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Hochschule München: Glas im konstruktiven Ingenieurbau

Bald fallen AbZ und Ü-Zeichen weg

_ Das EuGH Urteil und seine Umsetzung in der Glasbaupraxis wurde auf der diesjährigen Tagung erneut heftig diskutiert. Geleitet wurde die Veranstaltung von Prof. Dr.-Ing. Christian Schuler. Das Urteil moniert die Nachregulierung von Bauprodukten durch die deutsche Bauregelliste. Warum? Diese stelle an viele Produkte höhere Anforderungen, als sie in der EU erforderlich sind. Der EU-Gerichtshof sieht in dieser nationalen Nachregulierung eine Wettbewerbseinschränkung europäischer Hersteller.

Das Urteil erfordert damit eine Neuregelung der Bauregelliste, so Brüsse. Die Folge der EU-Rechtssprechung: Die Bauregelliste wird zeitnah abgeschafft, mit ihr fallen dann auch Instrumente wie Ü-Zeichen und eine AbZ, d.h. die allgenmeine bauaufsichtliche Zustimmung im Einzelfall.

Die zuständigen (deutschen) Baubehörden arbeiten aktuell intensiv an einer Neuregelung bzw. einer alternativen Liste für Bauprodukte, die noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll. Die deutschen Behörden sehen sich damit selbst vor der schwierigen Aufgabe, die Anforderungen, die über die EU-Anforderungen hinausgehen sicherzustellen, ohne den europäischen Wettbewerb einzuschränken.

Klagt künftig erneut ein europäischer Hersteller vor dem EuGH gegen Anforderungen, die er nur in Deutschland erfüllen muss, könnte er Recht bekommen und das von den Behörden angestrebte, neue deutsche System erneut kippen.

Spagat der deutschen Behörden

Die Beteiligten, die aktuell die Spielregeln für Deutschland aufstellen, sind sich dessen bewusst und müssen nun den Spagat zwischen EU-Niveau und nationalen Anforderungen rechtssicher umsetzten. Letztlich entscheidet aber der EuGH, welche nationalen Regelungen den europäischen Wettbewerb einschränken und welche nicht. Interessant ist, dass somit Juristen und nicht Sachverständige entscheiden, welches Sicherheitsniveau in Deutschland gefordert werden darf.

Konnten bisher ausführende Firmen und Planer davon ausgehen, dass die in der Bauregelliste erfassten Bauprodukte dem Stand der Technik entsprechen, kann sich das in Zukunft dramatisch ändern. Ist ein Bauprodukt in Europa geregelt, weist aber Mängel auf, z. B. fehlende Frostsicherheit, könnte das im Schadensfall zu Haftungsansprüchen gegen den Verarbeiter oder Monteur führen, der dieses Produkt hat verbauen lassen.

In weniger Regelungen zu Bauprodukten steckt aber auch eine Chance und muss nicht zwangsläufig zu einer Explosion von Schadensfällen führen. In Bezug auf den Glasbau, so Veranstalter Professor Schuler, finde diese jedoch vorwiegend im EU-Ausland statt. Mitverantwortlich dafür ist das hohe Sicherheitsniveau in Deutschland. Denn die Gründe hierfür liegen auch an den vielen Anforderungen an Bauprodukte und -arten, die Planer und die ausführenden Firmen hierzulande zu beachten haben. So wird z. B. für nicht geregelte Bauprodukte immer wieder eine Zustimmung im Einzelfall gefordert, auch wenn die Ausführung bis auf das Land quasi gleich ist.

Man sollte nicht vergessen, dass neben Baubehörden auch Ingenieure über den Sachverstand verfügen, die Risiken von z. B. geklebten Glaskonstruktionen abzuschätzen und geeignete Maßnahmen zur Umsetzung zu ergreifen. Deshalb wurde unter den Ingenieuren auch darüber diskutiert, wie viel Eigenverantwortung sinnvoll ist und wie viel Regelungen verträglich sind.

Mehr Freiheiten für Planer

In anderen Ländern genießen Ingenieure mehr Freiheiten und können freier (mit Glas) konstruieren, selbst wenn oder vielleicht gerade weil sie dabei viel mehr in der Verantwortung stehen.

Referent Erwin Trommer vom Fassadenbauer Frener und Reifer aus Südtirol zeigte mit seinem Vortrag über die internationale Verwendung von gebogenem Glas auf, welche Auswirkung „mehr Verantwortung“ für das Bauen mit gebogenem Glas hat. In der Schweiz oder den USA führe gerade die hohe Verantwortung der Ingenieure zu einer intensiven Bearbeitung von Glasprojekten mit dem Ziel, Schadensfälle zu vermeiden. Die Ingenieure von Frener und Reifer sichern beispielsweise ihre Projekte durch Studien und Berechnungen weitgehend eigenständig ab.

Normen können Entwicklungen auch behindern, indem die Standards so ausgelegt werden, dass sie neue Entwicklungen bremsen. Dazu wurde als Beispiel der vollständig geklebte Glasunterstand der Hochschule München präsentiert (siehe Foto). Dieser wurde im Rahmen des Forschungsprojekts Lakki auf dem halböffentlichen Gelände des Hochschul-Campus errichtet.

Da er nicht als Bauwerk, sondern als Musterbau errichtet wurde, war eine aufwendige und kostspielige ZiE nötig. Der Musterbau ist damit kein Gebäude im eigentlichen Sinne, da er ausschließlich dazu dient das Langzeitverhalten von unterschiedlichen geklebten Verbindungen zu untersuchen.

Der temporäre Bau ist auf drei Jahre beschränkt und wird danach wohl abgerissen. Im öffentlichen Raum hätte der Glasunterstand wohl kaum eine Zulassung erhalten.

Das Projekt Lakki wurde von Antje Blank und Steffen Dix vorgestellt. Unter der Leitung von Prof. Bucak beschäftigten die Forscher sich mit dem Verkleben von Glas mit unterschiedlichen Klebstoffen und verschieden Klebegeometrien. Der Versuchsbau zeigt, was technisch möglich ist, aber auch was in Deutschland nicht sein darf.

Geklebte Beispiele aus der Praxis

Dass im Rahmen der geltenden Normen dennoch neue Entwicklungen möglich sind, zeigten zwei Beispiele aus der Praxis. Das Fassadenelement Iconic Skin von Seele ist ein innovatives und marktreifes Produkt. Es beruht im Wesentlichen auf zugelassenen Bauprodukten und einer „zulässigen“, also normativ geregelten Verklebung. Die einfachste Variante ist eine Kombination eines herkömmlichen Sandwichpanels aus Blech mit einer aufgeklebten TVG-Scheibe.

Bei der Entwicklung spielte die Hochschule München eine Schlüsselrolle. Martin Teich von Seele stellt u. a. die mechanischen Eigenschaften des Produkts vor und Prof. Schuler beschrieb einige, der dazu an der Hochschule durchgeführten Versuchsreihen. So wundert es nicht, dass im Umfeld von Lakki und Ionici Skin gleich mehrere Studien zum Verhalten von Klebe-Geometrien durchgeführt werden.

Kleben, das ist aktuelle Forschung und Praxis zugleich. Dies zeigt auch das zweite Praxisbeispiel, das vom Markus Kramer vom Essener Ingenieurbüro Kramer vorgestellt wurde. In Krefeld wurden Dachträger der Haltestellenüberdachung Ostwall/Rheinstraße mit eingeklebten VSG-Scheiben ausgesteift. Es handelt sich dabei um mit Stahlseilen gehaltene Flachstahlträger, die hohe Drucklasten abtragen müssen. Durch die VSG-Scheiben wird das seitliche Ausknicken der Träger verhindert und so der gesamte Stahlbau der Konstruktion stabilisiert. Die VSG-Scheiben werden damit zu einem wesentlichen Bestandteil des Tragwerks. Damit rückt die Tragfähigkeit der laminierten Scheibe über die gesamte Lebenszeit des Bauwerks in den Fokus.

Laminieren ist Kleben und so unterstrich die Veranstaltung, dass das Kleben von Glas beherrschbar ist und in seinen vielfältigen Möglichkeiten die Zukunft des konstruktiven Glasbaus bestimmen wird. —

Hanno Sastré, GF Glaslabor

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