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Fensteröffnungsarten neu gedacht

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Im Rahmen des im Frühjahr 2020 stattgefundenen Fenster-Türen-Treffs in Salzburg wurden vier innovative Fensterprototypen vorgestellt, die in der Branche für viel Aufsehen gesorgt haben (die GLASWELT berichtete exklusiv in ihrer Aprilausgabe). Die Prototypen stellen das Ergebnis einer zweijährigen, intensiven Forschungskooperation von TU Wien und Holzforschung Austria gemeinsam mit namhaften Playern der österreichischen Fenster- und Zulieferindustrie dar.

Bei den vier Fensterprototypen handelt es sich um Fenster mit mechatronischen Beschlägen und mit Vakuumglas, konkret

  • um ein raumseitig flächenbündiges, nach innen öffnendes Drehfenster,
  • ein nach außen öffnendes Parallel-Abstell-Drehfenster,
  • ein Schwing-Klapp-Fenster welches ohne sich bewegende Schließteile zur Verriegelung auskommt,
  • sowie um ein Abstell-Schiebefenster.
  • Letzteres wird in diesem Artikel näher beschrieben. Es beinhaltet eine Reihe von innovativen Ansätzen, welche sich auf das Design, die Bewegungskinematik, Bedienbarkeit, den Beschlag und die Dichtung beziehen.

    Schematisch mögliche Öffnungslichten eines Vertikalschiebefensters mit 90 cm Parapethöhe.

    Foto: TU Wien / Holzforschunt Austria

    Schematisch mögliche Öffnungslichten eines Vertikalschiebefensters mit 90 cm Parapethöhe.
    Die Lösung: Auf ein Fixteil und eine Führungsschiene wird verzichtet.

    Foto: TU Wien / Holzforschung Austria

    Die Lösung: Auf ein Fixteil und eine Führungsschiene wird verzichtet.

    Schiebefunktionen unterschätzt

    Die Bewegungsform Schieben ist in Zentraleuropa aktuell vor allem im Türenbereich zu finden: Neben zu schiebenden Innentüren, die zumeist nur raumtrennende Funktion und in geringem Maße akustische, hygienische und thermische Trennung zwischen unterschiedlichen Innenbereichen wie Badezimmern und (engen) Vorzimmern bzw. Fluren besitzen, finden sich diese auch im kommerziellen und öffentlichen Bereich als automatisierte Schiebetüren. Für die (thermische) Trennung zwischen Innen- und Außenraum finden sich vor allem im hochqualitativen (Privat-)Bereich Hebe-Schiebe-Terassentüren und Parallel-Schiebe-Kipp-Türen. Das Schieben von „normalen“ Fensterflügeln findet kaum statt. Im Fensterbereich sind nur relativ wenige Realisierungen zu finden. Tatsächlich gibt es kaum eigene technische Schiebelösungen für klein- und normalflächige Fenster, meistens werden einfach die auf die Türen dimensionierten Rahmen- und Beschlagskomponenten von Hebeschiebetüren oder Parallel-Schiebe-Kipp-Türen für kleinere Fenster übernommen, was sowohl in ästhetisch-gestalterischer wie auch technischer und wirtschaftlicher Hinsicht den Einsatzspielraum signifikant reduziert.

    Warum Schieben?

    Im Forschungs- und Entwicklungsprojekt FIVA (Fensterprototypen mit Vakuumglas) wurde von Anfang an an neuen Lösungen für Schiebefenster gearbeitet. Dazu wurde zunächst analysiert, was das attraktive an Schiebefenstern ist, wo die Herausforderungen grundsätzlich liegen und wie Lösungen für Schiebefenster in der Vergangenheit und der gegenwärtigen Praxis konstruiert wurden und was deren grundlegenden Herausforderungen sind.

    Warum erscheint die Bewegungsform des Schiebens eigentlich attraktiv?

  • Bei Schiebebewegungen wird kein Flügel in den Innen- oder Außenraum gedreht bzw. gestellt. Dies ist in Zeiten kleiner werdender Wohnräume ein großer Vorteil, da kein wertvolles Volumen für den Bewegungsraum reserviert werden muss.
  • Die einfache Bewegung des Schiebens kann mit sehr geringem erforderlichem Kraftaufwand durchgeführt werden.
  • Schiebefenster erscheinen für Fassaden und Hochhäuser als attraktiv, da hohe Windlasten weniger Probleme darstellen, sowie trotz massiver Zugerscheinungen im Raum, kein Zuschlagen des Flügels aufgrund von Windlast zu erwarten ist.
  • Wie Hebe-Schiebetüren zeigen, sind große Formate technisch möglich, beziehungsweise können großflächige Öffnungen realisiert werden.
  • Zu den generellen Herausforderungen bei der Konstruktion von Schiebefenstern zählen Aspekte der Funktionalität und Ästhetik betreffend der erforderlichen Schienen und des Bereichs, wo der Flügel hingeschoben wird (Bereich vor der Wand oder einem Fixflügel oder in eine Aussparung oder ­Tasche).

    Damit verbunden sind die Performance-Kriterien aus dem Wärmeschutz (Wärmebrücken im Randbereich, große problematische Lufträume in etwaigen Taschen im geschlossenen Zustand), des Schallschutzes und der Gebrauchstauglichkeit (Stichwort Schlagregendichtheit).

    Die Teleskopschienen sitzen auf vier Beschlagsstempel…

    Foto: Daniel Mund / GLASWELT

    Die Teleskopschienen sitzen auf vier Beschlagsstempel…
    … die mechatronisch den Fensterflügel nach außen fahren.

    Foto: Daniel Mund / GLASWELT

    … die mechatronisch den Fensterflügel nach außen fahren.

    Wohin Schieben?

    Darüber hinaus stellt sich oft die Frage nach der Richtung des Schiebens: Soll horizontal oder vertikal geschoben werden? Während bei Horizontalschieben der Bereich, wohin der Flügel geschoben wird, für eine weitere Öffnung nicht mehr zur Verfügung steht, hat das Vertikalschieben vor allem Einschränkungen betreffend der möglichen Öffnungslichten. Die Abbildung unten zeigt schematisch mögliche Öffnungslichten eines Vertikalschiebefensters mit 90 cm Parapethöhe in einem 2,5 Meter hohen Regelgeschoss: Ein vollständiges Öffnen des Fensters in eine darunterliegende Tasche im Parapet ist nur bei sehr kleinen Fensterdimensionen möglich. Alternativ bleibt ein Teil des Flügels als „Absturzsicherung“ stehen oder aber man sieht einen fixstehenden Oberlichtflügel vor.

    Das klassische, aus dem angloamerikanischen Bereich wohlbekannte Vertikal-Schiebefenster mit Kulissenführung ist dort weit verbreitet, besitzt aber in Hinblick auf thermische Performance und Ästhetik recht geringe Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Einzelne von solchen Schiebefenstern inspirierte Konstruktionen finden sich bei Gastronomiebetrieben, wo man Innen- und Außen in der warmen Saison verbinden möchte. Darüber hinaus lassen sich (Balkon-)Türen mit diesem Konstruktionsprinzip nicht sinnvoll realisieren.

    Das Neue Schieben!

    Im Projekt FIVA fand betreffs des Themas Schieben folgender Entwicklungsprozess statt: Als erster Ansatz wurde ein „motorisiertes Autoseitenfenster“, also das smarte, randlose Vertikalschiebefenster für das Gebäude angedacht. Aufgrund der Komplexität entsprechender Gleit-Dichtungen und der bereits beschriebenen Einschränkungen der Öffnungslichte, welche im Gegensatz zum Autofenster bestehen, wurde dieser Ansatz und das Vertikalschieben als solches bald aufgegeben.

    In weiterer Folge wurden Ansätze in Richtung des Horizontalschiebens ausführlich betrachtet, dabei erschienen die herkömmlichen spezifischen Lösungen und speziellen Herausforderungen wenig befriedigend.

    Die Lösung des Projektkonsortiums für das Horizontalschiebefenster basiert auf den Überlegungen auf einen nicht zwangsweise notwendigen Fixteil/Fixflügel und eine sichtbare Führungsschiene zu verzichten. Schließlich wurden Teleskop-Auszugsschienen, wie sie aus dem Möbelbau (Schubladen) und dem Automobilbau sowie Schwerlast-Tribünen-Sektor bekannt sind, als mögliche Option für das Schiebefenster identifiziert: Damit konnte auch die Problematik der sichtbaren Schienen gelöst werden.

    Diese Schwerlast-Teleskopauszugschienen sind auf entsprechende Flügelgewichte und 10 000 Bewegungszyklen dimensioniert. Der Einsatz in Fenstern ist jedoch neuartig und unterliegt damit veränderten Rahmenbedingungen (z. B. Witterungseinfluss, etc.) und sollte in einem nächsten Schritt optimiert werden.

    Mit solchen Schienen allein ist es jedoch erforderlich das Fenster als Aufsatz auf der Innen- oder Außenoberfläche der Wand draufzusetzen. Das kann zwar aus architektonischer Sicht eine reizvolle Lösung in Sonderfällen darstellen, ist aber für die breite Anwendung wenig geeignet. Darüber hinaus ist der für eine solche Konstruktion erforderliche Dichtungswechsel (irgendwo muss der Flügel über eine Dichtung drüber gleiten) als problematisch zu werten.

    Lösungen für Dichtungen mit Gleitbelag, zurückziehende Dichtungen oder auch evakuierte Dichtungen, die sich bei Fensterbedienung zusammenziehen, stellen zwar mögliche Lösungen dar, verleihen dem Fenster aber eine vergrößerte Komplexität.

    Modellbau an der TU Wien.

    Foto: TU Wien / Holzforschung Austria

    Modellbau an der TU Wien.
    DIe Schwerlast-Teleskopauszugschienen mit Fangeinrichtung sind auf entsprechende Flügelgewichte und 10 000 Bewegungszyklen dimensioniert.

    Foto: TU Wien / Holzforschung Austria

    DIe Schwerlast-Teleskopauszugschienen mit Fangeinrichtung sind auf entsprechende Flügelgewichte und 10 000 Bewegungszyklen dimensioniert.
    Mastermind des Fenster-Türen-Treffs: Peter Schober, Leiter des Fachbereichs „Fassaden, Fenster, Türen und Beschläge“ an der Holzforschung Austria.

    Foto: Daniel Mund / GLASWELT

    Mastermind des Fenster-Türen-Treffs: Peter Schober, Leiter des Fachbereichs „Fassaden, Fenster, Türen und Beschläge“ an der Holzforschung Austria.

    Lösungsansatz: Fensterflügel wird nach außen gefahren

    In einem weiteren Entwicklungsschritt wurde daher beschlossen, die Teleskopschienen auf vier Beschlagsstempel zu setzen, die mechatronisch den Fensterflügel nach außen fahren. Dies bietet eine ganze Reihe von Vorteilen: Die Dichtungsproblematik reduziert sich zu simplen Quetschdichtungen, die aus thermischer Sicht problematischen metallenen Teleskopschienen können in dieser Variante komplett im gut gedämmten warmen Bereich liegen, eine Lüftungsstellung (Abstellstellung) ohne vollständiges Öffnen kann realisiert werden, das Fenster kann plan mit der Fassaden oder versenkt in einer Lochfassade realisiert werden (für das fundamentale Bewegungsprinzip siehe Skizze S. 21 ganz unten).

    Im geschlossenen Zustand Öffnungsart nicht ersichtlich

    Mit dem Abstell-Schiebefenster ist es gelungen, eine innovative Fensterkonstruktion (mit Vakuumglas) zu entwickeln, die es in einer solchen Form am Markt noch nicht gibt. Die scheinbar schienenlose Schiebebewegung ist aus ästhetischer Sicht überaus reizvoll. Im geschlossenen Zustand lässt das Fenster diese Öffnungsbewegung nicht vermuten. Das Fenster fügt sich flächenbündig in die Außenfassade ein und präsentiert sich lediglich als Glas mit emaillierten Rand und Schattenfuge. Ein Fensterprototyp, der genau diesem Bewegungsprinzip folgt wurde realisiert (siehe Abbildung Seite 20). Dabei wurde die Abstellbewegung motorisiert und die Schiebebewegung bewusst als manuelle Bewegung belassen (ähnlich der „Wischfunktion“ auf heutigen Smartphones). Eine Motorisierung der Schiebebewegung erscheint aber natürlich ebenso möglich.

    Die thermische Performance des Abstell-Schiebefensters hat alle ursprünglichen Erwartungen übertroffen. In Berechnungen betreffend der thermischen Performance konnte bei Ansetzen eines Ug-Wertes des Vakuumglases von 0,4 W/(m²K) ein Uw-Wert von 0,55 W/(m²K) mit diesem Fenster erzielt werden (den Berechnungen wurde das Normmaß von 1,23 m auf 1,48 m zugrunde gelegt). Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass aktuelle Berechnungsnormen Vakuumglas noch nicht kennen bzw. berücksichtigen. Daher sind diese Werte als Annäherung zu betrachten. Ob die gebaute Ausführung mit den Simulationsergebnissen mithalten kann, wäre im Rahmen weiterer Forschungsbemühungen herauszufinden. Selbst wenn es zu geringen Einbußen der thermischen Dämmeigenschaften in der gebauten Realität kommt, wäre die übliche Kluft zwischen opaken und transparenten Gebäudehüllelementen hier nicht mehr besonders groß. Das Fenster ist mit solchen Konstruktionen nicht mehr automatisch der thermische Schwachpunkt der Außenhülle. Auch im Hinblick auf Luftdurchlässigkeit, Schlagregendichtheit, Widerstand gegen Windbelastung und Schallschutz konnte das Fenster überzeugen.

    Feedback der Ausstellungsbesucher

    Das Fachpublikum beim Fenster-Türen-Treff zeigte sich von dem Prototyp begeistert. Im Zuge einer Befragung wurden die Optik und die Architektur dieses Fenstertyps sowie der Innovationsgehalt jeweils als hervorragend bewertet. Hinsichtlich technischer Realisierbarkeit und Montierbarkeit wurden aber auch einige kritische Kommentare gesammelt, was aber bei einem Fenster, dessen Bewegungsmuster und Technologiekomponenten als ungewohnt und neu zu bezeichnen sind, nicht weiter verwundert. Die kritischen Kommentare sollten eher als Ansporn verstanden werden, dieses Fenster weiter zu
    entwickeln.

    Entwicklungsschritte beziehungsweise weitere Optimierungen müssen beispielsweise die Teleskopschienen betreffen, die erforderliche Vereinfachung der aktuell ebenfalls als Einzel-Prototypen manufakturierten, motorisierten Abstellbeschläge oder statische Aspekte die den Windangriff am offenen Flügel und potentielle Verwindungseffekte betreffen. Nicht zu vergessen ist sicherlich auch die Integration von (außenliegenden) Sonnenschutzmaßnahmen, welche sowohl ästhetischen wie auch funktionellen Kriterien genügen müssen.

    Die genannten Forschungs- und Entwicklungsbemühungen werden gemeinsam mit der Wirtschaft weitergeführt und mittelfristig zu marktfähigen Abstell-Schiebefenstern (mit Vakuumglas oder auch Mehrscheibenisoliergläsern) führen und dies sowohl in der Bestandssanierung wie auch im
    Neubau.

    Mit dem Prototyp konnte eine zukunftsweisende Möglichkeit und technische Lösung für das Neue Schieben aufzeigt werden, und die eine oder ­andere Innovation wird schon bald Einzug in die Branche finden.

    Peter Schober, Jakob Haberl,
    Holzforschung Austria;
    Ulrich Pont, Magdalena Wölzl, Matthias Schuss, Ardeshir Mahdavi,
    FB Bauphysik und Bauökologie, TU Wien.

    GLASWELT Chefredakteur Daniel Mund vom Fenster-Türen-Treff 2020 zwei kurze Videos vom ­„Morgenfenster“ mitgebracht: http://bit.ly/HFA_MorgenfensterA und http://bit.ly/HFA_MorgenfensterI

    Dr. Ulrich Pont von der TU Wien

    Foto: Daniel Mund / GLASWELT

    Dr. Ulrich Pont von der TU Wien

    Wer ist am Projekt beteiligt?

    Die Entwicklung des Abstell-Schiebefensters, sowie der anderen beim FTT2020 gezeigten Fensterprototypen erfolgte im Rahmen des von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Projektes FIVA (2018-2020, Projekt-Nummer: 867352). Die an dem Projekt beteiligten Institutionen und Firmen waren die TU Wien (Forschungsbereich Bauphysik und Bauökologie), die Holzforschung Austria, die Fa. Gaulhofer, die ­Fa. Katzbeck, die Fa. Internorm, die Fa. Svoboda, die Fa. Wick, sowie die Firmen Maco (Beschläge) und ieb Eisele (Dichtungen).

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