_ Waren es bisher das Internet und die Baumärkte, die den Markt der Billig-Markisen gesättigt haben, kommen in der neuesten Entwicklungsphase die Discounter, wie in diesem Fall Aldi-Süd, dazu. Was heißt eigentlich Billig-Markise? Wir machen es erst mal am Preis fest und ziehen hier eine Grenze für Markisen bis zu 200 Euro bei einer Größe bis zu 3,5 × 2,5 m. Ob billig, wie hier bei der Aldi-Markise mit einem Preis von 129 Euro auch eine schlechte Qualität bedeutet, wollen wir ausführlich testen.
Welche Regelungen gelten für wen?
Eigentlich ist es ganz einfach, denn die zuständige harmonisierte Markisennorm DIN EN 13561 macht mit den Windwiderstandsklassen ganz klare Vorgaben zu den mandatierten Eigenschaften Wind. Diese gelten für alle Markisen, die in der EU in Verkehr gebracht werden, also vollkommen unabhängig davon, ob es sich um einen großen Markisenhersteller, einen kleinen Konfektionär oder einen Importeur handelt. Entscheidend ist, dass die geltenden Bestimmungen eingehalten werden Es verhält sich nicht ganz so streng, aber ähnlich wie bei den Automobilen. Hier ist vollkommen egal, ob es sich um ein Fahrzeug eines Billig-Anbieters, wie z. B. ein Dacia Logan, oder um eine Mercedes S-Klasse handelt. Geltende Bestimmungen müssen von allen eingehalten werden. Das Thema Sicherheit hat also nichts mit dem Fahrzeugpreis zu tun. Der Vorteil bei der Kfz-Industrie: Alle Fahrzeuge werden vom Kraftfahrzeug-Bundesamt geprüft. Und wie man beim Abgasskandal gesehen hat, ist das ein mächtiges Werkzeug, um Bestimmungen zu überprüfen. Bei den Markisen werden die CE-Zertifizierungen nach System 4 durchgeführt, das heißt jeder Hersteller kann diese Prüfungen selbst durchführen. Ist das ein Nachteil? Ja und Nein, denn zum einen bietet das die klare Möglichkeit der Manipulation, aber andererseits auch die Möglichkeit der Überprüfung durch Dritte. Ein Umstand, den wir uns hier zu eigen machen.
Der Versuchsaufbau: Doppelt hält besser
Um es vorweg zu nehmen, wir haben die Tests gleich zweimal mit zwei einzeln bestellten Markisen durchgeführt. Nicht weil wir Angst vor Aldi haben, sondern weil die Verformung der Markise beim ersten Test so erschreckend stark war, dass wir den Test an einer zweiten Örtlichkeit mit einer höheren Anbringungsposition wiederholt haben. Beim Versuchsaufbau wurde sich sklavisch an die Prüfungsvorgaben der DIN EN 13561:2009 und der DIN EN 1932:2001 gehalten und in mehreren Prüfschritten abgeprüft. Die Dokumentation erfolgte schriftlich, durch Fotos und durch Videos. Gerade das Ablassen der Prüfgewichte wurde jeweils in einem ungeschnittenen Video gesichert, um jedweden Manipulationsvorwürfen bei der Prüfung vorzubeugen. Die nominale Prüflast wurde mit der Formel FN = ß × p × L × H berechnet. Wobei für ß = 0,5 (Koeffizient zur Umrechnung von verteilten Lasten in Pruflasten) eingesetzt wurde. Für p wurde der Prüfdruck von 70 N/m2 nach Windklasse 2 der DIN EN 13561:2009 angesetzt. Da die mit 3 × 2,5 m verkauften Markisen tatsächlich jeweils nur 2,95 × 2,35 m groß waren, wurde das Tuchmaß mit gemessenen 2,82 × 2,35 m festgelegt. Daraus leiten sich die nominale Prüflast von insgesamt 23,8 kg und bei einem Sicherheitsprüfdruck 1,2 p (84 N/m2) eine Sicherheitswindlast FS von insgesamt 28,4 kg ab.
Das Prüfungsergebnis: Maximale Verformung
Das Prüfungsergebnis ist relativ einfach zu beschreiben. Schon mit der nominalen Prüflast verformte sich die Markise so stark, dass sie nicht mehr benutzbar war. Die Prüfung mit der Sicherheitswindlast FS brachte eine Verformung des Tragrohres von 85° zustande, was einer viertel Umdrehung entspricht. Die Verformung trat so schnell ein, dass hier bei einer Windböe für darunter anwesende Personen eine Gefahr für Leib und Leben besteht. Die Markise entspricht damit nicht den anerkannten Regeln der Technik.
Gebrauchs- / Wartungsanleitung mit vielen Fehlern
Auf den ersten Blick macht die im Markisenkarton beigelegte Anleitung einen soliden Eindruck, der sich beim genauen Studium aber genauso schnell wieder verflüchtigt. Viele unpräzise Angaben reihen sich aneinander, eine Benutzung der Markise bei Regen und Wind wird zum Beispiel mehrfach verboten, ohne genauere Angaben zum Gefälle der Markisen oder zu zulässigen Windgeschwindigkeiten zu machen. Die Sicherungsschraube der Markisenkonsole ist z. B. nicht so wie in der Zeichnung beschrieben von oben einzuführen und von unten mit Mutter und Scheibe zu sichern, sondern kann aufgrund der Konstruktion nur von unten eingeschoben werden. Die Sicherung mit Scheibe und Mutter ist so nicht möglich, weil die Scheibe nicht in die obere Nut passt. Löst sich die Mutter bei der Benutzung der Markise, kann die Schraube z. B. nach unten herausfallen und so das Tragrohr aus der Halterung gleiten lassen. Positiv ist anzumerken, dass die Wartungsanleitung sehr detailliert auf das Thema Wartung eingeht. Ein interessantes Detail ist die Tatsache, dass die Anleitung aus dem Internet eine EU-Konformitätserklärung enthält und die im Markisenkarton beigefügte Anleitung nicht.
Ein Abnahmeprotokoll o. Ä. ist nicht vorhanden, sodass dem wahrscheinlichen Endverbraucher als montierende Person überhaupt nicht klar wird, dass sich die zulässige Windgeschwindigkeit durch die Montageart deutlich bei der Nutzung der Markise reduzieren kann. Unverständlich ist auch die Warnung, dass bei der Demontage qualifiziertes Fachpersonal eingesetzt werden muss und bei der Montage nicht.
Befestigungsmittel ohne Verstand und Zulassung
Äußerst gefährlich wird es bei dem beigefügten Montagematerial der Markise. Die optisch auf „Schwerlastdübel“ getrimmten Pseudo-Befestigungsmittel sind den Begriff Dübel überhaupt nicht wert und vollkommen ungeeignet, eine Markise sicher zu befestigen. Besonders deutlich wird das angesichts der von Hand eingesägten Spreitz-Schlitze in der Aluminiumhülse. Einen Beipackzettel mit Verarbeitungshinweisen oder die Angabe von Traglasten sucht man vergebens. Einzig in der Gebrauchs-/Wartungsanleitung gibt es ein Kapitel zur Befestigung der „Wandanker“. Alles in allem aber nicht ausreichend und nicht nach den anerkannten Regeln der Technik. Es fehlen hier entsprechende ETA-Zulassungen für die beigefügten Befestigungsmittel bzw. entsprechende Hinweise in der Gebrauchsanleitung bei der Montage in andere Wandaufbauten. Diese sind nach der geltenden Rechtslage durch die Bauproduktenverordnung für die Befestigung von Markisen auf jeden Fall erforderlich. Für die GLASWELT-Redaktion ein Grund in Kürze ein Gespräch mit der Marktaufsicht zu führen.
Optischer Supergau beim Markisentuch
Die gelieferten Markisen waren jeweils mit einem Polyestergewebe in weiß-grauen Blockstreifen bespannt. Bereits beim Auspacken aus der Schutzfolie im Markisenkarton konnten sehr deutliche Knick-, Lege- und Handlingsfalten auf der Tuchwelle identifiziert werden, die nach der Montage und dem ersten Ausfahren in einer erschreckenden Menge erkennbar waren. Legt man hier die Tuchrichtlinien des ITRS/IVRSA zugrunde, so könnte man ohne weitere Prüfungen entscheiden, dass die gelieferte Markise auch in diesem Bereich nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Die Prüfung eines Teststreifens des Polyestergewebes hat bei der Bewitterungsprüfung nach ISO 105 B04 (Textilien – Farbechtheitsprüfungen – Teil B04: Farbechtheit gegen künstliche Bewetterung: Xenonbogenlicht) bereits nach 333 Stunden nach dem Blaumaßstab die Note mangelhaft ergeben. Die Prüfung wurde nun auf 1000 Stunden erweitert, um die weitere Entwicklung noch besser beurteilen zu können.
Zertifizierungen ohne Sinn und Verstand
Natürlich wurden bei der Prüfung der Discounter-Markise auch die Begleitpapiere und das aufgebrachte CE-Zeichen überprüft. Hier wird aufgrund der gemachten Fehler sehr schnell deutlich, dass die agierenden Personen zwar über Halbwissen verfügen, die Normenlage und geltenden Bestimmungen aber überhaupt nicht verstanden haben. Sehr deutlich wird das anhand der EU-Konformitätserklärung, die in der vorliegenden Form nur bis zur Gültigkeit der Bauproduktenverordnung im Jahr 2013 zulässig war. Besonders auffällig: Auf der Konformitätserklärung wird sich auf den Normenstand der DIN EN 13561 von 2015 respektive der Berichtigung von 2017 bezogen. Das zeigt umso mehr, dass man sich wahrscheinlich nur an den Veröffentlichungen des Beuth-Verlages orientiert und nicht an den Veröffentlichungen im europäischen (OJEU) bzw. deutschen Amtsblatt. Auf dem am Markisenarm angebrachten CE-Zeichen wird auch der Normenstand 2015 ausgewiesen, zusätzlich zur Windwiderstandsklasse 2 der Gesamtenergiedurchlassgrad gtot von 0,32. Beide Angaben wären geeignet gerichtlich vorzugehen, da die hier notwendige Leistungserklärung und das CE-Zeichen nach der Normenversion 2009 erstellt werden müssen. Eine Konformitätserklärung ist wegen der Handkurbel gar nicht erforderlich. Zusammen mit den Testergebnissen darf die Markise kein CE-Zeichen tragen. Jeder Mitgliedsstaat der EU ist verpflichtet, für die korrekte Verwendung der CE-Kennzeichnung zu sorgen. In Deutschland sollte die Kontrolle durch die Bundesländer im Rahmen eines Systems der Marktüberwachung erfolgen, welches vom DIBt koordiniert wird. Neben straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Konsequenzen kommen auch zivilrechtliche Folgen einer falschen CE-Kennzeichnung in Betracht (ggf. Mangel des Bauprodukts). Auch wettbewerbsrechtliche Konsequenzen bei falscher Kennzeichnung, wie z. B. durch Abmahnungen, sind hier möglich. Auch das wird bei der Marktaufsicht diskutiert.
Auswirkungen für die R+S Branche
Haben solche Produkte wie die Billig-Markise vom Discounter Aldi überhaupt Auswirkungen auf den Gesamtmarkt. Kauft das Klientel der Fachbetriebe so eine Markise? Für das Garten- oder Wochenendhaus vielleicht, und das wäre schon eine Markise „weniger“. Es gibt aber zwei viel schwerwiegendere Gründe, warum sich Billig-Markisen auf den Gesamtmarkt auswirken können. Zum ersten die Preissensibilität: Der Endverbraucher stößt bei seinen täglichen Einkäufen beim Discounter auf den Preis einer solchen Markise. Hier waren es 129 Euro. Jetzt kommt der Vergleich zum Fachhändler: Mindestens 1300 Euro plus Montage, also mehr als das Zehnfache. Das sorgt durchaus für Fragen. Zum zweiten sind es genau die CE-Prüfungen bei den Markisen, die hier wohl mit Sicherheit nicht erfolgt sind. Über den Nachweis einer Werksproduktionskontrolle (WPK) wollen wir gar nicht erst spekulieren. Aber genau das sind die Punkte, warum eine Eigenprüfung nach System 4 gekippt werden könnte. —