_ „Mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Gebäude ist das Smart Home heute in aller Munde und viele Player in den unterschiedlichen Branchen arbeiten an Systemen, um dies zu gestalten und umzusetzen“, so Swisspacer-Geschäftsführer Andreas Geith, der zum Symposium Fenestra Vision nach Salzburg eingeladen hatte.
„Die Hersteller müssen sich von dem Gedanken verabschieden“, so Geith weiter, „dass sie auch in Zukunft Einzelprodukte fertigen. Vielmehr werden wir übergreifende Lösungen finden müssen. Dies erfordert eine enge, branchenübergreifende Zusammenarbeit“, so das Fazit von Andreas Geith bei seiner Einführung. Weiter gehe mit der Digitalisierung im Rahmen von Industrie 4.0 gleichzeitig auch eine zunehmende Individualisierung der Produkte einher. Das sei eine spannende Entwicklung, die den steigenden Kundenbedürfnissen entspreche und wiederum interessant für Handel und Handwerk sei, da sich damit auch neue Marktfelder auftun.
Eine digitalisierte, mit den entsprechenden Maschinen vernetzte Produktion ermögliche es zudem, vielfältige Daten aus allen Abläufen der Bestell- und Prozesskette zu sammeln, um damit die laufende Fertigung permanent zu optimieren, was wiederum flexibilisierte Prozesse erlaube und so die gesamte Herstellung beschleunige.
Die dunkle Seite des Smart Homes
Wie sieht das vernetzte Gebäude der Zukunft aus? Diese Frage beleuchtete Dr. Eckhard Keill, Vorstandsvorsitzender der Roto Frank AG, aus der Perspektive des Beschläge- und Dachfensterherstellers. „Die digitale Vernetzung innerhalb des Smart Homes macht auch vor unserer Branche sowie der Fenster- und Fassadenbranche nicht Halt. Wir als Beschlaghersteller sowie die Verarbeiter müssen sich damit auseinandersetzen“, so Keill. „Aber ich singe heute nicht das hohe Lied auf das Smart Home. Ich will mich mit der dunklen Seite des Smart Homes auseinandersetzen.“
Dabei warf Eckhard Keill die Frage auf: Was ist das Smart Home überhaupt? „Erst einmal ist es ein wunderschöner Marketing-Begriff, den die unterschiedlichsten Branchen für sich vereinnahmen.“ Fasse man aber nach, stelle sich schnell heraus, dass der Begriff selbst nicht definiert sei. Keill: „Eine Tür, ein Tor oder ein Dachfenster automatisch zu öffnen ist noch lange kein Smart Home, dazu braucht es nur eine Fernbedienung oder Regeltechnik. Smart wird es erst dann, wenn eine Steuerung selbstständig lernen kann, um auf unterschiedliche Situationen zu reagieren.“
Gründe für den Kauf von Smart Home Technik
Das Wohnen mit Technik werde mit den vielfältigen Möglichkeiten der Vernetzung von Bauteilen in der Fassade und im Gebäude immer interessanter und wichtiger, wenn es dem Komfort des Kunden dient, so Keill. „Aber was wird, wenn die Versprechungen der Smart-Home-Anbieter nicht den Erwartungen des Kunden entsprechen? Steigt die Komplexität, ohne dass der Komfort zunimmt, wird aus dem Hype schnell ein ungutes Erwachen.“
Die gewerkeübergreifende Zusammenarbeit ist für das Funktionieren von Smart Home essenziell, so der Roto-Mann. „Aber wenn es kein ganzheitliches Konzept für das Smart Home gibt, wird es immer schieflaufen, gerade, wenn die Abstimmung nicht gewerkeübergreifend angegangen und umgesetzt wird.“ Es sei undenkbar, dass sich ein Haus mit 27 verschiedenen Apps smart und gleichzeitig komfortabel steuern lässt.
Vor diesem Hintergrund brachte Keill eine neue, zentrale Institution ins Gespräch: „Es braucht einen Systemintegrator, der das smarte Haus an die Bedürfnisse des Bauherren anpasst und dafür das passende Konzept erstellt“, unterstrich Keill.“ So ein Berufsbild gibt es leider noch nicht, aber das muss kommen, sonst werden keine ganzheitlichen Konzepte entstehen.“
Viele Anbieter versuchen im Segment der Gebäudesteuerung und Smart Home ihr Glück und konkurrieren miteinander. Das mache die Auswahl für den Kunden schwer.
Riskante Bequemlichkeit
Schwierig werde es weiter, wenn ein Anbieter und seine Smart-Home-Systeme einfach vom Markt verschwinden, wenn es die Software nicht mehr zum Updaten oder keinen Support mehr gibt. Was machen dann die Kunden, die ein solches System angeschafft haben? Insbesondere bei Internet-basierten Systemen ist das problematisch, da dann solche Systeme überhaupt nicht mehr funktionieren und das Haus quasi offen liegt.
Und weiter stelle sich die Frage nach der Lebensdauer: Wie lange kann der Nutzer damit rechnen, dass seine vernetzten Produkte und die Software funktionieren? Wird es sie in drei, fünf, zehn Jahren überhaupt noch geben? Keill: „Wir als Beschlaghersteller bieten langfristigen Support an und unsere Systeme und Produkte lassen sich auch nach vielen Jahren noch reparieren.“
Und wer haftet beim Versagen von Smart-Home-Systemen? Die Juristen sagen, dass derjenige, der das System verkauft, für die Lebensdauer des Produkts seinen Betrieb sicherstellen müsste. Keill: „Nehmen Sie jetzt die Lebensdauer von Haustüren und von Software und setzen dies ins Verhältnis.“
Roto werde nicht mit eigener Smart-Home-Steuerungssoftware auf den Markt kommen, sondern Beschläge, Systeme und Bauteile anbieten, die Smart-Home-ready sind, die sich also in Steuerungen einbinden lassen. Alle Fenstersysteme müssen künftig in der Lage sein, Smart-Home-Anwendungen aufzunehmen bzw. sich ansteuern lassen. Auch die Verarbeiter müssen deshalb Smart-Home-ready werden, ohne das geht es nicht mehr. Keill: „Aber erkennen Sie die Stolpersteine dieses Geschäfts.“
Impulse aus der Expertenrunde
Der ift-Leiter Ulrich Sieberath moderierte in Salzburg eine Expertenrunde, die sich der Frage widmete: Smarte Fenster, was macht den Unterschied? Welche Chance ergeben sich dadurch für die Branche? Die Ergebnisse der Runde: Beim Smart Home ist die Nutzer-Akzeptanz essenziell. Der Endkunde muss zudem immer in der Lage sein, sein Fenster, seinen Sonnenschutz etc. selbst zu steuern, ohne Automatikstatus, dieser muss sich abschalten lassen.
Das Zusammenspiel aus Software und Hardware muss reibungslos funktionieren. Die Fensterbauer müssen Fenster anbieten, die sich an die Haustechnik und die Steuerungssoftware anschließen lassen, dass ist die Aufgabe der Fenster- und Fassaden-Branche. Gleichzeitig müsse man als Türen- und Fensterhersteller einen Plan haben, wenn der Smart-Home-Zulieferer ausfalle, und wenn die verwendete Software nicht mehr funktioniert.
Weiter werden die Produkt-Daten zunehmend wichtiger: Ein eingebauter Chip für das ganze Fenster sei nötig, der alle Informationen über das Fenster beinhaltet, Glas, g-Wert, Formate etc.. Solche Informationen müssen künftig integraler Bestandteil eines Fensters, einer Isolierglasscheibe, des Sonnenschutzes sein. Wobei der Tenor der Diskussionsrunde war: Ein einziger Chip im Fenster muss es sein, nicht fünf verschiedene.
Der Countdown für Fenster- und Fassadenbauer läuft
Jochen Wilms , GF der W Ventures GmbH und früherer Schüco-Mitarbeiter, zeigte die digitalen Veränderungsprozesse in der Bauindustrie auf. Sein Statement für alle Fenster- und Fassadenbauer: „Digitalisiere oder stirb. Alles was digitalisiert werden kann, wird es auch und wer nicht mitmacht, wird durch das Raster fallen.“
Die Bauindustrie ist einer der letzten Positionen bei der Digitalisierung. Das wiederum weckt das Interesse der großen digitalen Player wie Amazon, Apple und Microsoft, die auch an der Baubranche interessiert sind. Und solche Unternehmen haben sehr viel Geld, um sich hier einzubringen. Wilms: „Das Wissen der deutschen Baufirmen ist weltweit gefragt. Dabei muss es ihnen in den nächsten drei bis fünf Jahren gelingen, ihr unternehmerisches Knowhow an die Digitalisierung anzupassen, um an den Märkten der Zukunft teilhaben zu können. Danach wird sich die Tür schließen.“—