„Same procedure as every year“, lautet der beste Spruch bei Dinner for One. Natürlich ist es die gleiche Prozedur beim Markisentest wie in den Jahren davor. Denn die Prüfungsvorschriften der zuständigen Norm DIN EN 13561 bzw. DIN EN 1932 haben sich nicht geändert. Der Aufbau ist sklavisch und muss Punkt für Punkt abgearbeitet werden. Das schöne an der Prüfung, sie ist beliebig reproduzierbar und sollte zum gleichen Ergebnis führen. Natürlich muss dann auch die Produktqualität gleich sein. Falls nicht, muss die Stichprobe N erhöht werden, um Materialschwankungen berücksichtigen zu können. Und genau hier liegt das Problem in der Betrachtungsweise, denn schon ein Materialbruch kann ausreichen, um Gefahr für Leib und Leben darzustellen.
Ist die Norm eindeutig zu verstehen?
Setzt man sich kritisch mit der Norm auseinander, dann hatte man beim letztjährigen Markisentest (GLASWELT August 2019) das Problem, dass eine Markise durch ein 85° Verdrehen des Tragerohres total verformt war. Die Norm sagt im letzten Prüfschritt, bleibende Verformung ist o.k., Bruch ein Versagenskriterium. War die Markise letztes Jahr bei strenger Auslegung der Norm jetzt in Ordnung oder nicht? 2020 ist alles anders, das Ergebnis des Markisentests grundsätzlich unterschiedlich. Wurden die ersten Prüfschritte noch mit Bravour erledigt, tat es bei der Sicherheitslastprüfung einen riesigen Schlag. Ein Oberarmeinsatz war gebrochen, das Versagenskriterium mit Bruch klar zu definieren und die Prüfung für den Prüfer abgeschlossen. Nicht aber für den Inverkehrbringer der Markise, denn letztlich wären die Voraussetzungen für ein CE-Zeichen auf dem Produkt und in der Leistungserklärung nicht gegeben. So gesehen ist die Vorgabe der Norm zumindest bei diesem Test nicht mehr eindeutig zu definieren. Kaputt ist kaputt, und der Schaden wesentlich schlimmer als letztes Jahr.
Die Kette ist nur so stark, wie ihr …
Der Schadenshergang ist durch die nachfolgende Untersuchung der geprüften Markise eigentlich relativ einfach zu erklären. Man könnte hier durchaus Parallelen zum Kirchenbau im Mittelalter ziehen, denn da galt auch das Prinzip von „try and error“.
Bei der jetzt geprüften Markise war deutlich zu erkennen, dass man sich mit den letztjährigen Prüfungsergebnissen intensiv auseinandergesetzt hat, um die gefundenen Schwachstellen durch das Einschieben von 40 cm langen Stahlprofilen in das Tragerohr zu beseitigen. Voraussetzen müsste man bei dieser Annahme aber dann, das es keine weiteren Schwachstellen gibt. Und genau hier beginnt das Dilemma. Da es beim letzten Mal Teile gab, die sich schnell verformt haben, konnten die angesetzten Kräfte gar nicht auf alle Bauteile der Markise einwirken. Ein Bruch wäre auch bei 10 weiteren Prüfungen letztes Jahr nicht eingetreten, weil aufgrund der Instabilität des Tragerohres immer wieder eine Verformung das Ergebnis wäre.
Verwunderung war anfangs durchaus vorhanden
Der diesjährige Prüfungsablauf machte stutzig. Die Markise stand gut bei der Belastung, eine Verformung des Tragerohres war durch die Höhenkontrolle des Ausfallprofiles zwischen den Prüfschritten nicht großartig festzustellen. Beim Aufbringen der Sicherheitslast hatte das Spiel aber ein abruptes Ende und es kam zu einem Materialbruch im rechten Oberarmeinsatz und folglich zu einem Totalschaden. Die Analyse der zerlegten Markise zeigte den Einschub von Stahlprofilen, die aufgrund der Positionsvorgabe Konsole in der Montageanleitung von der Markisenkonsole gefasst wurden.
Insoweit wurde das Problem Tragerohr erkannt und als Versagenskriterium wirkungsvoll beseitigt. Da die Markise diesmal mit einem Motor ausgestattet war und nur drei Kilogramm mehr gewogen hat, konnte diese Veränderung vorher nicht festgestellt werden. Da die Kraft nun auf andere Teile abgeleitet worden ist, kam es zum Bruch des Oberarmeinsatzes.
Ursachenforschung
Eine Überprüfung des Bruchbildes brauchte ein schnelles und klares Ergebnis für das Materialversagen. Die Bohrungen für das Einbringen der Nieten zum Verbinden von Markisenoberam und Oberarmeinsatz wurden genau an der schwächsten Stelle (siehe Fotos oben) des Gußteiles platziert. Die Bruchlinie ist klar definiert und eindeutig. Zusätzlich ist bei dieser Markise ein deutlicher Lunker zur erkennen, der zu einer Materialschwächung führt. Welcher der beiden Kriterien der Hauptversagensgrund war, kann man ohne die Prüfung von weiteren Markisen nicht feststellen. Auch die Frage nach weiteren Schwachstellen an der Markise kann nicht beantwortet werden, da man hierfür einen neuen Test mit einer neuen Markise durchführen müsste. Im Ergebnis gab es diesmal aber eine eindeutige Klassifizierung des Schadensbildes: Totalschaden. Man darf also gespannt sein, was im nächsten Jahr an der Markise geändert wird.
Olaf Vögele
So manche sind lernfähig …
… denken sie zumindestens. Klar zu erkennen, man liest mit und reagiert auf die Kritik am Produkt. Die vermeindliche Verbesserung durch das eingeschobene Stahlprofil schafft allerdings ein K.O. Kriterium. Denn die Kette ist nur so stark wie ihr schwächtes Glied, und das ist bei diesem Test gebrochen. So gesehen schlimmer und gefährlicher als beim letzten Mal.