegeheim und immer mehr Menschen fehlt es angesichts unzureichender Altersvorsorge und zunehmender Altersarmut an (Wohn-)Kaufkraft. In der Folge wurden nach dem Wohnungsbauzyklus der 1990er Jahre kaum noch neue Wohnungen gebaut. Aber wären alle diese Erwartungen richtig gewesen, wären nur noch Abriss und nicht mehr Neubau oder gar steigende Miet- oder Kaufpreise an der Tagesordnung.
Nach neuesten Prognosen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung wird der Bevölkerungsrückgang von 2015 bis 2035 überschaubare 2,7 Mio. oder drei Prozent auf 78,2 Mio. Einwohner betragen; aufgrund der aktuellen Flüchtlingswelle wird er aber sogar noch geringer ausfallen. Und dank sinkender Haushaltsgrößen steigt deren Anzahl in diesem Jahrzehnt sogar noch an, sodass auch ohne die aktuelle Flüchtlingswelle bis zum Jahr 2035 mehr Wohnungen nachgefragt werden als heute.
Hinzu kommt: Wohnungen sind nicht gleich Wohnungen. Die Nachfrage nach Wohnungen in Eigenheimen bzw. in einfamilienhausähnlichen, eher höherwertigen Gebäuden wird nach empirica-Prognosen durchgehend im gesamten betrachteten Zeitraum steigen. Die Kehrseite: Geschosswohnungen, insbesondere schlechtere Lagen und nicht nachfragegerechte Qualitäten oder anonyme Großsiedlungen werden überproportionale Nachfrageeinbußen erfahren. Aber selbst die Nachfrage nach Geschosswohnungen wird sich in einigen Regionen günstig entwickeln, die von Zuwanderung profitieren.
Bei der künftigen Wohnungsnachfrage sind aber nicht nur Regionen und Gebäudestile zu unterscheiden. Für eine erfolgreiche Vermietung ist es auch wichtig, die Bedürfnisse der wichtigsten Nachfragegruppen zu kennen. Da wären zum einen die mengenmäßig bedeutende Gruppe der Senioren, die heute mobiler sind als in vergangenen Jahrzehnten.
Eine zahlenmäßig kleinere Gruppe sind die Familien. Diese Nachfrager haben aber sehr spezielle Wohnwünsche. Außerdem entscheiden vor allem Familien mit ihrer Wohnstandortwahl darüber, wohin die Umlandwanderung führt: in die Suburbanisierung oder „zurück“ in die Stadt.
Völlig offen ist dagegen derzeit, wo und wie die vielen Flüchtlinge künftig wohnen werden. Nach empirica Schätzungen werden die davon in Deutschland verbleibenden Menschen in den kommenden beiden Jahren Wohnungen in einer Größenordnung von etwa 300 000 Einheiten nachfragen. Man kann nur hoffen, dass diese Nachfrage zumindest in größeren Teilen auch in den leer stehenden Wohnungen der Schrumpfungsregionen befriedigt wird. Es wäre jedenfalls volkswirtschaftlicher Wahnsinn, diese Haushalte, darunter viele Familien, allein mit neu zu bauenden Wohnungen zu versorgen und gleichzeitig Hunderttausende leerstehende Wohnungen zu ignorieren. Neben hohen Kosten und langer Bauzeit ist nämlich auch zu befürchten, dass dann auf die Schnelle Wohnungen hingeklotzt werden, die langfristig keine Nachfrager finden und damit den ohnehin zunehmenden Leerstand weiter befeuern. —
Der Autor
Dr. Reiner Braun ist Mitglied des Vorstandes der empirica AG Forschung und Beratung (Berlin). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Wohnungsmärkte, Einkommens- und Vermögensanalysen sowie Altersvorsorge. empirica ist ein unabhängiges wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Beratungsunternehmen. Auftraggeber sind Banken, Bausparkassen, Versicherungen, Bauträger, Immobilieninvestoren, Kommunen, Landes- und Bundesministerien.