_ Mit dem neuen Forschungsbericht handelt das ift Rosenheim außerhalb seiner Profession und vernachlässigt ganz entscheidende Aspekte zum Thema Nullschwelle. Die öffentlich geförderte Forschung zur „Bewertung der Barrierefreiheit von Bauelementen am Anwendungsbeispiel Fenster und Türen“ steht im deutlichen Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention. Bei dieser handelt es sich nicht um irgendeine Kleinigkeit, sondern um das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK). Dieses wurde bereits am 31.12.2008 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und führt seither zu massiven Veränderungsprozessen in der Behindertenhilfe. Leistungsanbieter aus diesem Bereich sind angehalten, das dezentrale gemischte Leben in der Gesellschaft von Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. Dafür werden jedoch überall im ganz normalen Wohnungsbau Wohnungen benötigt, die von Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen genutzt werden können.
Die Behindertenhilfe spricht von Inklusion, was einfach übersetzt bedeutet, dass jeder überall teilhaben kann. Sie spricht weiterhin von Diversity Management (Vielfaltsmanagement), was verlangt, dass Konzepte, Produkte und Bauwerke so gestaltet sein müssen, dass diese der menschlichen Vielfalt gerecht werden.
Die Ingenieure beim ift hingegen ignorieren mit ihren Forschungsaktivitäten diese veränderten Bedarfsentwicklungen. Die UN-BRK fordert ein universelles Design, das von jedem Menschen genutzt werden kann. Das ift hingegen möchte eine „Kategorisierung“ von Menschen. Nur für „Rollatornutzer“ seien schon geringe Schwellenhöhen eine Stolpergefahr oder könnten gar eine Unüberwindbarkeit bedeuten? Es gibt nicht den Nutzer eines Rollators oder eines Rollstuhls. Es gibt verschiedenste vielfältige Nutzer. Und es gibt nun mal Menschen, die nicht über Türschwellen gelangen können. Selbst Experten im Bereich Bauen für Menschen mit Sehbehinderung und Vollerblindung sagen, dass schwellenfreie Türen besser sind und Türschwellen zur Orientierung in Gebäuden und Wohnungen sowie deren Außenhüllen nicht benötigt werden.
Dem Forschungsansatz fehlt die Sinnhaftigkeit
Die UN-BRK verlangt ein Recht auf umfassende Teilhabe für alle Menschen mit Behinderung, auch von denjenigen mit intensiverem Unterstützungsbedarf. Die Forschungsansätze vom ift hingegen führen zum Gegenteil. Und das grundlos! Denn es gibt keine technischen Gründe mehr, die Türschwellen rechtfertigen. Alle Versuche, diese besser oder schlechter überrollbar zu gestalten, bedeuten einen technisch grundlosen Rückstand. Laut ift seien die Schlagregendichtheit, die Luftdurchlässigkeit und die Einbruchhemmung technische Gründe, die die diskriminierenden Rückschritte in Richtung 1 – 2 cm hoher Türschwellen rechtfertigen. Erstaunlich, denn all dies und zahlreiche weitere Leistungseigenschaften sind bei Nullschwellen gelöst. Dem ganzen Forschungsansatz fehlt allein dadurch jegliche Sinnhaftigkeit.
Mit der Verwendung von Substantivierungen wie „Sehbehinderte“, „Rollstuhlfahrer“, „Blinde“ oder gar „Demenzkranke“ zeigt das ift, dass es über 30 Jahre Weiterentwicklung in der Behindertenpolitik verschlafen hat. Allein diese Argumentation lässt auf die Qualität und Rückständigkeit der anderen Argumentationen schließen.
Das Thema Nullschwellen an sich ist ein sehr komplexes Thema und erfordert ein umfassendes Spezialwissen zu den Nullschwellen-Türdichtungen an sich, zu den möglichen Bauwerksabdichtungen und zu den unterschiedlichen Anschlussvarianten. Doch selbst bei den Anschlüssen zeigen die Verantwortlichen des ift einen Wissensmangel. Im Forschungsbericht auf Seite 55 verweisen sie auf eine schlechte Passierbarkeit der Magnet-Nullschwelle durch nachträgliche Absenkungen, z. B. einer direkt angrenzenden Entwässerungsrinne, hin. Dass genau diese Nullschwellen-Technik bei einer entsprechenden Planung keine direkt angrenzende Entwässerungsrinne benötigt, versäumen die Autoren zu erwähnen. Auch die möglichen einklipsbaren Anschlüsse bei Magnet-Nullschwellen für Rinnen, Fußabstreifer u. v. m. mit nachhaltigen kantenfreien Übergängen werden nicht erläutert.
Als unterstützende Industriepartner werden insgesamt 11 Unternehmen aufgeführt. Jedoch keines davon kann ausreichende Erfahrungen hinsichtlich Einbaubeispielen und nachhaltigen Systemsicherheiten von Nullschwellen an Außentüren vorweisen. Tatsächlich hat sich nur ein Hersteller schon vor über 20 Jahren den technischen Herausforderungen gestellt. Deshalb kann auch nur dieser eine Hersteller tatsächliches praktisches Wissen in der Umsetzung von Nullschwellen mit Langzeiterfahrung vorweisen. Doch genau dieser Hersteller wird bei den unterstützenden Industriepartnern nicht aufgeführt. „Wir sind nicht einmal gefragt worden, weder zu einer möglichen Teilnahme noch zu technischen Fragestellungen“, erklärt die Geschäftsführerin der Alumat Frey GmbH, Claudia Rager-Frey. Es bleibt die dringende Frage offen: Weshalb?
Wirtschaftlichkeit und Kosten
Auch „überrollbar“ gestaltete Türschwellen müssen auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme und der Bürger zurückgebaut werden. Bei den längst vorhandenen Einsparpotenzialen der Magnet-Nullschwellen-Technik wie z. B. Rinne, Vordach und industrieller Vorfertigungsweise müssen Nullschwellen beim Streben der Bundesregierung nach Chancengleichheit, Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit längst eine Selbstverständlichkeit darstellen. Mit Innovation hat der Forschungsansatz des ift Rosenheim nichts zu tun. —
Die Frau Nullschwelle
Ulrike Jocham ist Heilerziehungspflegerin und Dipl.-Ing. in Architektur sowie Bausachverständige für Schäden an Gebäuden (DESAG), Barrierefreiheit, Universal Design und Inklusion. Sie kennt die verschiedensten Behinderungsformen und untersucht bereits seit über 12 Jahren disziplinübergreifend die Technik von Nullschwellen. Sie ist als Bausachverständige, Seminarleiterin, Referentin, Autorin und Beraterin tätig.www.die-frau-nullschwelle.de